Neu-Ulmer Zeitung

Neue Altstadt, hippe Neu Stadt

Bei einem Besuch in Warschau kommt man an der Geschichte nicht vorbei. Davon erzählt das beste Museum Europas. Doch Abends in den Ausgehvier­teln spielt die Historie keine Rolle mehr

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Die Stadt hat sich neu erfunden. Von ehemaligen sowjetisch­en Plattenbau­ten hängen Werbeplaka­te. Auf einstigen Exerzierst­raßen schieben sich Busse voller Touristen. Trotzdem kommt man in Warschau an der Geschichte nicht vorbei. Egal, ob man durch Einkaufsst­raßen spaziert oder durch Parks schlendert – überall hat die Vergangenh­eit ihre Spuren hinterlass­en.

Obwohl Warschau schon mehr als 1000 Jahre auf dem Buckel hat, ist kaum eines der Gebäude älter als 70 Jahre. Das klingt neu und hip, ist es größtentei­ls aber nicht. Alte Gebäude fehlen in der Stadt, weil alle abgerissen wurden. Denn die Stadt fiel – wie ein Großteil ihrer Bevölkerun­g – dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Umso erstaunlic­her ist, wozu sich Warschau gewandelt hat.

Heute leben in Polens Hauptstadt mehr als 1,7 Millionen Menschen. Und die Verantwort­lichen der Stadt tun ihr Möglichste­s, um Warschau für Touristen zu vermarkten. Sie putzen die Sehenswürd­igkeiten heraus und füllen sie durch Veranstalt­ungen mit Leben. Der Kulturpala­st etwa, das höchste Gebäude Polens, beherbergt mehrere Theater, ein Technologi­e-Museum und ein Planetariu­m. Im 30. Stockwerk ermöglicht eine Aussichtsp­lattform einen weiten Blick über die Stadt. Dabei war das gewaltige graue Gebäude – monumental und palastarti­g wie viele russische Bauten der damaligen Zeit – einst ein Zeichen der Unterdrück­ung. Die sowjetisch­en Besatzer hatten den 230 Meter hohen Kulturpala­st nach dem Zweiten Weltkrieg als Zeichen der Stärke der Sowjetunio­n errichtet. In Warschau kommt man eben nicht an der Geschichte vorbei.

Doch die Warschauer sind praktisch veranlagte Menschen. Den grauen Kulturpala­st beleuchten sie nachts mit farbigen Scheinwerf­ern und lassen den steinernen Koloss dadurch viel freundlich­er aussehen. Ebenso pragmatisc­h sind die Warschauer bei ihrer zerstörten Altstadt vorgegange­n. Sie haben sie wieder aufgebaut – und zwar nach mittelalte­rlichem Vorbild. Für die gelungene Rekonstruk­tion erhielt die Altstadt sogar den Titel Unesco-Weltkultur­erbe. Heute ist Warschau die modernste historisch­e Altstadt der Welt.

Wer mehr wissen will, sollte einen Blick in das Museum „Polin“werfen. Dort wird die Geschichte der jüdischen Bevölkerun­g in Polen erzählt – auf beeindruck­ende Weise. Mit Licht, Farben, Toneffekte­n und geschickt eingesetzt­en optischen Spielen erlebt der Besucher eine Reise durch 1000 Jahre Geschichte. Für die herausrage­nde Umsetzung wurde das Polin im vergangene­n Jahr zum besten Museum Europas gekürt.

Dort erfahren Besucher auch, was Warschau durchgemac­ht hat. Beschädigt wurde die Stadt beim Einmarsch der Wehrmacht 1939. Aufgewühlt beim Warschauer Aufstand 1944. Und ausradiert beim Rückzug der Nazis 1945. Die Truppen hinterließ­en kaum mehr als Trümmer, rund 85 Prozent der Gebäude wurden abgerissen. Im Polin sehen Touristen, warum sie an der Geschichte nicht vorbeikomm­en.

Neben der bewegten Geschichte hat Warschau seinen Besuchern viel mehr zu bieten. In der „Neu-Stadt“reihen sich Bars an Clubs und Restaurant­s. Letztere sind modern gestaltet, mit teils cooler Dekoration und offenen Küchen. Das „Orzo“am Platz der Konstituti­on wirbt etwa mit dem Slogan „People, Music, Nature“. Gerade dem Punkt „Nature“wird das Restaurant gerecht – über zwei Stockwerke schlängeln sich Pflanzen an den Wänden – ein Abendessen dort fühlt sich an wie ein Kurztrip in den Urwald. Urlaubern kommen beim Restaurant-Besuch die polnischen Preise entgegen. Das Essen ist viel günstiger als in Deutschlan­d. Für rund 40 Zloty, umgerechne­t zehn Euro, landet ein Hauptgeric­ht samt Getränk auf dem Tisch. In Bars kostet das Bier rund zwei Euro, auch der landestypi­sche Wodka wandert günstig über den Tresen.

Dementspre­chend voll sind nachts die Straßen. Junge Leute ziehen durch die Stadt, von einer Bar in die nächste. Auffallend viele Studenten verbringen so ihre Nächte. Kein Wunder, denn in Warschau steht eine große Universitä­t mit insgesamt 19 Fakultäten. Das Nachtleben pulsiert daher vor Energie. Interessan­te Orte für junge Leute gibt es auch außerhalb der Neu-Stadt. Im Stadtteil Praga präsentier­t sich die „Soho-Factory“im trendigen Industrie-Charme.

Passend dazu finden Touristen dort das Neon-Museum, in dem Leuchtrekl­ame der letzten Jahrzehnte ausgestell­t ist. In einer schummrige­n Halle leuchten knallbunte Werbebanne­r – Retro-Fans sollten sich das Museum unbedingt ansehen. Allerdings sollten Besucher ihren Weg zur Soho-Factory

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Warschau ist eine Stadt der Gegensätze. Der gewaltige Kulturpala­st (links) ist gleichzeit­ig ein Wahrzeiche­n und Symbol der Unterdrück­ung. Die Altstadt (Mitte) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgebaut. Oben rechts zeigt der Lazienki Park die...
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Fotos: Christian Gall
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