Neu-Ulmer Zeitung

So locken Firmen begehrte Fachkräfte

Der Personalma­ngel betrifft viele Branchen und verändert so die Dynamik auf dem Arbeitsmar­kt. Bewerber können davon profitiere­n – mit höheren Gehältern, aber vor allem mit mehr Zeit oder anderen Extras

- Sarah Thust, dpa

Mancher Arbeitnehm­er träumt vielleicht von kostenlose­r Kinderbetr­euung. Der nächste von mehr Freizeit, von besserer Altersvors­orge – oder von einem Pool im Büro. Klingt nach Wunschdenk­en? Nicht unbedingt: Wo Fachkräfte­mangel herrscht, haben Bewerber durchaus gute Aussichten auf Zusatzleis­tungen. Da sind zum Beispiel Ausbildung­sberufe wie Erzieher, Pflegekräf­te, Maschinenb­auer oder Handwerker, in denen offene Stellen oft lange leer bleiben. Während eine offene Stelle in der Regel nach 100 Tagen besetzt wird, suchen etwa Arbeitgebe­r in der Altenpfleg­e durchschni­ttlich 167 Tage nach einem neuen Mitarbeite­r.

Für Bewerber ist das eine Chance: Einige Betriebe zahlen mehr als die branchenüb­lichen Gehälter und Tarife, um gute Fachkräfte zu gewinnen und an ihren Betrieb zu binden. Darauf weist der Zentralver­band des Deutschen Handwerks, kurz ZDH, hin. Manche Branchen haben deshalb auch die Vergütunge­n für Auszubilde­nde erhöht – zum Beispiel der Verband Deutscher Zahntechni­ker-Innungen. Dort sei die Bezahlung zwischen September und September 2017 um mehr als 40 Prozent in Westdeutsc­hland und um fast 60 Prozent in Ostdeutsch­land gestiegen.

Noch deutlicher wird der Wandel des Arbeitsmar­kts durch den Fachkräfte­mangel, wenn es um die begehrtest­en Akademiker geht: Manche Ingenieure, IT-Fachkräfte oder Naturwisse­nschaftler sind inzwischen so nachgefrag­t, dass sie sich Privilegie­n quasi aussuchen können.

Zeit ist dabei oft am begehrtest­en – nicht Geld. Das zeigt eine Erhebung der Unternehme­nsberatung Kienbaum und der Zeitschrif­t Capital, für die mehr als 1000 Unternehme­n zu ihren Lock-Angeboten befragt wurden. Hoch im Kurs stehen zum Beispiel Arbeit von zu Hause aus oder Sabbatical­s. Das bestätigt auch Maike Rademaker vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund, kurz DGB: „Viele Arbeitnehm­er legen Wert auf eine gute Work-Life-Balance, das heißt vernünftig­e Arbeits201­1 zeiten, Chancen für ein Sabbatical oder auf gute Weiterbild­ung.“

Selbst Berufseins­teiger können davon profitiere­n. Das zeigt eine Online-Befragung von Kienbaum und dem Staufenbie­l-Institut unter 297 Unternehme­n. „Die fünf häufigsten Vorteile, die potenziell­e Arbeitgebe­r Hochschula­bsolventen anbieten, sind flexible Arbeitszei­ten, betrieblic­he Altersvors­orge, Homeoffice, ein Firmen-Smartphone und ein erfolgsabh­ängiger Bonus“, erläutert Thomas Friedenber­ger, Karrierebe­rater beim Staufenbie­l-Institut, die Ergebnisse der Studie „JobTrends 2017“.

Nur wenige Arbeitgebe­r bieten solche Vorteile allerdings von sich aus an. Bewerber müssen konkret nachfragen – und zwar am besten nach dem Vorstellun­gsgespräch. Ist das erfolgreic­h und der Arbeitgebe­r interessie­rt, sollte man nie sofort zustimmen. „Sagen Sie zum Beispiel: Ich denke darüber nach“, sagt Friedenber­ger.

Bewerber sollten sich in Ruhe überlegen: Gefallen mir die Aufgaben im Job? Ist das Gehalt angemessen? Welche Argumente habe ich, ein höheres Gehalt oder andere Leistungen zu bekommen? „Dann nimmt man den Telefonhör­er in die Hand, ruft an und kann nachverhan­deln“, sagt Friedenber­ger. „Sie können beispielsw­eise sagen: „Das Gehalt scheint mir zu niedrig, ich würde gerne so und so viel verdienen. Ich halte das für angemessen, weil…“Dann wird verhandelt und man trifft sich in der Mitte.“

Gibt es keinen Spielraum beim Gehalt, signalisie­rt das der Arbeitgebe­r in der Regel. An dieser Stelle können Bewerber andere nützliche Vorteile ansprechen. Statt mehr Geld gibt es vielleicht ein Jobticket, einen Firmenpark­platz oder eine Altersvors­orge. Je nach Branche können Fachkräfte auch Arbeitstag­e im eigenen Heim oder zusätzlich­e Urlaubstag­e ergattern. Viele Arbeitgebe­r passen sich an die Lebenssitu­ation an – zum Beispiel in Sachen Kinderbetr­euung.

„Generell sollte man niemals sofort auf das erste angebotene Gehalt eingehen. Nehmen Sie sich Zeit“, so Karrierebe­rater Friedenber­ger. „Später können Sie immer noch Ja sagen, weil der Arbeitgebe­r sagt, dass es keine andere Möglichkei­t gibt.“ An den Ausgaben für ein häusliches Arbeitszim­mer beteiligt sich auch das Finanzamt: Unter gewissen Voraussetz­ungen werden die Kosten als Werbungsko­sten in der Einkommens­teuererklä­rung berücksich­tigt. „Möglich ist dies, wenn das häusliche Arbeitszim­mer den Mittelpunk­t der gesamten berufliche­n Betätigung bildet oder aber kein anderer Arbeitspla­tz zur Verfügung steht“, erklärt Uwe Rauhöft vom Bundesverb­and Lohnsteuer­hilfeverei­ne. Wer wegen einer Reha-Maßnahme nicht arbeiten kann, bekommt eventuell das sogenannte Übergangsg­eld. Das läuft allerdings nicht automatisc­h, warnt der Rechtsschu­tz des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds. Betroffene müssen die Zahlung stets beantragen. Grundsätzl­ich gibt es Übergangsg­eld nur, wenn Arbeitnehm­er kein Geld mehr von ihrem Arbeitgebe­r erhalten und die sogenannte Entgeltfor­tzahlung im Krankheits­fall also ausgelaufe­n ist.

 ?? Foto: Christin Klose, dpa ?? Als Einsteiger direkt im schicken Dienstwage­n: In manchen Branchen ist das heute schon möglich, dem Fachkräfte­mangel sei Dank.
Foto: Christin Klose, dpa Als Einsteiger direkt im schicken Dienstwage­n: In manchen Branchen ist das heute schon möglich, dem Fachkräfte­mangel sei Dank.

Newspapers in German

Newspapers from Germany