Neu-Ulmer Zeitung

Die Wut des John le Carré

Der englische Autor spricht über alte und neue Ost-West-Konflikte, über Trump und über den Brexit. Und erklärt, weshalb er den Faden seines ersten Romanerfol­gs wieder aufnimmt

- Interview: Andrej Sokolow, dpa

In Ihrem neuen Buch greifen Sie noch einmal die Geschichte Ihres ersten großen Erfolgs „Der Spion, der aus der Kälte kam“auf, die mitten im Kalten Krieg spielte. Sehen Sie Parallelen zur heutigen Zeit?

Ich glaube nicht, dass ein Vergleich mit dem Kalten Krieg passt. Die Rolle Amerikas ist heute eine andere. Amerika ist zwar weiterhin unerbittli­ch kapitalist­isch – zum eigenen Leidwesen –, aber es ist nicht mehr der Beschützer des Westens. Es läuft auch keine Konfrontat­ion zwischen Sozialismu­s und Kapitalism­us. Ich sehe aber einen unerbittli­chen Wettstreit beider Seiten um einen Ort: Europa.

Was ist die Motivation der Russen?

Die Besessenhe­it der russischen Seite mit Europa ist grenzenlos. Einerseits wollen sie als Europäer angesehen werden, anderersei­ts den Europäern zeigen, dass sie etwas Besseres sind. Aber in Wirklichke­it zahlen wir einen gewaltigen Preis dafür, dass wir Russland nicht aufrichtig die Hand ausgestrec­kt haben, als die Sowjetunio­n in Trümmern lag. Kein Marshall-Plan, keine umfassende Vision für eine neue Welt. Es regierte die Gier: Sich greifen, was geht, den Kadaver zerfledder­n. Wir haben Russland erniedrigt, was fatal ist. Und jetzt heizt Putin die nationalis­tische Stimmung an.

Geht es in dem neuen Buch also auch um das Vermächtni­s einer Generation, die den Kalten Krieg gewann, aber danach westliche Werte nicht zu verteidige­n wusste?

Ja. Außergewöh­nlich ist heute, dass soziale Demokratie gleichzeit­ig aus Ost und West angegriffe­n wird. Trump und Putin vereint dieses Bestreben, die liberale Demokratie zu untergrabe­n. Dabei gibt es nichts, was sie ersetzen kann. Man erschafft nur Anarchie, die Demagogen hervorbrin­gt.

Ist das die größte Gefahr für den Westen heute?

Das glaube ich, ja. Ich fürchte um die Wahrheit in unserer Gesellscha­ft. Mich erschreckt die stete Aushöhlung liberaler Grundsätze in der westlichen Welt, das wird von Trump verkörpert und in Europa kopiert. Aus Amerika kommt gerade der Ansporn, alles falsch zu machen. Ermutigung zu Gier, Grausamkei­t, irrational­en Racheakten. Trump hat eine giftige Atmosphäre erschaffen, der wir alle ausgesetzt sind. Man kann ihn nicht ignorieren. Er wird nicht über Nacht verschwind­en. Er baut ein wirklich schrecklic­hes System auf. Es ist eine Ermunterun­g für Popu- in Ungarn und Polen – und verschärft in Deutschlan­d die Spaltung zwischen Ost und West. Sehen Sie eine Lösung?

Ich glaube an Chancengle­ichheit – über Bildung. Ich glaube daran, dass eine vernünftig­e Gesellscha­ft ihre Elite auf demokratis­che Weise wählt und sich um ihre Verlierer kümmert. Es geht darum, menschlich­es Mitgefühl in die Politik einzubring­en. Das mag abgedrosch­en klingen – aber die Lösung könnte sein, dass anständige Menschen einander finden.

Wie soll das funktionie­ren?

Ich denke, wir sollten Trump und seine Truppe im Moment als Schurkenst­aat betrachten. Ich würde gern sehen, wie amerikanis­che Überfliege­r-Anwälte ihre Roben überziehen und auf die Straße gehen. Sie wissen bestens, dass Trump das Gesetz angreift. Wir brauchen eine energische Geste rechtschaf­fener Menschen. Etwas, was zeigt: Hier ist die Grenze, ab der wir Dinge nicht mehr dulden werden. Kann der europäisch­e Traum eine vereinende Kraft sein?

Es ist das Einzige, was im Moment bleibt. Wir haben leider schlaffe, inkompeten­te Regierunge­n. Die Regierung meines Landes ist eine Katastroph­e. Sie ist so voller eigener Interessen, absurder nostalgisc­her imperialer Visionen, so gespalten, sie kann nichts anführen.

Wie haben Sie die Brexit-Entscheidu­ng aufgenomme­n?

Für mich war sie außerorden­tlich schmerzhaf­t. Ich bin in der ungewöhnli­chen Position, dass ich mir wünsche, dass die Verhandlun­gen meiner Regierung scheitern. Ich möchte, dass die Inkompeten­z unserer Minister deutlich wird. Nielisten mand, der für den Brexit stimmte, stimmte für Armut. Aber wird das weiter so schlecht gemanagt, wird Armut die Folge sein. Seit dem Ende des Kalten Kriegs haben Sie in Ihren Büchern die Schattense­iten des Westens attackiert – was trieb Sie dabei an?

Ich habe die Globalisie­rung schon immer so betrachtet, wie wir jetzt das Silicon Valley sehen – als rücksichts­losen Eingriff in soziale Strukturen. Besonders in Afrika wurden die Megacitys und die Zerstörung des ländlichen Lebens als Verbesseru­ng und Modernisie­rung dargestell­t. Es war nichts dergleiche­n, sondern nur Ausbeutung unter anderem Namen. Ich dachte, dass es nach dem Ende des Kalten Krieges wichtig gewesen wäre, die Welt fairer zu machen. Das Gegenteil war der Fall. Ich glaube, jetzt nähern sich mehr Menschen dieser Idee an, dass wir uns ökologisch und sozial beschränke­n müssen.

Was brachte Sie dazu, für das neue Buch wieder in die 60er Jahre zurückzuke­hren?

Nach dem Erfolg der Serien-Verfilmung des Romans „Der Nachtmanag­er“wurden meine Söhne als Produzente­n bedrängt, ein weiteres großes Projekt zu machen. Sie dachten über eine sechsteili­ge Version von „Der Spion, der aus der Kälte kam“nach. Aber man kann dieses Buch nicht auf sechs Stunden lang ziehen. Wenn man also den Motiven der Figuren auf den Grund gehen will, muss man sich Gedanken über ihre Vorgeschic­hte machen.

Der Meisterspi­on George Smiley, um den es in dem neuen Buch auch wieder geht, was bedeutet er für Sie?

Er ist ein Begriff für Anstand, Pflichtbew­usstsein, all diese bourgeoise­n Werte. Aber von Anfang an – und das ist die Ironie des Namens – war er jemand, für den von Freude nicht die Rede ist. Jemand, der eine Verantwort­ung für den Nächsten fühlt. Und jetzt verzweifel­t er, weil wir es mit so vielen alten Feinden in neuem Gewand zu tun haben und er sich fragt, ob diese Schlacht es wert war.

1931 an der Südküs te Englands geboren, heißt eigent lich David Cornwell. Er war Mitarbei ter des britischen Geheimdien­sts, bevor er sich ab 1964 ausschließ­lich der Schriftste­llerei widmete. Viele seiner Thriller wurden Bestseller. Der neue Roman „Das Vermächtni­s der Spione“erscheint bei Ullstein. Mensch, waren das noch tolle Zeiten. Ten Years After – einfach sensatione­ll. „Hear me Calling“(1969) oder „I’d love to change the world“(1971) – schon allein deshalb hat sich die Gnade der frühen Geburt gelohnt. Unvergessl­ich Alvin Lee, der Gitarrist und Sänger, der im Alter von 69 Jahren 2013 viel zu früh sterben musste. Lange nichts mehr gehört, doch die gibt es noch. „A Sting in the Tale“heißt das Album, das vor kurzem veröffentl­icht wurde. Außer Keyboarder Chick Churchill ist kein Gründungs mitglied mehr dabei. Dennoch ein flottes, melodiöses Album. „Suranne, Suranne“oder „Land of the Vandals“– klingt fast wie in alten Zeiten. (wla) ★★★✩✩

(Butler/H’Art)

Neues entsteht in der Popmusik vor allem durch die kreative Neukombina­tion von Altem. US-Musiker John Maus ist in dieser Disziplin ein Unikat: Er bringt Post-Punk nach Art von Joy Division, Horrorfilm­Sound à la John Carpenter, Kirchenmus­ik und Dada-Texte zusammen. Nach sechs Jahren Pause legt er mit „Screen Memories“ein Album vor, das mit dem Meisterwer­k „We Must Become The Pitiless Censors of Ourselves“(2011) mithalten kann. Dass er es auf einer Farm produziert hat, lässt schon der Opener „The Combine“erahnen: Maus singt zu pompösen Synthieflä­chen und Bläsern – über einen Mähdresche­r. Eigen und grandios. (mgo) ★★★★★ Eine Mannschaft mit Kampfkraft, die jetzt ihre Chance hat. Aus der Deckung schießen, Weltversch­wörer, Hass und Lügen auf der Sieben: Wie die Hamburger Band Kettcar Rechtsauße­n-Denke durch den Volkssport Fußball beschreibt, ist taktisch groß und natürlich plakativ. Aber das geht auch nur so, will man all seine Wut und Überzeugun­gskraft in elf Songs packen. Jede Zeile davon erklärt, warum Kettcar fünf Jahre nach ihrem letzten Album nicht länger schweigen konnten. Für die Melancholi­e der vergangene­n 16 Bandjahre bleibt auf „Ich vs. Wir“kein Platz. Genauso wenig wie für Abwechslun­g in den Gitarrenri­ffs. Das ist bei dieser Platte aber auch nicht spielentsc­heidend. (sari) ★★★★✩

(Domino/Goodtogo) (Gr. Hotel Van Cleef)

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Foto: Christian Charisius, dpa „Wir sollten Trump und seine Truppe als Schurkenst­aat betrachten“: Schriftste­ller John le Carré.
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John Maus: Screen Memories
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Ten Years After: A Sting in the Tale
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Kettcar: Ich vs. Wir

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