Erhabene Emotionen
Philharmoniker und Motettenchor führen in der Pauluskirche Werke von Bach und Generalmusikdirektor Timo Handschuh auf
Dieses Konzert ist für fast jeden etwas Besonderes. Für die Gemeinde der Pauluskirche, weil sie die Ulmer Philharmoniker zu Gast hat. Für Generalmusikdirektor Timo Handschuh, weil er erstmals mit „seinem“Orchester in Ulm eigene Kompositionen aufführen kann. Und vor allem auch für das Publikum, das in dem zu etwa drei Viertel gefüllten Gotteshaus eine außergewöhnliche Mischung zu hören bekommt: Festliches Barock trifft auf spätromantische Emotion. Eine Liaison, die funktioniert, weil Dirigent Handschuh eben nicht nur die Kontraste herausarbeitet, sondern auch das Romantische im Barocken und das Barocke im Romantischen zu akzentuieren versteht.
Das Konzert, so erklärt Pfarrer Adelbert Schloz-Dürr eingangs, ist auch als Beitrag zum Gedenken an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren. Was ihm gefällt: Die Abfolge der einzelnen Beiträge, der Wechsel zwischen reiner Instrumentalmusik und Wortbeiträgen, erinnere ihn an einen evangelischwürttembergischen Predigtgottesdienst. Und die Tatsache, dass mit Handschuhs „Messa sublime amore“auch ein katholisches Werk auf dem Programm steht, zeige: „Wir können das Reformationsjahr nur gemeinsam feiern.“
Die Eckpfeiler des Konzerts stammen jedoch von einem, der aus dem evangelischen Leben nicht wegzudenken ist, erst recht im Jubiläumsjahr: Johann Sebastian Bach (1685-1750). Alle drei Bach-Violinkonzerte hat Handschuh für die Pauluskirche ausgewählt, wodurch gleich vier Vertreter der Ersten Geige zu Solo-Ehren kommen: Zunächst Sören Bindemann mit dem Violinkonzert a-Moll (BWV 1041), dann Eduard Sonderegger mit dem E-Dur-Gegenstück (BWV 1042), zuletzt Konzertmeister Tamás Füzesi und Yuki Kojima mit dem Konzert für zwei Violinen in d-Moll (BWV 1043). Drei schöne, spieltechnisch anspruchsvolle Werke, ideal, um die Klasse der Orchestermusiker unter Beweis zu stellen, wobei der intensivste Vortrag Bin- demann gelingt, der vor allem das Andante so romantisch glimmen lässt, dass von barocker Strenge keine Rede sein kann. Handschuh selbst musiziert, ganz barocker Kapellmeister, natürlich auch selbst mit: am Cembalo.
Neugieriger sind die Zuhörer freilich auf die anderen Werke des Abends: die von Handschuh selbst. Zunächst zwei Lieder für Sopran und Streicher, für die Sopranistin Maria Rosendorfsky auf die Bühne aufgeführt, schon damals mit den Streichern der Ulmer Philharmoniker und Solistin Maria Rosendorfsky. In der Pauluskirche wird dieses Gespann durch den Motettenchor der Münsterkantorei ergänzt, mit dessen Leiter Friedemann Johannes Wieland selbst unter den Sängern. Ein evangelischer Chor singt in einer evangelischen Kirche eine katholische Messe – die allerdings den liturgischen Rahmen klanglich hinter sich lässt. Denn durch die „Messe der erhabenen Liebe“weht wieder der Geist der Romantik. Im feierlichen „Gloria“klingt noch Bach’sches Barock an, das „Credo“ist farbenreich und kontrastreich wie eine kleine Sinfonie. Handschuhs Werk ist vielleicht nicht modern, tonale und harmonische Verwerfungen gibt es praktisch nicht, aber dennoch gegenwärtig und hochemotional. Es verrät den ausgebildeten Kirchenmusiker ebenso wie den Opernliebhaber.
Und zum Schluss spenden Orchester und Chor dem Publikum sogar noch einen Segen, genauer gesagt „Aarons Segen“als achtstimmigen Choral mit Streicherbegleitung – und das, wegen des großen Beifalls, gleich zweimal.