Neu-Ulmer Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (28)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

Es war Hochflut; als sie auf den Deich hinaufkame­n, schlug der Widerschei­n der Sonne von dem weiten Wasser ihr in die Augen, ein Wirbelwind trieb die Wellen strudelnd in die Höhe, und neue kamen heran und schlugen klatschend gegen den Strand; da klammerte sie ihre Händchen angstvoll um die Faust ihres Vaters, die den Zügel führte, daß der Schimmel mit einem Satz zur Seite fuhr. Die blaßblauen Augen sahen in wirrem Schreck zu Hauke auf „Das Wasser, Vater! das Wasser!“rief sie. Aber er löste sich sanft und sagte: „Still, Kind, du bist bei deinem Vater; das Wasser tut dir nichts!“Sie strich sich das fahlblonde Haar aus der Stirn und wagte es wieder, auf die See hinauszuse­hen. „Es tut mir nichts“, sagte sie zitternd; „nein, sag, daß es uns nichts tun soll; du kannst das, und dann tut es uns auch nichts!“

„Nicht ich kann das, Kind“, entgegnete Hauke ernst: „aber der Deich, auf dem wir reiten, der schützt uns, und den hat dein Vater ausgedacht und bauen lassen.“Ihre Augen gingen wider ihn, als ob sie das nicht ganz verstünde, dann barg sie ihr auffallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke ihres Vaters.

„Warum versteckst du dich, Wienke?“raunte der ihr zu; „ist dir noch immer bange?“Und ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des Rockes: „Wienke will lieber nicht sehen; aber du kannst doch alles, Vater?“

Ein ferner Donner rollte gegen den Wind herauf „Hoho?“rief Hauke, „da kommt es!“und wandte sein Pferd zur Rückkehr. „Nun wollen wir heim zur Mutter!“

Das Kind tat einen tiefen Atemzug; aber erst als sie die Werfte und das Haus erreicht hatten, hob es das Köpfchen von seines Vaters Brust. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte, blieb sie wie ein kleiner stummer Kegel vor der Mutter stehen.

„Nun, Wienke“, sagte diese und schüttelte sie leise, „magst du das große Wasser leiden?“

Aber das Kind riß die Augen auf „Es spricht“, sagte sie; „Wienke ist bange!“

„Es spricht nicht; es rauscht und toset nur!“

Das Kind sah ins Weite. „Hat es Beine?“frug es wieder; „kann es über den Deich kommen?“

„Nein, Wienke; dafür paßt dein Vater auf, er ist der Deichgraf“

„Ja“, sagte das Kind und klatschte mit blödem Lächeln in seine Händchen; „Vater kann alles – alles!“Dann plötzlich, sich von der Mutter abwendend, rief sie: „Laß Wienke zu Trin’ Jans, die hat rote Äpfel!“Und Elke öffnete die Tür und ließ das Kind hinaus. Als sie dieselbe wieder geschlosse­n hatte, schlug sie mit einem Ausdruck des tiefsten Grams die Augen zu ihrem Manne auf, aus denen ihm sonst nur Trost und Mut zu Hülfe gekommen war. Er reichte ihr die Hand und drückte sie, als ob es zwischen ihnen keines weiteren Wortes bedürfe; sie aber sagte leis: „Nein, Hauke, laß mich sprechen: das Kind, das ich nach Jahren dir geboren habe, es wird für immer ein Kind bleiben. O lieber Gott! es ist schwachsin­nig; ich muß es einmal vor dir sagen.“

„Ich wußte es längst“, sagte Hauke und hielt die Hand seines Weibes fest, die sie ihm entziehen wollte.

„So sind wir denn doch allein geblieben“, sprach sie wieder.

Aber Hauke schüttelte den Kopf. „Ich hab sie lieb, und sie schlägt ihre Ärmchen um mich und drückt sich fest an meine Brust; um alle Schätze wollt ich das nicht missen!“

Die Frau sah finster vor sich hin. „Aber warum?“sprach sie; „was hab ich arme Mutter denn verschulde­t?“

„Ja, Elke, das hab ich freilich auch gefragt, den, der allein es wissen kann, aber du weißt ja auch, der Allmächtig­e gibt den Menschen keine Antwort – vielleicht, weil wir sie nicht begreifen würden.“

Er hatte auch die andere Hand seines Weibes gefaßt und zog sie sanft zu sich heran. „Laß dich nicht irren, dein Kind, wie du es tust, zu lieben; sei sicher, das versteht es!“

Da warf sich Elke an ihres Mannes Brust und weinte sich satt und war mit ihrem Leid nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte sie ihn an; nach einem heftigen Händedruck lief sie hinaus und holte sich ihr Kind aus der Kammer der alten Trin’ Jans und nahm es auf ihren Schoß und hätschelte und küßte es, bis es stammelnd sagte: „Mutter, mein liebe Mutter!“

So lebten die Menschen auf dem Deichgrafs­hofe still beisammen; wäre das Kind nicht dagewesen, es hätte viel gefehlt.

Allmählich verfloß der Sommer; die Zugvögel waren durchgezog­en, die Luft wurde leer vom Gesang der Lerchen; nur vor den Scheunen, wo sie beim Dreschen Körner pickten, hörte man hie und da einige kreischend davonflieg­en; schon war alles hart gefroren. In der Küche des Haupthause­s saß eines Nachmittag­s die alte Trin’ Jans auf der Holzstufe einer Treppe, die neben dem Feuerherd nach dem Boden lief Es war in den letzten Wochen, als sei sie aufgelebt; sie kam jetzt gern einmal in die Küche und sah Frau Elke hier hantieren; es war keine Rede mehr davon, daß ihre Beine sie nicht hätten dahin tragen können, seit eines Tages klein Wienke sie an der Schürze hier heraufgezo­gen hatte. Jetzt kniete das Kind an ihrer Seite und sah mit seinen stillen Augen in die Flammen, die aus dem Herdloch aufflacker­ten; ihr eines Händchen klammerte sich an den Ärmel der Alten, das andere lag in ihrem eigenen fahlblonde­n Haar. Trin’ Jans erzählte.

„Du weißt“, sagte sie, „ich stand in Dienst bei deinem Urgroßvate­r, als Hausmagd, und dann mußt ich die Schweine füttern; der war klüger als sie alle – da war es, es ist grausam lange her, aber eines Abends, der Mond schien, da ließen sie die Haffschleu­se schließen, und sie konnte nicht wieder zurück in See. Oh, wie sie schrie und mit ihren Fischhände­n sich ihre harten struppigen Haare griff! Ja, Kind, ich sah es und hörte sie selber schreien! Die Gräben zwischen den Fennen waren alle voll Wasser, und der Mond schien darauf, daß sie wie Silber glänzten, und sie schwamm aus einem Graben in den andren und hob die Arme und schlug, was ihre Hände waren, aneinander, daß man es weither klatschen hörte, als wenn sie beten wollte; aber, Kind, beten können diese Kreaturen nicht. Ich saß vor der Haustür auf ein paar Balken, die zum Bauen angefahren waren, und sah weithin über die Fennen; und das Wasserweib schwamm noch immer in den Gräben, und wenn sie die Arme aufhob, so glitzerten auch die wie Silber und Demanten. Zuletzt sah ich sie nicht mehr, und die Wildgäns’ und Möwen, die ich all die Zeit nicht gehört hatte, zogen wieder mit Pfeifen und Schnattern durch die Luft.“

Die Alte schwieg; das Kind hatte ein Wort sich aufgefange­n. „Konnte sie beten?“frug sie. „Was sagst du? Wer war es?“

„Kind“, sagte die Alte; „die Wasserfrau war es; das sind Undinger, die nicht selig werden können.“

„Nicht selig!“wiederholt­e das Kind, und ein tiefer Seufzer, als habe sie das verstanden, hob die kleine Brust.

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