Ist der Kommunismus tot?
Heute vor 100 Jahren übernahmen die Revolutionäre in Russland die Macht. Bald schon war die halbe Welt rot. Doch statt ins Paradies führte der alte Traum in die Diktatur. Historische Lehren in Zeiten der Kapitalismuskritik
Es gibt eine Leerstelle in der heutigen Politik. Und sie wird immer dann besonders spürbar, wenn – wie in den Wirtschafts- oder Vertrauenskrisen der vergangenen Jahre – die Kritik am herrschenden Kapitalismus besonders laut wird. Immer dann nämlich wird dieses Fehlen markiert durch die Frage nach der Alternative. Was sonst also? Ein Zurück zu den Utopien des Kommunismus? Als hätte sich nicht gezeigt, dass diese Ideale statt ins Arbeiterparadies zu Diktatur und Terror führen würden!
Da stoßen sich zwei harte Urteile im Raum. Ein überzeitliches: dass der Kommunismus eigentlich von einem ewigen Traum der Menschheit kündet, von der Gleichheit und der Gerechtigkeit, vom Ende von Not und Wettkampf – als Parallele zum Christentum mit einem machte aus Analyse und Hoffnung die Legitimation für Zwang und Terror. Marx aber, so schreibt Koenen, findet sich eigentlich viel mehr in den Wurzeln der deutschen Sozialdemokratie als in Lenins Revolution – ganz zu Schweigen von Stalins Regime und Maos Kulturrevolution. Die zurück in die Geschichte greifende Umdeutung durch die Kommunisten aber korrumpierte zur Legitimation der eigenen Macht gleich die ganze „linke“Ideengeschichte mit. Man mag das historisch aus den ideologischen Kämpfen jener (später auch Kalten) Weltkriegszeiten erklären können – aber langfristig hat es eben jene Leerstelle hinterlassen.
Koenen, Jahrgang 1944, schreibt: „Nie hat es eine politische Bewegung und Formation gegeben, die sich über eine so lange Periode hinweg derart über alle Kontinente und Länder der Welt erstreckt und die