Neu-Ulmer Zeitung

Seine Frau bohrt schon in den Wunden seiner Eitelkeit

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nach dem grellen Scheinwerf­erlicht ein. „Na, hast du dich schon daran gewöhnt, nicht mehr wichtig zu sein?“, bekomme er seit der Bundestags­wahl in Goslar zu hören. Der eigentlich­e Kampf finde eben nicht im Wahlkampf, sondern zu Hause statt, scherzt Gabriel bei der Veranstalt­ung in Hannover, die den Titel „Auf ein Wort mit ...“trägt. Edmund Stoiber, der frühere CSU-Ministerpr­äsident, richte immer seine Empfehlung an Anke aus mit den Worten: „Schöne Grüße an den einzigen Menschen mit Verstand in Ihrer Familie!“– die Zahnärztin, mit der der 58-Jährige gerade erst noch ein kleines Mädchen bekommen hat, ist Bayern-Fan. Gabriel drückt Werder Bremen die Daumen.

Die im Minutentak­t in freier Rede den Jusos und Omas dahingewor­fenen Anekdoten sollen den Schmerz überspiele­n, der Gabriel ohne Frage plagen dürfte. Siebeneinh­alb Jahre war der frühere Lehrer, der als Kind unter einem hasserfüll­ten Nazi-Vater litt, SPD-Vorsitzend­er. So lange wie keiner seit Willy Brandt. Anfang Januar, nach Monaten des Zauderns, trat er zurück. Gabriel überließ Martin Schulz die Bühne. „Mach du es, mich wollen sie nicht“, sagte er da zu Schulz, der nur kurz im 100-Prozent-Glück baden durfte. Die Partei, die mit Gabriel stets haderte und er mit ihr, applaudier­te. Die Rede war von einer heroischen Tat.

Mittlerwei­le sind andere Töne zu vernehmen. Spitzengen­ossen glauben, Gabriel habe nicht uneigennüt­zig gehandelt. Als er Frank-Walter Steinmeier gegen den Willen der Kanzlerin zum Bundespräs­identen machte, war für ihn selbst der Weg ins Auswärtige Amt frei. Schulz sollte sich als Kanzlerkan­didat abstrampel­n, um dann Seit’ an Seit’ mit Gabriel in einer neuen GroKo zu landen. Daraus wurde nichts. Drei, vier Prozentpun­kte fehlten, sonst wäre Gabriels Kalkül aufgegange­n.

Noch ist Schulz als Parteivors­itzender da, Olaf Scholz, Manuela Schwesig warten ab. Das neue Machtzentr­um liegt in der Fraktion, bei Andrea Nahles. Und Gabriel? Kann er damit seinen Frieden machen? Nach der Wahl fiel er in ein Loch. Am Abend des 24. September stand er im Willy-Brandt-Haus ganz hinten auf der Bühne. Geduckt, erschütter­t. Zehn Tage lang tauchte Gabriel ab. Seine Mitarbei- ter machten sich Sorgen. Dann meldete er sich zurück. Wo? Natürlich in der Heimat. Vom „roten Klops“spricht Gabriel stolz. Während die SPD überall den Bach runterging, verteidigt­en Gabriel und seine Mitstreite­r die Bastion Braunschwe­ig und Umgebung. Er holte mit knapp 43 Prozent wieder sein Direktmand­at – das zweitbeste Ergebnis eines SPD-Kandidaten im ganzen Land.

Gabriel gab dem kremlnahen TVSender Russia Today ein umstritten­es Interview, um die RusslandDe­utschen in seinem Wahlkreis zu erreichen: „Mit denen redet doch sonst keiner.“Demnächst, wenn er nicht mehr „Mister Wichtig“in Berlin ist („Ich hab’ ja jetzt Zeit“), will er einen VW-Bus mieten, einen pensionier­ten Arbeitsrec­htler einladen und jene Stadtteile abklappern, wo 40 Prozent der Menschen AfD gewählt haben. Die SPD dürfe der schwierigs­ten aller Fragen jetzt nicht ausweichen: „Warum waren wir so sehr zufrieden mit unserem Programm, aber die Wählerinne­n und Wähler nicht?“Der Fokus auf sozialer Gerechtigk­eit habe die Menschen nicht überzeugt. Die Deutschen hätten auf Stabilität geschaut – und dort, wo der Staat Schulen, Krankenhäu­ser und Bushaltest­ellen dichtgemac­ht habe, aus Protest die Rechten gewählt.

Gabriel kennt die Mechanisme­n in der SPD. Unter seiner Führung wurden die Pleiten von 2009 und 2013 verdrängt. „Die Lieblingsa­usrede ist, die Plakate waren schlecht.“Einfach werde es nicht, es gebe sicher viele Gründe. Die SPD sei nicht nah genug an den Alltagssor­gen der Bürger, zu elitär. Gabriels Funktionär­s-Bashing ist berüchtigt. „Könnt ihr euch vorstellen, im SPD-Ortsverein steht einer auf und sagt: Ich bin Raucher, gucke RTL und finde das mit den Flüchtling­en schwierig“, fragt er in die Runde. „Oder schließen wir ihn unmittelba­r aus der SPD aus?“Irgendwann werde er sich mit Vorschläge­n zur SPD-Erneuerung zu Wort melden. Für viele in der Partei dürfte

 ?? Foto: Silas Stein, dpa ?? SPD Außenminis­ter Sigmar Gabriel bei seinem heiteren Wahlkampf Auftritt im „Café Spesso“in Hannover: „Schöne Grüße an den einzigen Menschen mit Verstand in Ihrer Familie!“, richte ihm Edmund Stoiber immer für seine Frau aus.
Foto: Silas Stein, dpa SPD Außenminis­ter Sigmar Gabriel bei seinem heiteren Wahlkampf Auftritt im „Café Spesso“in Hannover: „Schöne Grüße an den einzigen Menschen mit Verstand in Ihrer Familie!“, richte ihm Edmund Stoiber immer für seine Frau aus.

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