Neu-Ulmer Zeitung

Die Bedenken sind wie weggeblase­n

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Zu hören ist jetzt vor allem uneingesch­ränkte Verehrung.

„Sebastian Kurz hat die ÖVP aus dem Tal der Tränen herausgefü­hrt“, sagt etwa der steirische Landeschef Hermann Schützenhö­fer, der sein Land zusammen mit der sozialdemo­kratischen SPÖ regiert. „Er hat jetzt das Sagen, aber er ist gescheit genug, seine großen Entscheidu­ngen mit denen zu besprechen, die ihn auch in schweren Tagen mittragen.“In der Steiermark fuhr die rechtspopu­listische FPÖ jahrelang die besten Wahlergebn­isse ein. Nun hat Kurz dort elf Prozentpun­kte hinzugewon­nen, die ÖVP liegt in dem Bundesland wieder vorn und Schützenhö­fer steht stärker hinter ihm denn je.

Aber wer wird derjenige sein, der Kurz als Koalitions­partner mitträgt? Die SPÖ, nun als Junior, wofür Schützenhö­fer plädiert? Jene SPÖ, von der sich die Konservati­ven im Zorn getrennt haben. Noch-Kanzler Christian Kern sagt: „Wir wollen Verantwort­ung übernehmen, in welcher Form, wird sich weisen.“Heißt auch: Er will selbst ein Bündnis mit den Populisten ausloten. Dann könnte er Kanzler bleiben.

Zunächst liegt der Ball aber bei Sebastian Kurz. In seinem Fall liegt eine Koalition mit der FPÖ deutlich näher; inhaltlich trennt die Parteien wenig. Und wem die „soften“Argumente wichtig sind, der hat am Wahlsonnta­g auch Futter bekommen, als Kurz-Freundin Susanne Thier, eine 30-jährige Wirtschaft­sexpertin, und Philippa Strache, 29, Frau von FPÖ-Chef Heinz-Christi- an Strache, wie beste Freundinne­n vor den Kameras posierten. Am Tag danach legt ein um Gelassenhe­it bemühter Sebastian Kurz vor allem auf eines wert: Alles ist möglich. Schwarz-Blau, Schwarz-Rot, sogar eine Minderheit­sregierung. Wenn keiner mit ihm wolle, dann werde er sich seine Mehrheiten punktuell suchen. Der Poker hat begonnen.

So oder so: Der neue starke Mann heißt Sebastian Kurz. Er ist derjenige, von dem sich die Österreich­er Veränderun­gen erhoffen, ja in manchen Dingen eine politische Wende. Das Neue, das Unkonventi­onelle durchzieht seine ganze Entwicklun­g. Schon als Sechzehnjä­hriger versuchte Kurz, sich in der Jungen Volksparte­i zu engagieren – und scheiterte da noch an der Lethargie der Wiener Funktionär­e. Als braver Sohn eines Ingenieurs und einer Lehrerin aus dem Wiener Bezirk Meidling, wo er heute mit seiner Freundin wohnt, entwickelt­e er in der Schule Kinderbetr­euung als Geschäftsi­dee. Als Jurastuden­t wurde er Chef der Jungen Volksparte­i in Wien. Im Wahlkampf 2010 tourte er mit einem „Geilomobil“und halbnackte­n Mädchen durch die Stadt. Das brachte ihm Aufmerksam­keit.

FPÖ-Mann Strache sagte kürzlich: „Manchmal habe ich das Gefühl, er wollte eigentlich nur Klassenspr­echer werden, und dann ist Ganze eskaliert.“Kurz schuf als Chef der Jungen Volksparte­i ein Netzwerk, das in alle ÖVP-Ministerie­n und -Gremien reichte, und als begabter Kommunikat­or gelang es ihm, sich zur letzten Hoffnung der dahinsiech­enden ÖVP aufzubauen. Interne Papiere belegen, dass er seit Anfang 2016 den Posten des Parteichef­s anstrebte und am Stuhl des damaligen Amtsinhabe­rs Reinhold Mitterlehn­er sägte. Am 10. Mai 2017 gab dieser auf. Und am 14. Mai beendete Kurz die Koalition mit der SPÖ. Das ist die eine Schiene.

Die andere ist seine Karriere im Außenminis­terium. 2011 machte der damalige Parteichef und Außenminis­ter Michael Spindelegg­er den erst 24-jährigen Kurz zum Integratio­nsstaatsse­kretär, zuständig auch für Flüchtling­e. Bis zum Ministerpo­sten 2013 war es dann nicht mehr weit. Er habe schon früher zu Flüchtling­en einen „realitätsn­ahen Zugang statt eines romantisch­en“gehabt, „aber nie einen ablehnende­n“, sagte Kurz einmal. Seine Eltern, auch das muss man wissen, waren während der Bosnienkri­se in der Flüchtling­sbetreuung aktiv.

Die Flüchtling­sfrage, das bestätigen die Meinungsfo­rscher, hat ihm den Wahlsieg garantiert. Kurz’ Taktik war es, langjährig­e FPÖForderu­ngen zu diesem Thema in weichgespü­lter Form und ohne Schaum vor dem Mund zu transporti­eren. Die frühere österreich­ische Außenminis­terin Ursula Plassnik, inzwischen Botschafte­rin in der Schweiz, findet: „Er ist ein Symbol der Erneuerung. Nicht unbedingt rechts, sondern eher populistis­ch.“

Das zeigt auch sein rascher Meidas nungswechs­el in der Flüchtling­spolitik. Noch im September 2015 war Kurz, ebenso wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel, ein Anhänger der Willkommen­skultur gewesen. Im Februar zuvor hatte er ein auch in Deutschlan­d gelobtes Islamgeset­z durchs Parlament gebracht, das die Finanzieru­ng österreich­ischer Moscheen durch die türkische Religionsb­ehörde stoppen sollte. Dass Kurz damals sagte: „Der Islam gehört zu Österreich“, hielt ihm FPÖChef Strache noch in diesem Wahlkampf vor. Von 2016 an trieben die veränderte Stimmung in der Gesellscha­ft und das Vorbild Ungarn den Minister immer weiter in flüchtling­skritische Positionen. Er brüstete sich damit, die Westbalkan­route geschlosse­n zu haben. Und er kritisiert­e das Türkei-Abkommen der EU. Immer stärker grenzte er sich in dieser Frage von Merkel ab.

Die Flüchtling­spolitik dominierte auch seine Wahlkampag­ne. Nach der Westbalkan­route will er nun die Mittelmeer­route schließen. Flüchtling­e aus Afrika sollen außerhalb der EU in „Rescue Centern“untergebra­cht werden. Eine zweite Forderung ist der Stopp der Zuwanderun­g in die österreich­ischen Sozialsyst­eme. Darunter ist zu verstehen, dass viele Flüchtling­e und anerkannte Asylbewerb­er Leistungen aus Steuergeld­ern beziehen. Sie sind je nach

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Fotos: Matthias Schrader, dpa Da haben sich zwei gefunden: Susanne Thier (li.), Freundin von Sebastian Kurz, und Philippa Strache, Frau von FPÖ Chef Heinz Christian Strache, plaudern über ihre Frisuren.
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