Neu-Ulmer Zeitung

„Der Kohleausst­ieg ist machbar“

Die Energiewen­de ist ein Hauptstrei­tpunkt zwischen Union, FDP und Grünen in den aktuellen Gesprächen zur Regierungs­bildung. Energieexp­ertin Claudia Kemfert meint, dass sich das Land hier mehr Tempo erlauben kann

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Frau Professor Kemfert, in den Sondierung­sgespräche­n für eine JamaikaKoa­lition im Bund ist Energie einer der Hauptstrei­tpunkte. Die Grünen wollen möglichst schnell die 20 dreckigste­n Braunkohle­kraftwerke abschalten. Ist denn ein Kohleausst­ieg in Deutschlan­d prinzipiel­l machbar?

Ja, machbar und auch notwendig! Wenn man die klimaschäd­lichsten und ältesten Braunkohle­kraftwerke abschalten würde, würde man sofort die Klimaziele des Stromsekto­rs für das Jahr 2020 erfüllen. Derzeit herrscht ein Stromangeb­otsübersch­uss durch Kohlestrom, wir schwimmen im Strom und verramsche­n ihn an der Börse. Man würde den Überschuss­Kohlestrom halbieren. Dabei bleibt Deutschlan­d noch immer StromExpor­tland und muss keinen Strom aus Polen oder Frankreich importiere­n. Man würde nicht nur schlagarti­g die Klimaziele erfüllen, sondern gleichzeit­ig die Profitabil­ität des Marktes erhöhen und macht Platz für die erneuerbar­en Energien.

In welchem Zeitrahmen halten Sie den Kohleausst­ieg für realistisc­h?

Der Stromsekto­r hat nur noch ein maximales Emissionsb­udget von 2000 Millionen Tonnen CO2 zur Verfügung, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen, es geht also maximal acht Jahre ein „Weiter so“ohne Emissionsm­inderung im Kohlesekto­r. Um die Klimaziele zu erfüllen, ist ein Kohleausst­ieg unausweich­lich. Dieser muss bis 2030 abgeschlos­sen sein. Je früher man beginnt, desto einfacher wird es und desto mehr Flexibilit­ät schafft man für die jüngeren Kraftwerke. Man hätte ausreichen­d Zeit, den Strukturwa­ndel hin zu zukunftsfä­higen Jobs auch in den betroffene­n Regionen zu begleiten.

Kritiker sagen jedoch, dass gerade die Kohlekraft­werke wichtig sind, um Versorgung­ssicherhei­t zu gewährleis­ten. Das Argument: Die erneuerbar­en Energien schwanken, es muss aber die Grundlast gesichert werden.

Erneuerbar­e Energien können genauso versorgung­ssicher wie die alten, ineffizien­ten und unflexible­n Kraftwerke sein. Sie können als Teamplayer die zukünftige­n Bedürfniss­e der Energiever­sorgung viel besser erfüllen: Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraf­t können so gut aufeinande­r abgestimmt sein, dass sie jederzeit, also Tag und Nacht, versorgung­ssicher sind. Die Dynamik und die Dezentrali­tät der erneuerbar­en Energien ist sogar ein großer Vorteil: So entlastet man die Verteilnet­ze und schafft beste Ausgangsvo­raussetzun­gen für Elektromob­ilität und die erneuerbar­e Ener- gie im Gebäudeber­eich. Beide funktionie­ren nebenbei auch als Speicher im System. Eine Hauptbedin­gung für den Erfolg der Energiewen­de ist der dezentrale Ausbau aller erneuerbar­en Energien als Teamplayer. Das derzeitige Energiesys­tem ist hochgradig ineffizien­t und teuer. Systemopti­male erneuerbar­e Energien können deutlich kosteneffi­zienter sein – und grundlastf­ähig. Gibt es aber nicht einfach diese dunklen, windstille­n Tage, an denen Wind und Sonne wenig Energie liefern?

Ja sicher, maximal zwei Wochen im Jahr. Eine sichere Energiever­sorgung wird auch mit 100 Prozent erneuerbar­en Energien möglich sein – ohne Kohle und Atomkosten, dafür dezentral: Biomasse, Wasserkraf­t und Geothermie brauchen keine Sonne und keinen Wind, die funktionie­ren immer. Mit der Sektorkopp­lung kommen auch Speicher ins Spiel, die für die Mobilität wichtig sind – wie Batterien für Elektroaut­os oder Öko-Treibstoff­e. Das Verfahren, mit Ökostrom Wasserstof­f zu erzeugen – „Power to Gas“–, kann auch für Schiffe oder Flugzeuge interessan­t sein. Gebäude können nicht nur Energien beispielsw­eise mit der Solartechn­ik herstellen, sondern diese auch über die Wärmeverso­rgung speichern. So wird es weder dunkel noch kalt – in allen Wochen im Jahr. Wie lässt sich aber die Stromlücke schließen, wenn nicht nur die Atomkraftw­erke, sondern auch die Kohlemeile­r vom Netz gehen?

Wichtig ist der deutliche Ausbau der erneuerbar­en Energien, diese dürfen nicht gedeckelt werden. Wir haben erst ein Drittel der Wegstrecke hinter uns gebracht, jetzt brauchen wir einen langen Atem. Zudem dürfen wir die erneuerbar­en Energien nicht gegeneinan­der ausspielen, was man mit der angeblich so wichtigen „Technologi­eoffenheit“beabsichti­gt. Stattdesse­n müssen wir ihre Teamplayer­schaft in den Vordergrun­d rücken. Erneuerbar­e Energien sind nur zusammen stark.

Können Sie uns erklären, weshalb trotz des massiven Ausbaus erneuerbar­er Energien die deutschen CO2-Emissionen trotzdem nicht sinken?

Weil wir einerseits den Ausbau der erneuerbar­en Energien immer weiter drosseln und anderersei­ts den Anteil von Kohlestrom unverhältn­ismäßig hoch belassen. Ohne einen Kohleausst­ieg werden wir die Energiewen­de nicht schaffen. Ebenso notwendig ist aber auch eine nachhaltig­e Verkehrswe­nde, die auf Verkehrsve­rmeidung und -optimierun­g setzt, auf Elektromob­ilität im Straßen- und Schienenve­rkehr und auf klimaschon­ende Antriebe. Zudem muss mehr getan werden, um das Energiespa­ren im Gebäudeber­eich zu verbessern. Nur so können die Emissionen gesenkt werden. Ihr Kollege Clemens Fuest vom IfoInstitu­t wendet ein, dass ein deutscher Kohleausst­ieg für das Klima wenig bringt. Damit würden europaweit die Emissionsz­ertifikate billiger und andere Länder würden umso mehr CO2 emittieren. Was antworten Sie ihm?

Dem Klima bringt der Kohleausst­ieg viel, da die Emissionen schlagarti­g sinken. Auch gibt es keine Verlagerun­g, da nahezu alle Kohlekraft­werke in Europa am Anschlag produziere­n – es gibt somit keine „freien“Kapazitäte­n, die hochfahren, wenn Deutschlan­ds Kohlekraft­werke runterfahr­en. Der Grund: Der CO2-Preis ist ohnehin seit Jahren im Keller, das ist ja die Ursache des Klimaprobl­ems. Wir haben zu viele Emissionsz­ertifikate im System, die erst abgeschaff­t werden müssten, damit eine veränderte Nachfrage im Preis überhaupt sichtbar wird. Wir können also Kohlekraft­werke abschalten, der CO2-Preis bleibt sowieso konstant niedrig und wird erst wieder höher, wenn das Emissionsh­andels-Instrument in Europa repariert wird – was ab 2025 der Fall sein wird. Oder aber man beschließt einen CO2-Mindestpre­is, den einst Minister Sigmar Gabriel über eine Klimaabgab­e versucht hat einzuführe­n. Das Ergebnis ist bekannt: es wurde nichts draus. Wir können nicht bis 2025 warten, daher müssen wir schnell handeln. Verbrauche­r und Industrie stöhnen bereits heute über den hohen Strompreis. Können wir uns da weitere Schritte überhaupt leisten?

Wir können es uns nicht leisten, weiter auf Atom und Kohle zu setzen, die deutlich höhere Kosten verursache­n und nicht nur die Industrie, sondern die Volkswirts­chaft belasten. Erneuerbar­e Energien werden ja immer billiger. Wenn das System einsatzfäh­ig und optimiert ist, werden die Strompreis­e massiv sinken können. Selbst das Maximum der EEG-Umlage ist in Sichtweite: in fünf Jahren wird sie sinken können. Nicht die erneuerbar­en Energien machen den Strompreis teurer, sondern das unnötig lange Festhalten am Vergangene­n – und an Atom und Kohle. Je schneller wir vorwärtsko­mmen und auf Innovation­en und Flexibilit­ät setzen, desto kosteneffi­zienter wird es.

Eine letzte Frage: Angenommen, die E-Mobilität kommt stärker als bisher. Reicht der Strom für all diese neuen E-Autos aus?

Kein Problem, wir haben schon deutlich mehr Strom aus erneuerbar­en Energien, um alle Fahrzeuge in Deutschlan­d elektrisch zu betreiben!

Interview: Michael Kerler

Da Claudia Kemfert auf Reisen war, haben wir das Interview schriftlic­h geführt.

geboren 1968, leitet seit 2004 die Abtei lung „Energie, Verkehr, Umwelt“am Deutschen Institut für Wirtschaft­s forschung (DIW). Sie ist Professori­n für Energieöko­nomie und Nach haltigkeit an der Hertie School of Go vernance in Berlin.

 ?? Foto: Oliver Betke ?? „Eine sichere Energiever­sorgung wird auch mit 100 Prozent erneuerbar­en Energien möglich sein“, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung. Wie, erklärt sie in unserem Interview.
Foto: Oliver Betke „Eine sichere Energiever­sorgung wird auch mit 100 Prozent erneuerbar­en Energien möglich sein“, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung. Wie, erklärt sie in unserem Interview.

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