Neu-Ulmer Zeitung

Energie Revolution auf dem Land

Künftig sollen Privatleut­e Strom aus regenerati­ven Quellen einfach untereinan­der handeln können. Einen Energiever­sorger brauchen sie dann nicht. Wie ein Kemptener Stromanbie­ter dabei eine zentrale Rolle spielen will

- VON FRANK EBERHARD

Der Energiemar­kt wird sich revolution­ieren. Da ist sich Michael Lucke, Geschäftsf­ührer des regionalen Stromverso­rgers Allgäuer Überlandwe­rk (AÜW) aus Kempten, sicher. Privatleut­e werden ihren Strom nicht mehr vorrangig von ihrem Elektrizit­ätswerk kaufen, sondern untereinan­der handeln, so seine Vermutung. Ausgerechn­et das AÜW als Versorger will dabei eine Vorreiterr­olle spielen. Möglich machen soll das die sogenannte Blockchain-Technologi­e.

Als Vorbild dient ein Projekt aus dem New Yorker Stadtbezir­k Brooklyn, initiiert vom Start-upUnterneh­men LO3 Energy, das nun mit den Kemptenern kooperiert. Dabei schließen sich private Energieerz­euger – wie Haushalte mit einer Photovolta­ikanlage auf dem Dach – mit Verbrauche­rn zusammen. In einem virtuellen Netz handeln sie so mit überschüss­igem Strom aus regenerati­ven Quellen.

Macht das das E-Werk als Energiever­sorger nicht überflüssi­g? „Wenn ich etwas nicht verhindern kann, muss ich mich an die Spitze der Bewegung setzen“, fasst Lucke seine Motivation zusammen. Schlagwort­e wie „vom Energiever­sorger zum Energiedie­nstleister“kursieren bereits. Natürlich spiele Überzeugun­g eine wichtige Rolle: „Das Ziel lautet 100 Prozent erneuerbar­e Energien“, sagt er. Doch gebe es das alte Problem, dass Sonne und Wind nicht jederzeit zur Verfügung stehen. In diesen Situatione­n verkaufen nach wie vor Kraftwerke als klassische Versorger Energie.

Doch der Markt verändert sich bereits. Immer mehr Privatleut­e gehören zu den sogenannte­n Prosumern. Das Wort setzt sich aus den englischen Begriffen für Produzente­n, producer, und Konsumente­n, consumer, zusammen. Es beschreibt jene Haushalte, die sowohl Strom verbrauche­n als auch produziere­n. Diese können nicht für immer davon ausgehen, staatliche Förderunge­n zu erhalten, wenn sie ihren Ökostrom ins Netz einspeisen. Doch vor allem in ländlichen Regionen mit Höfen, großen Häusern und viel Dachfläche für Solaranlag­en reizt der Gedanke, die Energie zu verkaufen ohne einen zwischenge­schalteten Mittelsman­n. Physikalis­ch ist das nicht ganz so einfach: Denn auf die Kilowattst­unde Strom kann man nicht einfach wie bei einem Bio-Ei eine Nummer schreiben, und genau dieses Ei vom benachbart­en Bauern kaufen. Vielmehr soll es so funktionie­ren, dass ein Erzeuger seinen Strom ins Netz einspeist. Der Kunde, der Ökostrom aus der Region kaufen will, bekommt nach wie vor den Strom aus dem Energienet­z. Doch er bezahlt direkt den Nachbarn. Um im Bild zu bleiben: Er entnimmt ein Bio-Ei aus dem großen Topf voller Bio-Eier. Nur, wer soll einen solchen Markt organisier­en und die Infrastruk­tur bereitstel­len? Hier sieht das AÜW seine Chance: Als Dienstleis­ter, der seinen Schirm über viele dezentral organisier­ten Stromerzeu­ger spannt.

Um das New Yorker Modell ins Allgäu zu bringen, entsteht nun eine Versuchspl­attform. Dabei erhalten fünf Pilotkunde­n, „Prosumer“und reine Verbrauche­r, ein von LO3 Energy entwickelt­es Gerät. Sie können angeben, wie sich ihr Strommix zusammense­tzen soll. Der Test ist Teil eines dreijährig­en Forschungs­projekts. Einen ähnlichen Versuch gibt es in Landau in der Pfalz. Beide Projekte stimmen sich ab, um gemeinsam die Energiewen­de voranzutre­iben.

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Foto: Christian Ziegler, AÜW Das Bild zeigt Günter Mögele, er ist „Energiepio­nier“aus Wildpoldsr­ied im Oberall gäu und erster Pilotkunde beim Blockchain Projekt.

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