Wenn das Kind in die Pubertät kommt
Warum Heranwachsende provozieren wollen und wie Eltern darauf auf keinen Fall reagieren sollten, weiß der Psychologe und Buchautor Allan Guggenbühl
Pubertät ist gerade ein großes Thema. Der Autor Jan Weiler etwa ist überaus erfolgreich mit seinem Roman „Das Pubertier“und den Verfilmungen. Herr Guggenbühl, Sie hatten ja als 13-Jähriger ein einschneidendes Erlebnis, als Sie an einem Kiosk in Zürich die „Bravo“kaufen wollten. Was ist damals genau passiert?
Ich war begeistert von den Beatles, den Kinks und den Rolling Stones und hatte mir die Haare wachsen lassen und sie über die Stirn gekämmt. Ich verlangte die „Bravo“. Die Verkäuferin schnaubte total entsetzt: „An einen solchen Langhaardackel verkaufe ich sicher nichts.“Ein älterer Mann sagte: „Geh erst mal zum Coiffeur!“Diese Reaktionen empfand ich als großartig. Ich hatte das Gefühl, jetzt werde ich gesehen. Man hat sich über mich geärgert, also gibt es mich!
Mit so einer Frisur kann man als Jugendlicher heute niemanden mehr schocken. Ist es für junge Leute schwerer geworden sich abzugrenzen?
Ja, das ist so. Es ist für Jugendliche schwieriger, sich gegenüber den Erwachsenen als Rebellen zu erleben. Doch die Jugend will die ältere Generation ja gerade provozieren, sie erstaunen, empören oder erreichen, dass sie sich entrüstet abwendet. Heute streben die Erwach- senen Harmonie an, der Konsens ist wichtig und Gegensätze werden übertüncht. Jugendliche brauchen jedoch auch eine Bühne um sich als Gegenfiguren zu inszenieren. Warum?
Diese Abgrenzung ist wichtig, damit sie sich ablösen und das eigene Selbstwertgefühl stärken. Für Jugendliche ist es ärgerlich, wenn sie nur Erwachsene um sich haben, die sie partout verstehen wollen und die alles nachvollziehen können, was sie sagen. Sie wollen nicht, dass die Erwachsenen immer gleicher Meinung sind. Nur so können sie ein eigenes Profil entwickeln. Was bedeutet es für einen Jugendlichen, wenn Eltern in einer Situation, die eskaliert, gleichgültig bleiben oder sogar Verständnis aufbringen?
Das Schlimmste ist, wenn Eltern und Lehrer gleichgültig sind und sagen: „Das musst du selber entscheiden.“Dann fühlen sich die Jugendlichen verloren. Sie brauchen Menschen, an denen sie sich reiben können. In vielen Schulen wagen die Erwachsenen nicht, sich den Jugendlichen liebevoll entgegenzusetzen und finden alles cool, was die Jugend sagt.
Bei pubertierenden Jugendlichen haben Eltern zuweilen den Eindruck, dass sich alle Erziehung, alle Werte, die sie ihnen beigebracht und vorgelebt haben, in Luft aufgelöst haben. Ist das so?
Viele Jugendliche treiben es so weit, bis die Eltern das Gefühl haben, sie seien in der Erziehung gescheitert. Dieses Gefühl bei den Eltern auszulösen, wird von den Jugendlichen unbewusst beabsichtigt. Auf diese Weise können sie sich von den Eltern lösen. Die harsche Gegenreaktion der Alten ist der erste Baustein der eigenen Identität.
Und die Erziehung, die Werte?
Die überwiegende Mehrzahl der Jugendlichen übernimmt sehr viel von den Eltern und teilt ihre Werte. Aber während der Jugendphase brauchen viele Jugendliche etwas anderes. Sie wollen das Gefühl haben, dass sie nicht verstanden werden. Das geschieht über Provokationen und Eskalationen, sodass die Eltern meinen, jetzt ist Hopfen und Malz verloren.
Oft sind es Kleinigkeiten, an denen sich ein Streit entzündet.
Die Eltern müssen ihren Standpunkt vertreten, auch wenn sie spüren, wie ihr Einfluss schwindet. Sie müssen ihre Energie in die Auseinandersetzung einbringen und dieser auch Zeit geben. Dazu gehört, dass sie es aushalten, dass man sich nicht versteht und dass es auch Phasen gibt, in denen man nicht kommuniziert. Es ist für viele Eltern schwierig zu ertragen, dass der Sohn oder die Tochter sich widersetzen und sagen: „Nein, ich räume jetzt nicht auf“– und dann in ihrem Zimmer verschwinden. Das heißt, es muss auch Phasen geben, in denen Sendepause ist?
Das Gespräch ist in der Psychologie lange überschätzt worden. So wurde immer gesagt: „Man muss mit den Jugendlichen reden.“Doch das stimmt nur bedingt. Natürlich ist das Gespräch wichtig, doch nicht in jeder Situation. Oft ist es so, dass Eltern einen längeren Spannungszustand durchstehen müssen. Man versteht sich dann eben nicht. Jugendliche ärgert es, wenn Eltern dauernd reden wollen. Eltern müssen akzeptieren, dass es Zeiten gibt, in denen kein Dialog stattfindet. Danach kommt man dann wieder zusammen.
Interview: Birgit Hofmann
65, ist Schweizer Psychologe, Professor in Zürich und Au tor von „Pubertät – echt ätzend“(Kreuz Verlag).
Was im Herbst 1977 in Deutschland passierte, war ein dramatisches Justizdrama, das die Republik erschütterte – der „Deutsche Herbst“wurde zum Symbol des Terrors. Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin begehen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim offenbar Suizid, Baader und Raspe erschießen sich. Ihre Partnerin Gudrun Ensslin erhängt sich dort.
Im Rückblick will sich das Gedächtnis sträuben angesichts der Ereignisse – mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und der Entführung der Lufthansamaschine „Landshut“, die vor kurzem wieder nach Deutschland zurückkehrte. Wie kann man aus dem Stoff einen „Tatort“machen?
Regisseur Dominik Graf aktualisiert die Geschichte, behält Bezüge dennoch bei und schickt Hauptkommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) auf eine Gratwanderung. Auslöser der Story ist eine Frauenleiche und Lannert/Bootz ermitteln entgegen der Weisung des Oberstaatsanwalts. Was auch sonst. Selbst wenn Richy Müller eine Spur zu jung wirkt, erinnert er sich als „Sympathisant“an Protest und Kampf jener Jahre, dass Kollege Sebastian Bootz (Felix Klare) nur so staunt. Für die kriminalistische Schiene sorgt vor allem ein abgetakelter V-Mann, den Hannes Jaenicke ein bisschen rotzig spielt. Der hat offenbar einen „Doppelgänger“bei der RAF, was die Spannung des Films erhöht.
Regisseur Graf beweist seine Hand für gesellschaftlich brisante Stoffe und intelligente Bildführung. Ob es ihm aber mit den historischen Filmschnipseln gelingt, junge Leute für das Thema „Deutscher Herbst“zu interessieren, bleibt fraglich. Doch die Einschübe machen in ihrer Direktheit deutlich, wie der aggressive Protest den gewaltsamen Widerstand gebar, bis hin zum Terrorismus. Dass die Staatsschützer hinter den Morden stecken, ist eine gängige Version, die noch immer diskutiert wird. Rupert Huber