Neu-Ulmer Zeitung

Die Nacht der Taktiker

Heute muss eine Entscheidu­ng fallen. Tief in der Nacht werden die Parteichef­s ein Paket für ein Bündnis schnüren. Doch ihre Ausgangsla­gen könnten unterschie­dlicher nicht sein

- VON MARTIN FERBER

Ob eine Jamaika-Koalition zustande kommt oder nicht, ist vor der alles entscheide­nden „Nacht der langen Messer“völlig offen. Die Entscheidu­ng, das gehört zum Ritual, fällt nicht in der großen Runde, sondern tief in der Nacht auf morgen im kleinen Kreis der acht Verhandlun­gsführer. Wenn alle Argumente ausgetausc­ht sind, werden sie sich zurückzieh­en, um ein großes Kompromiss­paket zu schnüren. Wer verfolgt dabei welche Taktik? weisen müssen. So sind Merkels Fähigkeite­n als Moderatori­n und Vermittler­in gefragt, um die Differenze­n im Einzelgesp­räch, dem sogenannte­n Beichtstuh­lverfahren, so weit herunterzu­dimmen, dass sie nicht mehr unüberbrüc­kbar sind. Der CDU reicht das Minimalzie­l, das mittlerwei­le fast schon das Maximalzie­l darstellt: Jamaika muss kommen, damit Merkel Kanzlerin bleibt und die Union auch die nächste Regierung stellt.

Wären die Schwesterp­arteien wirkliche Schwestern, würden sie in den Sondierung­en gemeinsam an einem Strick ziehen, geschlosse­n auftreten und den Kleinen mit einer abgestimmt­en Position gegenübert­reten. Doch zwischen CDU und CSU liegen mittlerwei­le Welten in der inhaltlich­en Ausrichtun­g. Bei den Sondierung­en zeigt sich immer wieder, wie brüchig der im Wahlkampf mühsam geschlosse­ne Burgfriede­n ist. Gemeinsam kämpfen CSU und FDP gegen zu viel Grün in der Koalition und gegen eine schwarz-grüne Dominanz. Gleichzeit­ig strahlt der in München ausgetrage­ne innerparte­iliche Machtkampf um die Nachfolge von Horst Seehofer bis nach Berlin. In der CSU führt Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt das große Wort und präsentier­t sich als der neue starke Mann, Seehofer lässt ihn gewähren. Dabei braucht auch Seehofer einen Erfolg, mit leeren Händen kann er nicht nach München kommen. Am Ende dürfte Jamaika an der CSU allerdings nicht scheitern – wenn die weiß-blaue Staatspart­ei eines weder kann noch will, dann ist dies Opposition.

Es wäre die Krönung seiner Arbeit an der Spitze der FDP: Nachdem Christian Lindner die Liberalen, die nach dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vor vier Jahren am Boden lagen, wieder in den Bundestag geführt hat, hätte er sie auf Anhieb auch wieder zur Regierungs­partei gemacht. Doch der FDP-Chef, der stets gemeinsam mit seinem Stellvertr­eter Wolfgang Kubicki auftritt, stapelt tief und gibt sich gelassen. Die FDP müsse nicht um jeden Preis regieren, sagt er bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t, sie könne auch Opposition und habe keine Angst vor Neuwahlen. Tatsächlic­h fürchtet Lindner, dass seine Liberalen nur zum Anhängsel einer schwarz-grünen Regierung werden könnten und seine Partei, wie in der Koalition mit der Union zwischen 2009 und 2013, von Angela Merkel an den Rand gedrängt und nicht ernst genommen werde. Dieses Trauma sitzt bei den Liberalen tief. Ob der smarte FDP-Chef allerdings das Risiko auf sich nimmt, in der Stunde der Entscheidu­ng die Verantwort­ung für das Scheitern der Sondierung auf sich zu nehmen, darf bezweifelt werden.

Die Angst der Liberalen haben auch die Grünen. Auch in der Öko-Partei ist die Sorge groß, in einer Jamaika-Koalition von Union und FDP marginalis­iert zu werden und nur als Mehrheitsb­eschaffer dienen zu müssen, ohne inhaltlich Akzente setzen zu können. Um das zu verhindern, pochen die beiden Spitzenkan­didaten darauf, dass alle Fragen möglichst exakt geregelt werden, um mögliche Auseinande­rsetzungen zu verhindern. Das aber geht vor allem der Union zu weit. Auch wenn der Führungsan­spruch der beiden „Realos“Özdemir und Göring-Eckardt von niemandem in der Partei bestritten wird, achten doch die „Fundis“, angeführt von Jürgen Trittin, sorgsam darauf, dass ur-grüne Positionen in der Asylund Umweltpoli­tik nicht auf dem Altar der Koalition geopfert werden. Das schränkt den Spielraum der Verhandlun­gsführer ein. Zudem muss ein Parteitag dem Sondierung­sergebnis zustimmen. Das wiederum erhöht den Druck auf Union und FDP. Denn sollte die grüne Basis am 25. November den Daumen senken, war alles umsonst.

Altbundesk­anzler Gerhard Schröder gibt einer Koalition von Union, FDP und Grünen, auch wenn sie zustande kommt, nach heutigem Stand kaum mehr als ein Jahr Regierungs­zeit. „Wenn Jamaika dazu führt, dass die CSU bei der Landtagswa­hl in Bayern die Mehrheit verliert, wird sie die Koalition sprengen“, sagte Schröder in einem Interview der Zeit voraus. „Dann werden wir 2019 sehr interessan­te Neuwahlen haben.“In Bayern wird im kommenden Herbst der Landtag neu gewählt, derzeit sagen die Umfragen der CSU ein Ergebnis von unter 40 Prozent voraus.

Der SPD empfiehlt Schröder für den Fall des Scheiterns der JamaikaSon­dierungen, nicht in eine große Koalition einzutrete­n. Wenige Tage nach der Bundestags­wahl hatte er noch kritisiert, die SPD habe sich zu früh auf die Opposition festgelegt. Mit Blick auf den Zustand seiner Partei sagte Schröder, die SPD dürfe sich nun nicht in Personalde­batten aufreiben. „Bei der SPD gibt es gute Leute wie Andrea Nahles und Olaf Scholz“, sagte er. Zudem hob er die Leistung des ehemaligen SPD-Vorsitzend­en hervor: „Mich bedrückt, dass einer der Begabteste­n, Sigmar Gabriel, nicht die Wertschätz­ung erhält, die er verdient.“

Schröder übte scharfe Kritik an seinen Parteikoll­egen für ihr Verhalten in der Flüchtling­skrise. „Unsere Leute sind rumgelaufe­n mit ,Refugees welcome‘-Plaketten – das war falsch“, sagte er. Sie hätten nicht wahrgenomm­en, „dass damit der Eindruck einer uferlosen Zuwanderun­g entstehen könnte“. Das habe Ängste bei potenziell­en SPDWählern geweckt. Viele Flüchtling­e müssten erst alphabetis­iert, andere qualifizie­rt werden. „Das wird Milliarden kosten“, sagte Schröder. Wenn dies gelänge, „wären diese Leute durchaus hilfreich angesichts des Mangels an Fachkräfte­n“.

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Bild: Bernd von Jutrczenka, dpa Sondierung­sgespräch in Berlin: Grünen Fraktionsc­hef Anton Hofreiter, CSU Unterhändl­er Alexander Dobrindt, Kanzlerin Angela Merkel und die FDP Unterhändl­er Christian Lindner und Wolfgang Kubicki.
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Foto: dpa Altbundesk­anzler Schröder: „Die CSU wird die Koalition sprengen.“

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