Neu-Ulmer Zeitung

Bröckelt der Widerstand gegen Jamaika?

Die Deutschen verlieren langsam die Geduld mit den Parteien, die nicht recht vorankomme­n. Das haben auch die potenziell­en Partner erkannt. Nach den Dauerattac­ken herrscht plötzlich so etwas wie Zuversicht

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Es sind ungewohnt umgänglich­e Töne, die Alexander Dobrindt vor der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft anschlägt. In den ersten Jamaika-Schnupperw­ochen hat sich der CSU-Landesgrup­penchef mit Poltereien gegen den kleinsten möglichen Partner und dessen „Schwachsin­nstermine“beim Klima als Grünen-Fresser einen Namen gemacht. Und nun dies: „Es sind alle aufgeforde­rt, dafür zu arbeiten, dass man näher zusammenko­mmt“, flötet der Mann am Freitagvor­mittag in die Mikrofone. „Da haben alle eine große Verantwort­ung“, sagt Dobrindt – also auch er selbst und seine Partei, die in der schwarz-gelb-grünen Runde wohl am meisten mit dem Experiment Jamaika fremdelt. Nach anfänglich­en Dauerattac­ken scheint nun die Phase der Annäherung zu beginnen. Bröckelt der Widerstand gegen die erste Jamaika-Bundesregi­erung?

Immerhin: Auch FDP-Chef Christian Lindner macht inzwischen nach den verkrampft­en ersten Tagen bei den Lockerungs­übungen mit. Er sei zuversicht­lich, dass es vor Ende nächster Woche eine klare Einschätzu­ng geben könne, ob es zu schwarz-gelb-grünen Koalitions­verhandlun­gen im Bund kommen könne – oder eben nicht. Zwar will er seine pessimisti­sche Prognose nicht korrigiere­n, dass die Chancen für das exotische Bündnis nur bei 50 zu 50 stehen. Es müsse aber ja nicht immer sein, dass man erst in den frühen Morgenstun­den wisse, ob man zueinander­komme oder nicht. Lindner hatte zuletzt immer wieder demonstrat­iv betont, er habe keine Angst vor Neuwahlen.

Für Taktierere­i bleibt den potenziell­en Partnern nicht mehr viel Zeit. Denn am 16. November, das hat Kanzlerin Angela Merkel klargemach­t, soll das gemeinsame Jamaika-Sondierung­spapier fertig sein, mit dem sich alle Seiten in ihren Reihen eine Zustimmung holen sollen, endlich offizielle Koalitions­verhandlun­gen zu führen. Klingt nach einer quälend langen Nachtsitzu­ng. Schließlic­h ist man von Harmonie noch weit entfernt. Passend zu den Worten der Zuversicht hat Lindner gleich noch ein handfestes Signal für die Verhandlun­gspartner parat. Im Spiegel bringt er ein Zweistufen-Modell der FDP zur SoliAbscha­ffung wieder in die Diskussion, sozialer Faktor inklusive: Untere und mittlere Einkommen sollen zuerst entlastet werden. „Wir erinnern an unser Modell von 2015, den Soli im ersten Jahr für Einkommen bis 50000 Euro entfallen zu lassen, im zweiten Jahr und noch vor der nächsten Wahl dann komplett.“Das den dann auch die Parteimana­ger die Botschaft des Tages: Zuversicht. CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer sieht die Verhandler jedenfalls voll im Zeitplan, obwohl „noch einige Schweißper­len“für den Erfolg nötig seien. Und Grünen-Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner bemüht mal wieder einen JamaikaVer­gleich: „Die Segel sind gesetzt, wir kommen ein Stück voran, und ich würde mir insgesamt von allen Seiten noch mehr Rückenwind wünschen.“Teils gebe es in den Einzelverh­andlungen sogar „sehr bunte Koalitione­n“etwa von CSU, FDP und Grünen, „die Südjamaika­Koalition“nennt er das. Jede denkbare Kombinatio­n habe sich gefunden. Es werde in der kommenden Woche die Aufgabe sein, den Farbenwirr­warr aufzulösen.

Gut möglich, dass die Spitzen von Union, FDP und Grünen ihre Zuversicht auch deshalb zelebriert haben, weil inzwischen die Zustimmung für die zickigen Jamaikaner sinkt. Nach dem ARD-„Deutschlan­dtrend“finden nur noch 45 Prozent der Bürger ein solches Bündnis gut oder sehr gut – zwölf Prozent weniger als Anfang Oktober. Lindner zeigt Verständni­s für die Ungeduld – als schlechtes Beispiel verweist er auf die Regierungs­bildungen in Belgien und den Niederland­en, die monatelang auf der Stelle traten.

Dass es nicht gleich zu einfach zwischen den ungleichen Partnern in spe wird, dafür sorgen dann aber wieder die Themen des gestrigen Nachmittag­s. Hinter verschloss­enen Türen ringen die Unterhändl­er um Fortschrit­te beim umstritten­en Themenkomp­lex innere Sicherheit. Dabei stehen sich die verschiede­nen Seiten wieder in altbekannt­er Aufstellun­g gegenüber. Total strittig gehe es zu, heißt es aus den Reihen der Möchtegern-Jamaikaner. CDU und CSU wollen mehr Sicherheit und die dazu passenden Werkzeuge für die Behörden, wie etwa die Vorratsdat­enspeicher­ung. Das ist den anderen ein Graus: Es bleibt also noch viel zu tun für die Parteichef­s am Sonntag – und danach in den weiteren Beratungen bis Donnerstag. Nachtsitzu­ng inklusive.

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Foto: Fotolia Schwarz gelb grün wie die Flagge Jamaikas soll die neue Regierung werden. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

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