Wann wird’s mal wieder richtig „Tatort“?
Kaum ein „Tatort“-Wochenende ohne „unseren TV-Liebling“(Bild am Sonntag) in Bild oder Bild am Sonntag. Klar, bei Einschaltquoten um die zehn Millionen ist das (angenommene) Leser-Interesse groß. Gut, auch wir berichten über den „Tatort“– wie heute wieder in unserer „Tatort“-Kolumne auf der Seite
Aber die Bild, glaube ich, beschäftigt eine eigene Redaktion, die nichts anderes tut, als sich zu überlegen, was sie am „Tatort“aussetzen könnte. Sie findet immer was.
Erst kürzlich wieder, als die Bild am Sonntag sprachlich etwas unbeholfen titelte: „Sehnsucht nach Tatort wie früher“. Mir schwirrt seitdem der alte Carrell-Song im Kopf, mit leicht geändertem Text: Wann wird’s mal wieder richtig Tatort? Ein Tatort wie er früher einmal war? Ja, mit Neppern, Schleppern u-h-und Bauernfängern, und nicht so experimentell wie beim letzten Mal.“Mit Blick auf die letzten Folgen lässt sich durchaus diskutieren, wie experimentell es im ARD-KultKrimi zugehen sollte.
So hatte der Furtwängler-Krimi „Der Fall Holdt“ein offenes Ende, keinen Täter; im Haus des Frankfurter Kommissars Paul Brix spukte es wie in einem Horror-Schocker; die Münchner erregten mit ihren Ermittlungen in der Porno-Branche die Gemüter („So viel Sex gab es im ,Tatort‘ wohl noch nie“, Kölner Stadt-Anzeiger; „Vulgär-TV zur besten Sendezeit, in der ARD!“; bild.de). Und die Stuttgarter boten einen „Verschwörungs-,Tatort‘“(Spiegel.de), den der Journalist Stefan Aust, ein ausgewiesener Experte in Sachen Rote Armee Fraktion, als „RAF-Propaganda“kritisierte.
Ist der „Tatort“also zu experimentell? Nein, meint etwa der Tübinger Professor Tobias Gostomzyk. Seine Untersuchung der Folgen von 2015 ergab zumindest, so die dass mehr als 90 Prozent klassisch mit einem Tötungsdelikt begannen und „normal“aufgelöst wurden. Die ARD beschränkte die Zahl der experimentellen Folgen – was auch immer das heißen mag – dennoch kürzlich auf zwei pro Jahr.
Dabei ist der „Tatort“für KrimiFans wie mich nicht deshalb so problematisch, weil er ab und an mit den Grenzen des Genres – formal oder inhaltlich – spielt. Im Gegenteil: Nur weil experimentiert wurde, konnte die Folge „Frau Bu lacht“von 1995 überhaupt erst zum Höhepunkt der Reihe werden. Würde der „Tatort“nicht experimentieren, könnte man an seiner Stelle einfach „Derrick“oder „Der Alte“in Endlosschleife wiederholen (wenn das ZDF einverstanden wäre).
Nein, nein: Das eine große Problem des „Tatort“ist, dass er zu schlecht ist im Experimentieren. Um zu wissen, was ich damit meine, muss man nur eine (!) Folge einer amerikanischen, britischen oder skandinavischen Krimi-Produktion der vergangenen Jahre gesehen haben. Wenn im „Tatort“experimentiert wird, kommt meist nichts Halbes und nichts Ganzes heraus.
Das andere große Problem: Weil die Macher stets gesellschaftspolitische Debatten aufzugreifen versuchen, vergessen sie häufig, dass ein guter TV-Krimi zwingend eine gute Krimi-Handlung braucht. Der Fall wird allzu oft zur Nebensache.
Gehen Ihnen die „Tatort“-Experimente zu weit? Wie sollte der „Tatort“sein? Schreiben Sie mir an:
wida@augsburger-allgemeine.de