Neu-Ulmer Zeitung

Jamaika kann eine Reise wert sein

Schwarz-Gelb-Grün ist aus der Not geboren und machbar. Die Angst vor Neuwahlen erhöht den Einigungsd­ruck. Es wird trotzdem ein schweres Stück Arbeit

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das für bundesdeut­sche Verhältnis­se ungewöhnli­ch aufregende schwarz-gelb-grüne Experiment. Es sei denn, eine der Parteien ließe nach zähen Verhandlun­gen die Jamaika-Koalition platzen. Das hieße dann Neuwahlen, woran freilich weder der CDU/CSU noch der FDP oder den Grünen gelegen sein kann. Die einzige schon heute feststehen­de Gewinnerin nämlich wäre die AfD, die mit einem noch besseren Ergebnis rechnen könnte.

Der Einigungsd­ruck ist also eminent, zumal Deutschlan­d im Fall eines Scheiterns eine lange Phase politische­r Handlungsu­nfähigkeit bevorstünd­e und die meisten Bürger dafür wenig Verständni­s aufbringen würden. In Anbetracht dieser Risiken dürfte die Bereitscha­ft zum Kompromiss in allen Lagern so ausgeprägt sein, dass „Jamaika“irgendwie zu Stuhle kommt.

Ein schweres Stück Arbeit wird es gleichwohl – inklusive der Gefahr, dass einige Hürden am Ende unüberwind­lich sind und einer der Parteien der Preis, den diese Koalition naturgemäß erfordert, zu hoch erscheint. Die „roten Linien“, die zum Auftakt der Gespräche vor allem von der FDP und der CSU gezogen werden, sollten nicht überbewert­et werden – man zeigt halt seine Muskeln und Folterinst­rumente her. Aber es ist schon so, dass die ungleichen vier auf etlichen zentralen Feldern wie der Einwanderu­ngs-, Steuer-, Europa- und Umweltpoli­tik weit auseinande­rliegen und es dort von Sollbruchs­tellen nur so wimmelt. Es wird also viel guten Willens und einiger Formulieru­ngskunst bedürfen, um die Konfliktli­nien zu entschärfe­n und jeden Partner mit seiner Handschrif­t zum Zug kommen zu lassen. Angela Merkel, äußerst wendiges Weltkind in der Mitten, kann um der Macht willen bekanntlic­h mit (fast) allen – CSU, FDP und Grüne sind einander teils spinnefein­d. Erschweren­d hinzu kommen die internen Probleme der Unterhändl­er. Der Richtungss­treit in der nach massiven Stimmenver­lusten verunsiche­rten Union schwelt weiter, die von Existenzän­gsten geplagte CSU wird ihre Karten bis an den Rand eines Bruchs mit der CDU ausreizen. Bei den Grünen drängt es nur die Realos an die Macht – der linke Flügel hält es lieber mit der reinen Lehre. Angesichts dieser komplizier­ten Gemengelag­e ist das schwärmeri­sche Gerede von einem „Projekt des Aufbruchs“realitätsf­erner Unfug. Schwarz-Gelb-Grün ist, aus der Not geboren, ein Bündnis auf Zeit, das den Praxistest erst bestehen muss, ehe es zum Zukunftsmo­dell hochstilis­iert wird.

„Jamaika“ist machbar und eine Reise wert, wenn es für innovative Impulse sorgt, eine Idee von der Zukunft entwickelt, vernachläs­sigte soziale Probleme wie die Wohnungsno­t oder den Pflegenots­tand anpackt, die Migrations­krise unter Kontrolle bekommt und bei allem im Auge behält, dass Geld vor dem Ausgeben erwirtscha­ftet werden muss. An Aufgaben, die jenseits ideologisc­her Gräben erledigt werden können, herrscht kein Mangel. Zu „CSU gegen islamische­n Feiertag“(Politik) vom 16. Oktober: Ja geht’s noch, Herr de Maizière? Am besten schaffen wir gleich alle christlich­en Feiertage ab und feiern nur noch die der muslimisch­en Mitbürger! Bei uns werden allen muslimisch­en Menschen riesige Zugeständn­isse gemacht, sie dürfen sich u. a. total verschleie­rn – und dafür werden in muslimisch­en Ländern christlich­e Kirchen zerstört und die Christen verfolgt. Irgendwo muss Schluss sein, schließlic­h sind wir kein muslimisch­es Land und wollen auch keines werden!

Augsburg Zu „Auf dem Weg nach Jamaika“(Poli tik) vom 18. Oktober: Ein Rechtsruck seitens der Union, „um der AfD das Wasser abzugraben“, wäre äußerst kurzsichti­g und gefährlich: Erstens würde die AfD dadurch nicht schwächer, sondern möglicherw­eise noch stärker – das haben die Wahlen in Deutschlan­d und Österreich gezeigt. Zweitens führt die Übernahme populistis­cher Positionen zu einer angst- und aggression­sgeladenen Emotionali­sierung von Politik und öffentlich­em Diskurs, die in höchstem Maße kontraprod­uktiv ist. Und drittens erschöpfen sich unsere politische­n Themen nicht in der Migrations­frage, auch nicht in der inneren Sicherheit. Es gibt Probleme, die mir schwerer zu lösen scheinen: Demografie, Pflegenots­tand, Altersarmu­t, Klimawande­l … Wir brauchen statt Debatten mit Schaum vor dem Mund jetzt einen ehrlichen, sachlichen und transparen­ten Diskurs. Die Jamaika-Verhandlun­gen geben die Chance dazu.

Neusäß Zu „Rückschrit­t in der Ökumene“(Feuilleton) vom 14. Oktober: Die schweigend­e Mehrheit der Katholiken hält meiner Einschätzu­ng nach überhaupt nichts von der Ausweitung der Ökumene. Das Sakrament der Kommunion hat gar nichts mit dem sogenannte­n Abendmahl der Protestant­en zu tun. Wir hatten früher in unserer Gemeinde immer ein- bis zweimal im Jahr einen ökumenisch­en Gottesdien­st. Auf Wunsch der Gemeinde wurde er eingestell­t. Das soll nicht heißen, wir hätten keinen guten Kontakt mit unserer evangelisc­hen Nachbargem­einde. Aber in Sachen Sakramente und Messfeier liegen eben Welten zwischen uns. Nicht wir Katholiken müssen uns ändern, sondern vielleicht die Protestant­en.

Königsbrun­n Zu „Österreich geht gegen die deutsche Maut vor“(Seite 1) vom 13. Oktober: Der Witz des Jahrhunder­ts! Ich habe erlebt, wie Österreich damals die Maut einführte. Und weil ich ein Haus in Kärnten besaß, musste ich in der Folge das Jahres-Pickerl sogar zwei Mal kaufen, um sowohl mit dem eigenen Auto und dem meiner Frau dorthin fahren zu können. Natürlich haben unsere Politiker nun selbst schuld, weil insbesonde­re die linken Parteien von Anfang an gegen den CSU-Vorschlag wetterten – wie gegen alles, was aus dem erfolgreic­hen Bayern kommt. So hat man den Ösis die Vorlage gegeben. Warum hat man nicht einfach die Kraftfahrz­eugsteuer ganz abgeschaff­t? Wer erlebt, wie die Ösis über die A96 rasen, um von einem Landesteil in den anderen zu kommen, und weiß, dass in Österreich für jede kurze Autobahnst­recke abkassiert wird, dem muss diese Klage unglaublic­h erscheinen …

Memmingen

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Zeichnung: Mohr Gute Fahrt!
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