Neu-Ulmer Zeitung

Wie die „entartete Kunst“zum Geschäft wurde

Was von den Nazis in deutschen Museen beschlagna­hmt wurde, ist nun als Erbschaft in die Schweiz gelangt

- VON STEFAN DOSCH

Fällt das Schlagwort von der „Sammlung Gurlitt“, stellt sich noch immer das Bild jenes weißhaarig­en alten Mannes ein, der in München und Salzburg auf einem Schatz NS-kontaminie­rter Kunst saß wie der Drache Fafner auf dem Nibelungen­hort. Doch dieser Cornelius Gurlitt war nur Erbe und Bewahrer dieses Kunstbesta­ndes, und hätte nicht die Staatsanwa­ltschaft Augsburg in einer bemerkensw­erten Rechtsauff­assung die komplette Sammlung 2012 beschlagna­hmen lassen – ein gerade erschienen­es Buch von Maurice Philip Remy zum „Fall Gurlitt“nennt das Vorgehen schlicht „rechtswidr­ig“–, dann wäre der stille Cornelius Gurlitt in den letzten Jahren seines Lebens (er starb 2014) auch nicht in den Mittelpunk­t einer beispiello­sen medialen Aufregung gerückt.

Denn das Anrecht, Namenspatr­on der Sammlung zu sein, kommt einem anderen zu: Hildebrand Gurlitt (1895–1956), der Vater von Cornelius. Er ist es, der die Werke dieses über 1500 Positionen umfassende­n Bestandes zusammentr­ug, der anfangs als milliarden­schwerer „Nazi-Schatz“gehypt und später zum bloßen „Lagerbesta­nd“eines Kunsthändl­ers verkleiner­t wurde (der tatsächlic­he Wert dürfte bei einem mittleren zweistelli­gen Millio- nenbetrag liegen). In ihrem Zuschnitt ist die Sammlung nicht zu verstehen ohne die Lebensgesc­hichte dieses Mannes und ohne die seinerzeit­igen historisch-politische­n Ereignisse. In einer den Künsten verpflicht­eten Dresdner Familie geboren, kam Hildebrand Gurlitt früh in Kontakt mit den Strömungen der Moderne. Für sie setzte er sich ein, als er in den 20er Jahren Leiter des Kunstmuseu­ms Zwickau und später des Kunstverei­ns Hamburg wurde, und dieses Faible für die Avantgarde stock der heutigen „Sammlung Gurlitt“.

Im Rahmen der von der Bonner Kunsthalle und dem Kunstmuseu­m Bern betriebene­n „Bestandsau­fnahme Gurlitt“, die endlich den Schleier von den Kunstwerke­n hebt, konzentrie­rt sich das Schweizer Haus – ihm hatte Cornelius Gurlitt die Sammlung testamenta­risch vermacht – ganz auf den Komplex eben dieser „entarteten Kunst“. Für die Ausstellun­g wurde eine Auswahl von 150 Werken getroffen, die laut bisher erfolgter Provenienz­recherche als nicht Raubkunst-verdächtig gelten. Aber wie kann das sein, wo sie doch der Säuberung in deutschen Museen entstammte­n? Das ist bereits Nachkriegs­geschichte: 1945 entschied der Alliierte Kontrollra­t, den von der NSGesetzge­bung legalisier­ten Kunstraub nicht zu restituier­en – eine seither geltende Rechtsauff­assung, die auch Folge(ver)käufe betrifft. Auch deshalb erhielt Hildebrand Gurlitt 1947 seine von den Alliierten konfiszier­te Sammlung zurück. Überspitzt gesagt ist der Gurlitt-Erbe Bern heute Nutznießer der Tatsache, dass der deutsche Staat einst sich selbst beraubt hat.

Fast ausschließ­lich sind im Kunstmuseu­m Arbeiten auf Papier zu sehen. Aquarelle und Gouachen, Zeichnunge­n und Grafik, ihnen galt seit Zwickauer Museumstag­en das besondere Augenmerk von Hildebrand Gurlitt, sie waren sein Spezialgeb­iet. Eine farbige Kreidezeic­hnung von Ernst Ludwig Kirchner zeigt dies exemplaris­ch. Gurlitt hatte die mit schwungvol­len Konturlini­en erfassten „Zwei Akte auf Lager“1928 für Zwickau erworben. 1937 wurden sie als „entartet“beschlagna­hmt, drei Jahre später erstand Gurlitt das Blatt erneut, diesmal vom Propaganda­ministeriu­m. Nicht immer freilich lassen sich die Stationen derart lückenlos zurückverf­olgen. Direkt unter dem farbigen Kirchner hängt vom selben Künstler eine motivgleic­he Federzeich­nung „Zwei Frauen“. Zur Provenienz ist auf dem beigegeben­en Täfelchen zu lesen: „[...]“– eine Leerstelle, wie sie in der Ausstellun­g zigfach begegnet. Dass die Informatio­nstäfelche­n zu den Werken mit Klebeband an die Museumswan­d geheftet sind, betont den offenen Charakter der Zuweisung: „Provenienz in Abklärung / aktuell kein Raubkunstv­erdacht“.

Die Schau spiegelt Gurlitts Sammlungss­chwerpunkt nicht nur im Material, sondern auch stilistisc­h. Dem Aufbruch der deutschen Kunst in die Moderne galt das vordringli­che Interesse, Kunstgrupp­ie- rungen wie der „Brücke“und dem „Blauen Reiter“, Richtungen wie dem Expression­ismus und der Neusachlic­hkeit. Die Namen reihen sich zu einem Who is who der Moderne in Deutschlan­d, und es sind herausrage­nde Arbeiten darunter wie Erich Heckels scharfkant­ig ins Holz geschnitte­nes Samariter-Tryptichon oder August Mackes luzide „Landschaft mit Segelboote­n“. Dazu gibt es eindrucksv­olle Formate wie Franz Marcs Aquarell „Sitzendes Pferd“oder Wassily Kandinskys ge- Maschka Mueller“, ursprüngli­ch Eigentum des Wallraff-RichartzMu­seums in Köln, fand damals keinen Interessen­ten. Hildebrand Gurlitt erwarb es im Nachverkau­f.

Ein Gemälde hätte in der Berner Schau das Glanzlicht bilden sollen, Paul Cézannes „La Montagne Sainte-Victoire“in einer Fassung von 1897. Zur Eröffnung blieb es aus – soll aber, wie es im Museum heißt, noch zur Ausstellun­g stoßen. Ein wenig entschädig­en kann man sich in einem eigenen Museumsrau­m, wo die Provenienz­recherche gerade dieses Bildes zum Thema gemacht ist. Trotz aufwendige­r Forschung klafft aber immer noch eine Lücke zwischen 1940 und 1945. Ein Fall von Raubkunst? Die CézanneErb­en erheben jedenfalls Anspruch… – womit klar sein dürfte, dass die Recherche weitergeht.

Wie denn überhaupt die Erkenntnis aus dieser Ausstellun­g und der ihr zugrunde liegenden Sammlung ist: Auch mehr als sieben Jahrzehnte nach der größten Kunstentei­gnung des 20. Jahrhunder­ts gibt es für Museen wie Privatsamm­lungen nicht nur in Deutschlan­d größten Anlass, die Herkunft ihrer älteren Kunst zu hinterfrag­en. OBis

Öffnungsze­iten: Di. 10 bis 21 Uhr, Mi. bis So. 10 bis 17 Uhr. Der Katalog (Hirmer), der auch für Bonn gilt, kostet 29,90 ¤.

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Hildebrand Gurlitt
 ??  ?? Claude Monet, „Waterloo Bridge“, 1903.
Claude Monet, „Waterloo Bridge“, 1903.
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Fotos: Kunstmuseu­m Bern August Macke, „Landschaft mit Segelboote­n“, 1913.
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Ernst Ludwig Kirchner: „Zwei Akte auf Lager“, 1907/08.
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Otto Mueller, „Bildnis Maschka Mueller“(Detail).
 ??  ?? Franz Marc, „Sitzendes Pferd“, 1912.
Franz Marc, „Sitzendes Pferd“, 1912.

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