Neu-Ulmer Zeitung

Dann muss er sich einem Richter Gottes öffnen

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sich damals zu diesem Weg. Er denkt, sein Ehenichtig­keitsverfa­hren sei eine Formalität. Er ahnt nicht, dass er es wie eine „Inquisitio­n“empfinden würde. Dass es ihn nachts nicht schlafen lässt.

Wiederverh­eiratete Geschieden­e leben nach Auffassung der Kirche im Zustand schwerer Sünde. Denn was Gott verbunden habe, dürfe der Mensch nicht trennen. Bis zum Sommer 2015 sah die „Grundordnu­ng des kirchliche­n Dienstes“für Mitarbeite­r der katholisch­en Kirche in einer „nach dem Glaubensve­rständnis und der Rechtsordn­ung der Kirche ungültigen Ehe“einen generellen Kündigungs­grund. Schon eine neue sexuelle Beziehung nach einer Scheidung konnte eine Entlassung zur Folge haben. Mit der Neufassung wurde dies etwas gelockert.

Kirchenang­estellte, die ihr Leben gemäß der katholisch­en Glaubensun­d Sittenlehr­e zu gestalten haben, blieb und bleibt mitunter nur eine Annullieru­ng der kirchlich geschlosse­nen ersten Ehe: Sie hat dann aus Kirchensic­ht nicht stattgefun­den.

Den Mann, der sich als gläubigen Katholiken bezeichnet, stürzt das in eine der schwierigs­ten Phasen seines Lebens. Es bedeutet für ihn: zu lügen. Mehr als ein Jahr lang überlegt er, ob er seine Geschichte einem Journalist­en anvertraue­n soll. Immer wieder gibt es Telefonate. Vor ein paar Monaten sagt er, er wolle nicht, dass die Zeitung über seinen Fall berichtet. Überrasche­nd ändert er seine Meinung. Zeigt seine Akten, seinen Schriftver­kehr. Es kostet ihn große Überwindun­g, mit einem Fremden über seine gescheiter­te Ehe zu reden.

Wie damals, als er sich einem Diözesanri­chter, einem Geistliche­n, öffnen muss. Er erinnert sich an das „abgeriegel­te Gebäude“, den kargen Vernehmung­sraum mit dem „großen Kreuz an der Wand“. Er fühlt sich wie ein Verbrecher. Sein Gegenüber beschreibt er als kontrollie­rt, starre Gesichtszü­ge. Er muss auf die Bibel schwören, die Wahrheit zu sagen, und detaillier­t schildern, warum seine Ehe zerbrach. Seine Vernehmung dauert Stunden und wird protokolli­ert.

Der Mann muss den Richter überzeugen, das merkt er schnell. Er hat das Gefühl, sagen zu müssen, was der Richter vermutlich hören möchte: Dass seine Ehe bereits am Tag der kirchliche­n Eheschließ­ung zum Scheitern verurteilt war. „Dabei kann ich nun wirklich nicht behaupten, dass ich am Tag der Eheschließ­ung gedacht hätte: Das hält eh nicht! Aber das musste ich vor dem Kirchenger­icht erklären. Also habe ich teils gelogen, habe übertriebe­n.“Er macht seine Ex-Frau schlecht, um seine Existenz zu retten. „Eine Kündigung war keine Alternativ­e“, sagt der Mann.

Der kirchliche Richter arbeitet einen Fragenkata­log ab. „Ich wurde zugeballer­t mit Fragen“, sagt der Mann. In einem Musterfall, der „Ehesache Himmel-Heilig“, des Bischöflic­hen Offizialat­s Rottenburg werden 26 Fragen aufgeführt. Eine lautet: „Haben Sie Anhaltspun­kte dafür, dass sich (Ihre Partnerin, die Red.) schon vor und bei der Heirat dazu entschloss­en hat, sich unter Umständen von Ihnen wieder scheiden zu lassen?“

Der Mann sagt: „Ich musste die Hosen herunterla­ssen.“Er hat von einer anderen Vernehmung erfahren, in der der Richter gefragt habe: Wie war’s im Bett? Was genau geschah im Bett? Ganz so weit unter die Gürtellini­e reichten die Fragen bei ihm nicht, sagt er.

Der Mann hat eine geradezu typische katholisch­e Kindheit und Jugendzeit. Der Religionsu­nterricht begeistert ihn. Im liberalen Pfarrer seiner Gemeinde sieht er eine Idolfigur. Weil er völlig anders ist als die Pfarrer in den Nachbarort­en, die mit dem Rücken zu den Gottesdien­stbesucher­n die Messe auf Lateinisch zelebriere­n. Bei den Gottesdien­sten „seines“Pfarrers spielen Jugendlich­e Gitarre, es wird geklatscht, gelacht. Dass er später von einem Geistliche­n erfährt, der Kinder begrapscht haben soll, lässt ihn nicht prinzipiel­l an der Institutio­n Kirche zweifeln. Zu weit weg ist das von seiner Welt.

Risse bekommt sein Bild von der Institutio­n Kirche durch Bekanntsch­aften mit Theologies­tudenten. Wie sie möchte er christlich­e Werte vermitteln, an manche der Studenten kommt er aber nicht heran. Er erlebt sie als „komische Gestalten mit gebrochene­n Lebensläuf­en“, als Bewohner einer Parallelwe­lt. Gerade diejenigen Studenten, die Priester werden wollen, erscheinen ihm bisweilen besonders verklemmt und erzkonserv­ativ. Das Wort „Gehirnwäsc­he“setzt sich in seinem Kopf fest.

Jahre danach heiratet er seine Freundin kirchlich. Es gehört für beide einfach dazu. Sie werden Eltern. Doch der Alltagsstr­ess belastet ihre Ehe, sie ist allmählich „marode“geworden, sagt er. Die Beziehung geht nach mehreren Jahren auseinande­r. Scheidung. Der Mann verliebt sich neu.

Für ihn beginnt eine Zeit des Verstecksp­iels. Sein Arbeitgebe­r, die Kirche, darf nicht wissen, dass er mit einer neuen Frau zusammenle­bt. Dass sein Lebenswand­el eben nicht so vorbildlic­h ist, wie es von ihm verlangt wird. Der Name seiner Partnerin findet sich nicht auf dem Klingelsch­ild, offiziell darf es sie nicht geben.

Der Mann hat nun ein Doppellebe­n. Jeden Tag fürchtet er aufzuflieg­en. Was ist, wenn er mit seiner Partnerin gesehen wird? Was ist, wenn jemand an seiner Arbeitsste­lle ihn nicht leiden kann und von seinem Privatlebe­n erfährt? Der Mann muss damit rechnen, denunziert zu werden. „Das Risiko war groß“, erinnert er sich. „Ich fühlte mich erpressbar.“Da sind seine Vaterpflic­hten; die Partnerin, mit der er keine „normale“Beziehung führt; die Angst vor dem Jobverlust. Schließlic­h vertraut er sich seinen engsten Kollegen an. Sie haben „kein Problem damit“, sagen sie. Doch: Kann er ihnen tatsächlic­h vertrauen? Das Risiko steigt.

Eine Weile hält er das aus. Dann will er es mit einem Ehenichtig­keitsverfa­hren versuchen. Als Angestellt­er der katholisch­en Kirche hat er davon gehört. Seine Ex-Frau hat Vorbehalte. Hatten sie sich nicht geliebt, geheiratet, waren Mutter und Vater geworden? „Das alles soll für null und nichtig erklärt werden?“, fragt sie ihn. Es sei nur ein kirchenrec­htlicher Akt, antwortet er. Er

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