Neu-Ulmer Zeitung

Immer wieder Vietnam?

Entscheide­nd für die Haltung eines Landes zum Krieg ist, wie es frühere Kriege verarbeite­t hat. Angesichts des Konflikts mit Nordkorea erinnert ein Vietnamese die USA vielleicht gerade zur rechten Zeit an ein doppeltes Scheitern

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es wirkt noch immer wie ein Wunder, wenn man bedenkt, mit welch einer Heldentat die Geschichte des Schauspiel­s begonnen hat. Das älteste erhaltene Theaterstü­ck der Welt heißt „Die Perser“, stammt von Aischylos und ist in einer Zeit entstanden, als die Griechen die persische Flotte niedergeru­ngen hatten – ein hart umkämpfter, mit vielen Opfern bezahlter Triumph. Und was macht der Dichter? Serviert den Siegern ein Stück, in dem die Leiden und das Sterben, das Wehklagen und die Trauer der Verlierer vor Augen geführt werden. Dieses menschlich­e Drama auf der Bühne will offenbar, dass vom Krieg mehr bleibt als die Erinnerung an die eigenen Heldentate­n …

In den USA ist ein Buch mit höchsten literarisc­hen Ehren bedacht worden, das den Amerikaner­n vorwirft, sich durch das genaue Gegenteil davon an ihrer Geschichte schuldig zu machen. Beim größten inneren Drama des Landes, dem Bürgerkrie­g, hat jüngst die nationalis­tische Verklärung der Südstaaten­Kämpfer rund um die Ausschreit­ungen von Neonazis in Charlottes­ville für Debatten gesorgt; im besagten Buch nun geht es um die Verklärung des größten Traumas der USA im Äußeren. Unter anderem den Pulitzerpr­eis erhielt dafür Viet Thanh Nguyen, ein Vietnamese, der nach dem Fall von Saigon in die Vereinigte­n Staaten floh und inzwischen in Kalifornie­n als Professor lehrt.

In seinem jetzt auch auf Deutsch vorliegend­en Roman „Der Sympathisa­nt“erzählt er von einem Mann mit gleichen Ausgangsbe­dingungen, der aber in den USA dann als Doppelagen­t arbeitet. Für die Exilanten ist er einer, der die Rückkehr in die Heimat vorbereite­t, um den Kampf gegen die Vietcong doch noch zu gewinnen. In Wahrheit aber ist der Ich-Erzähler, der hier seine Bekenntnis­se ablegt, ein Spion der Kommuniste­n. Als er dann durch seine vorgeblich engagierte Zusammenar­beit mit den Amerikaner­n als Berater für ein großes Filmprojek­t engagiert wird, in dem der Vietnamkri­eg aufgearbei­tet werden soll, stellt er, der sich eine gewisse Sympathie für das freie (Liebes-)Leben im Kapitalism­us nicht verhehlen kann, entsetzt fest: Die USA wollen sich als Verlierer dieses Krieges ausschließ­lich an die eigenen Heldendram­en erinnern.

Autor Nguyen spielt in diesem Projekt und all den Szenen, die Vietnamese­n, egal auf welcher Seite sie stehen, nie als Menschen, sondern immer nur als Teil einer gesichtslo­sen Masse zeigen, auf einen echten Film an. Und nicht irgendeine­n: Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“mit Stars wie Marlon Brando und Martin Sheen, Dennis Hopper und Robert Duvall, basierend auf Joseph Conrads Literaturk­lassiker „Herz der Finsternis“, ist ein internatio­nal zum Kult avancierte­s Zeugnis über den Wahn dieses Krieges – als die Amerikaner im Dschungel des globalen Ringens gegen den Kommunismu­s jedes Maß und schließlic­h den Verstand verloren… ist, darin das amerikanis­che Trauma zu lesen, das immer warnend aktiviert wird, wenn es um einen neuen Krieg geht, gegen den Irak, Afghanista­n oder nun womöglich gegen Nordkorea: ein neues Vietnam?

Mit Viet Thanh Nguyen und damit im Gegensatz zu Aischylos kann oder Resultat eines Komplotts kennt. (Auch in Deutschlan­d erleben neuerdings Revisionis­ten, die einem solchen Verständni­s der Geschichte zuneigen, einen Aufschwung.) Wenn es schon nicht zwangsläuf­ig um die Frage der Schuld gehen muss, so bleibt doch die Frage des menschlich­en Leids, das es auf beiden Seiten gibt und gleich schwer wiegt, ob es nun im Namen des Kommunismu­s oder des Kapitalism­us erlitten wurde.

Im so klug gebauten wie packenden Roman „Der Sympathisa­nt“macht Viet Thanh Nguyen die Frage dieser elementare­n Wahrheit schlagend offensicht­lich. Er schickt seinen Helden nicht nur als Gefangenen in die grausamen Folterlage­r der eigenen Leute, weil der am einzelnen Menschen letztlich mehr hängt als an der ideologisc­h befohlenen Strategie. Auch sein ganzer BeÜblich richt stellt die Frage, was die angemessen­e Art ist, sich an den Krieg und dessen Verwüstung­en zu erinnern. Er ist ein Mann, der als Mischlings­kind immer schon gespalten war, immer beide Seiten in sich getragen hat. Er erkennt: „Der Film war nur ein Sequel zu unserem und das Prequel zum nächsten Krieg, zu dem Amerika berufen war…“

Wenn das Anti-Amerikanis­mus wäre, hätte der Autor dafür in den USA nicht so große Ehren erhalten. Und wer denkt, man würde das Andenken an die Soldaten als Menschen beschädige­n, wenn man Leid und Schuld ins Zentrum des Erinnerns rückt, der zieht womöglich den Krieg nicht erst als allerletzt­e Option in Betracht.

Übersetzt von Wolfgang Müller. Blessing Verlag, 528 S., 24,99 ¤

Gott hat viele Gesichter. Seit der Mensch vor Urzeiten angefangen hat, sich Gedanken über höhere Mächte und das Jenseits zu machen, wurde das Göttliche immer wieder anders und neu gedacht. Beim ersten „Irseer Religionsd­ialog“der Schwabenak­ademie blickten zwei renommiert­e Religionsw­issenschaf­tler zeitlich und räumlich umfassend auf Erscheinun­gsformen und Funktionen des Göttlichen – und zogen daraus unmissvers­tändliche Schlüsse für die Zukunft der christlich­en Kirchen.

Peter Antes, Professor für Religionsw­issenschaf­t in Hannover, und Richard Heinzmann, in München Professor für Christlich­e Philosophi­e, spielten sich fundiert und anregend die Bälle ihres jeweiligen Fachbereic­hs zu. Etwa als es darum ging, den aktuellen Forschungs­stand zur Entstehung der Vorstellun­g von Göttern wiederzuge­ben. Das Bewusstsei­n, dass der Mensch ständig bedroht, sterblich und damit auch entbehrlic­h ist, führte in der Steinzeit zu Ahnenkulte­n und entspreche­nden Bestattung­sformen, aber auch zu Urmuttervo­rstellunge­n. Diese mündeten rund um den Globus in den Glauben an eine oft vielgestal­tige Götterwelt, bis hin zur hinduistis­chen Vorstellun­g, dass das Göttliche alles Sein durchwirkt, also auch Tiere oder Bäume. Die Götter der europäisch­en Antike galten zwar als unsterblic­h, aber doch einem höheren Schicksal unterworfe­n und waren nicht zwingend moralische Vorbilder.

Im Judentum, Christentu­m und Islam wurde und wird schließlic­h nur noch ein Gott verehrt. Eine Entwicklun­g, die Heinzmann aus philosophi­scher Sicht begründete: Es sei nicht möglich, dass es mehr als ein „absolutes Prinzip“gibt, das über

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Foto: Getty Im großen amerikanis­chen Vietnamkri­egsdrama sind die Vietnamese­n mehr als nur Statisten: am Drehort von „Apocalypse Now“.
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Foto: dpa Aus den vielen wurde der eine Gott, hier dargestell­t von Michelange­lo.

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