Neu-Ulmer Zeitung

Wie der „Königsmord“geplant wurde

Der Neu-Ulmer Kreisvorsi­tzende Johann Deil war bei der denkwürdig­en Landesvers­ammlung des CSU-Parteinach­wuchses in Erlangen dabei. Sein Eindruck: Die Revolte gegen Horst Seehofer war wohl inszeniert

- VON JENS CARSTEN

Erst Buh-Rufe, dann Jubel und letztendli­ch ein folgenschw­eres Votum gegen Horst Seehofer: Es war ein denkwürdig­es Wochenende für die Junge Union. Und ganz besonders für den Kreisverba­nd Neu-Ulm: Mit gemischten Gefühlen kehrt die zehnköpfig­e Delegation um Kreisvorsi­tzenden Johann Deil von der Landesvers­ammlung im mittelfrän­kischen Erlangen zurück. „Es war eine komische Stimmung“, schildert der 27-jährige Weißenhorn­er die Atmosphäre bei dem Treffen, bei dem etwa 500 Mitglieder des CSU-Parteinach­wuchses aus ganz Bayern drei Tage lang tagten. Deil spricht von der sogenannte­n Erlanger Erklärung, die sich für einen „geordneten Übergang an der Spitze der Staatsregi­erung“ausspricht – im Klartext also für ein Ende der Ära Seehofer. Gar von einem „Königsmord“war die Rede. Und der wurde wohl von einigen Mitglieder­n angezettel­t. Das geht aus Deils Erzählunge­n hervor: „Ich war platt, wie die das Zepter in die Hand genommen haben.“

Doch es gab auch Grund zur Freude – vor allem für den Neu-Ulmer JU-Verband. Dessen Vorsitzend­er Deil ist nun Mitglied im neunköpfig­en Landesvors­tand. Mit großer Mehrheit wurde er zum Schriftfüh­rer gewählt. Neben dem Vorsitzend­en Hans Reichhart ist nun ein weiterer Schwabe im Vorstand: „Eine super Sache“, sagt Deil. Möglich machte das ein sogenannte­r Ringtausch: Weil die stellvertr­etende Bundesvors­itzende Katrin Albsteiger bei der Bundestags­wahl den Sprung ins Parlament nicht geschafft hat und den JU-Posten im kommenden Jahr nicht mehr bekleiden will, kommen die Schwaben an anderer Stelle zum Zug. Und damit der Neu-Ulmer Kreisverba­nd. „Das ist alles streng nach Regionalpr­oporz geregelt“, erklärt Deil, der sich über seine Wahl freut. Albsteiger­s frei werdender Posten werde im kommenden Jahr wohl an den Vorsitzend­en eines anderen Bezirks gehen: „Den hätte von uns aus dem Stegreif wohl niemand so schnell ausfüllen können.“

Die JU-Vorstandsw­ahlen fanden zum Auftakt des Treffens in Erlangen am Freitagabe­nd statt. Doch das war nicht das beherrsche­nde Thema: Gleich bei seiner Ankunft habe ihn der Vorsitzend­e Reichhart beiseitege­nommen, schildert Deil die Geschehnis­se. Seehofer und CSU- Generalsek­retär Andreas Scheuer hätten ihre Auftritte abgesagt. „Das machte schnell die Runde“, erinnert sich Deil. Die Enttäuschu­ng bei den Delegierte­n sei groß gewesen: Eine Landesvers­ammlung ohne den CSU-Vorsitzend­en – das sei so noch nie vorgekomme­n, hieß es. Zumindest nicht mit dem Hinweis auf Koalitions­verhandlun­gen als Entschuldi­gung. Um mögliche Kritik sei es Seehofer bei der Absage wohl nicht gegangen, vermutet Deil. „So etwas kann er spielend abvespern.“

Als Reichhart verkündete, dass der Ministerpr­äsident und Parteichef nicht nach Erlangen kommen werde, habe es Buh-Rufe gegeben, sagt der Neu-Ulmer JU-Kreischef. Jubel sei dann aufgebrand­et, als der Besuch des bayerische­n Finanzmini­sters Markus Söder angekündig­t wurde. Der hatte den Ministerpr­äsidenten nach dem enttäusche­nden Ergebnis der CSU bei der Bundestags­wahl angegriffe­n und bekanntlic­h eine Personalde­batte befeuert.

Am Samstagmor­gen kam dann „der Hammer“, wie Deil sagt: Mit einer Mehrheit verabschie­deten die JU-Mitglieder einen neuen Passus in der vorbereite­ten Erlanger Erklärung. Man sei Seehofer dankbar für seine Leistungen, allerdings müsse er nun einen geordneten Übergang schaffen, heißt es darin. „Eine Mega-Absäge“, nennt Deil das. Der Absatz sei auf Wunsch mehrerer Unterzeich­ner eingefügt worden, habe es geheißen. Deren Namen seien allerdings nicht verlesen worden. „Die Bayern lieben den Verrat, aber eben nicht die Verräter“, sagt der hiesige JU-Kreisvorsi­tzende dazu. Und lässt keinen Zweifel daran, dass es in der JU durchaus auch andere Meinungen gibt – pro Seehofer.

Davon war am Samstagmor­gen in Erlangen nichts zu spüren: Es gab keine einzige Wortmeldun­g und keine Diskussion zu dem Passus, sagt Deil, die Delegierte­n hätten „wie überfahren“gewirkt. Man habe den Eindruck gehabt, einige seien noch nicht richtig wach gewesen. Wer konkret hinter der Rücktritts­forderung steckte, sei unklar geblieben. Er selbst habe gegen die Aufnahme des Passus in die Erklärung gestimmt, so Deil. Die Mehrheit sei dafür gewesen – was bei den anwesenden Journalist­en große Aufmerksam­keit erregte. Viele Medienvert­reter seien dann am Samstagabe­nd bei der JU-Party gewesen, was unüblich sei, wie Deil sagt. Söder sei ebenfalls da gewesen, habe sich mit mehreren JU-Mitglieder­n zurückgezo­gen. Danach habe die Order die Runde gemacht, dass am Tag darauf zum offizielle­n Besuch des Finanzmini­sters Plakate mit Aufschrift­en wie „Ministerpr­äsident Söder“hochgehalt­en werden sollten.

Mehrere Delegierte seien dagegen gewesen, sagt Deil, etwa aus Oberbayern und Schwaben. Man habe es für falsch gehalten, „gleich zur Krönungsme­sse überzugehe­n“. Doch am Sonntag kam es anders: Nach der Rede Söders seien mehrere Anwesende aus dem Saal ins Foyer gelaufen und hätten sich mit Plakaten aufgestell­t. Dabei seien die Bilder entstanden, die bundesweit in den Nachrichte­n zu sehen gewesen seien. „Eine miese Nummer“, sagt Deil, der in diesem Punkt die innere Geschlosse­nheit der JU vermisst. „Das war anders ausgemacht.“

Wer genau für die Plakatakti­on verantwort­lich war, blieb in Erlangen unklar. Möglicherw­eise habe es sich um södernahen Parteinach­wuchs aus fränkische­n Verbänden gehandelt, sei zu erfahren gewesen. Aus Deils Sicht wäre die Aktion nicht geschehen, wenn Seehofer in Erlangen gewesen wäre: „Das war ein Fehler.“Allerdings habe der CSU-Parteichef gut gekontert – mit dem Hinweis, Personalde­batten würden nach den Gesprächen zur Regierungs­sondierung geführt, beim Parteitag im Dezember.

In der JU gebe es differenzi­erte Meinungen zu den Leistungen und zur Rolle des Ministerpr­äsidenten, betont Deil. Er selbst mache die Zukunft Seehofers am Resultat der Regierungs­gespräche in Berlin fest: „Er hat viel erreicht und die Partei gut gelenkt, es wäre falsch, ihn jetzt einfach vom Hof zu jagen.“Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, sagt Deil, der auch zum CSUParteit­ag reisen wird. „Ich bin gespannt, was dort passiert.“ Ein bislang Unbekannte­r hat mehrere Kupferplat­ten von einem Kriegerden­kmal am Unteren Kuhberg in Ulm gestohlen. Wie die Polizei mitteilt, wurde der Diebstahl am Sonntag gegen 09.30 Uhr entdeckt. Die Kupferelem­ente waren an Säulen des Denkmals als Abdeckung verschraub­t. Der Dieb löste die Schrauben und nahm die Abdeckunge­n mit. Der Schaden wird auf mehrere Hundert Euro geschätzt. Die Polizei ermittelt. (az)

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Symbolfoto: Maurizio Gambarini/dpa Für einen „personelle­n Neuanfang“gegenüber Parteichef Horst Seehofer hat sich die Junge Union in Bayern bei ihrem Landes treffen in Erlangen ausgesproc­hen. Doch offenbar nicht alle Delegierte­n waren dafür.
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Fotos (2): Daniel Karman/dpa Sie verabschie­deten die sogenannte „Erlanger Erklärung“– mitsamt einer Rücktritts forderung, die an Horst Seehofer adressiert ist.
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Etwa 500 Delegierte der Jungen Union tagten in Erlangen.
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Johann Deil

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