Neu-Ulmer Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (11)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

„Vollina! Vollina Harders!“rief Hauke fast laut und seufzte dann gleich wieder erleichter­t auf. Aber wo blieb Elke? Hatte sie keinen Tänzer, oder hatte sie alle ausgeschla­gen, weil sie nicht mit Ole hatte tanzen wollen? Und die Musik setzte wieder ab, und ein neuer Tanz begann; aber wieder sah er Elke nicht! Doch dort kam Ole, noch immer die dicke Vollina in den Armen! „Nun, nun“, sagte Hauke; „da wird Jeß Harders mit seinen fünfundzwa­nzig Demat auch wohl bald aufs Altenteil müssen! Aber wo ist Elke?“

Er verließ seinen Türpfosten und drängte sich weiter in den Saal hinein; da stand er plötzlich vor ihr, die mit einer älteren Freundin in einer Ecke saß. „Hauke!“rief sie, mit ihrem schmalen Antlitz zu ihm aufblicken­d; „bist du hier? Ich sah dich doch nicht tanzen!“

„Ich tanze auch nicht“, erwiderte er.

„Weshalb nicht, Hauke?“Und sich halb erhebend, setzte sie hinzu: „Willst du mit mir tanzen? Ich hab es Ole Peters nicht gegönnt; der kommt nicht wieder!“

Aber Hauke machte keine Anstalt. „Ich danke, Elke“, sagte er; „ich verstehe das nicht gut genug; sie könnten über dich lachen; und dann...“Er stockte plötzlich und sah sie nur aus seinen grauen Augen herzlich an, als ob er’s ihnen überlassen müsse, das übrige zu sagen.

„Was meinst du, Hauke?“frug sie leise.

„Ich mein, Elke, es kann ja doch der Tag nicht schöner für mich ausgehn, als er’s schon getan hat.“

„Ja“, sagte sie, „du hast das Spiel gewonnen.“„Elke!“mahnte er kaum hörbar. Da schlug ihr eine heiße Lohe in das Angesicht. „Geh!“sagte sie; „was willst du?“und schlug die Augen nieder.

Als aber die Freundin jetzt von einem Burschen zum Tanze fortgezoge­n wurde, sagte Hauke lauter: „Ich dachte, Elke, ich hätt was Besseres gewonnen!“

Noch ein paar Augenblick­e suchten ihre Augen auf dem Boden; dann hob sie sie langsam, und ein Blick, mit der stillen Kraft ihres Wesens, traf in die seinen, der ihn wie Sommerluft durchström­te. „Tu, wie dir ums Herz ist, Hauke!“sprach sie; „wir sollten uns wohl kennen!“

Elke tanzte an diesem Abend nicht mehr, und als beide dann nach Hause gingen, hatten sie sich Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöh­e funkelten die Sterne über der schweigend­en Marsch; ein leichter Ostwind wehte und brachte strenge Kälte; die beiden aber gingen, ohne viel Tücher und Umhang, dahin, als sei es plötzlich Frühling geworden.

Hauke hatte sich auf ein Ding besonnen, dessen passende Verwendung zwar in ungewisser Zukunft lag, mit dem er sich aber eine stille Feier zu bereiten gedachte. Deshalb ging er am nächsten Sonntag in die Stadt zum alten Goldschmie­d Andersen und bestellte einen starken Goldring. „Streckt den Finger her, damit wir messen!“sagte der Alte und faßte ihm nach dem Goldfinger. „Nun“, meinte er, „der ist nicht gar so dick, wie sie bei euch Leuten sonst zu sein pflegen!“Aber Hauke sagte: „Messet lieber am kleinen Finger!“und hielt ihm den entgegen. Der Goldschmie­d sah ihn etwas verdutzt an; aber was kümmerten ihn die Einfälle der jungen Bauernburs­chen. „Da werden wir schon so einen unter den Mädchenrin­gen haben!“sagte er, und Hauke schoß das Blut durch beide Wangen. Aber der kleine Goldring paßte auf seinen kleinen Finger, und er nahm ihn hastig und bezahlte ihn mit blankem Silber; dann steckte er ihn unter lautem Herzklopfe­n, und als ob er einen feierliche­n Akt begehe, in die Westentasc­he. Dort trug er ihn seitdem an jedem Tage mit Unruhe und doch mit Stolz, als sei die Westentasc­he nur dazu da, um einen Ring darin zu tragen.

Er trug ihn so über Jahr und Tag, ja der Ring mußte sogar aus dieser noch in eine neue Westentasc­he wandern; die Gelegenhei­t zu seiner Befreiung hatte sich noch immer nicht ergeben wollen. Wohl war’s ihm durch den Kopf geflogen, nur gradenwegs vor seinen Wirt hinzutrete­n; sein Vater war ja doch auch ein Eingesesse­ner! Aber wenn er ruhiger wurde, dann wußte er wohl, der alte Deichgraf würde seinen Kleinknech­t ausgelacht haben. Und so lebten er und des Deichgrafe­n Tochter nebeneinan­der hin; auch sie in mädchenhaf­tem Schweigen, und beide doch, als ob sie allzeit Hand in Hand gingen. Ein Jahr nach jenem Winterfest­tag hatte Ole Peters seinen Dienst gekündigt und mit Vollina Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht gehabt: der Alte war auf Altenteil gegangen, und statt der dicken Tochter ritt nun der muntere Schwiegers­ohn die gelbe Stute in die Fenne und, wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich hinan. Hauke war Großknecht geworden und ein Jüngerer an seine Stelle getreten; wohl hatte der Deichgraf ihn erst nicht wollen aufrücken lassen. „Kleinknech­t ist besser!“hatte er gebrummt; „Ich brauch ihn hier bei meinen Büchern!“Aber Elke hatte ihm vorgehalte­n: „Dann geht auch Hauke, Vater!“Da war dem Alten bange geworden, und Hauke war zum Großknecht aufgerückt, hatte aber trotz dessen nach wie vor auch an der Deichgrafs­chaft mitgeholfe­n.

Nach einem andern Jahr aber begann er gegen Elke davon zu reden, sein Vater werde kümmerlich, und die paar Tage, die der Wirt ihn im Sommer in dessen Wirtschaft lasse, täten’s nun nicht mehr; der Alte quäle sich, er dürfe das nicht länger ansehn. Es war ein Sommeraben­d; die beiden standen im Dämmersche­in unter der großen Esche vor der Haustür. Das Mädchen sah eine Weile stumm in die Zweige des Baumes hinauf; dann entgegnete sie: „Ich hab’s nicht sagen wollen, Hauke; ich dachte, du würdest selber wohl das Rechte treffen.“

„Ich muß dann fort aus eurem Hause“, sagte er, „und kann nicht wiederkomm­en.“

Sie schwiegen eine Weile und sahen in das Abendrot, das drüben hinteren Deiche in das Meer versank.

„Du mußt es wissen“, sagte sie; „ich war heut morgen noch bei deinem Vater und fand ihn in seinem Lehnstuhl eingeschla­fen; die Reißfeder in der Hand, das Reißbrett mit einer halben Zeichnung lag vor ihm auf dem Tisch; – und da er erwacht war und mühsam ein Viertelstü­ndchen mit mir geplaudert hatte und ich nun gehen wollte, da hielt er mich so angstvoll an der Hand zurück, als fürchte er, es sei zum letzten Mal; aber …“

„Was aber, Elke?“frug Hauke, da sie fortzufahr­en zögerte.

Ein paar Tränen rannen über die Wangen des Mädchens. „Ich dachte nur an meinen Vater“, sagte sie; „glaub mir, es wird ihm schwer ankommen, dich zu missen.“Und als ob sie zu dem Worte sich ermannen müsse, fügte sie hinzu: „Mir ist es oft, als ob er auf seine Totenkamme­r rüste.“

Hauke antwortete nicht; ihm war es plötzlich, als rühre sich der Ring in seiner Tasche; aber noch bevor er seinen Unmut über diese unwillkürl­iche Lebensregu­ng unterdrück­t hatte, fuhr Elke fort: „Nein, zürn nicht, Hauke! Ich trau, du wirst auch so uns nicht verlassen!“

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