Neu-Ulmer Zeitung

Wann ist ein Leben geglückt?

Der Augsburger Schriftste­ller Thomas von Steinaecke­r und die Münchner Zeichnerin Barbara Yelin erzählen berührend über das Alter und die Kraft der Erinnerung­en

- VON STEFANIE WIRSCHING

Eine alte Frau in ihrem letzten Zuhause: Gerda Wendt schiebt sich mit ihrem Rollator durch die Flure des Altersheim­s, manchmal verwechsel­t sie die Flure, eins oder zwei, obwohl doch Zahlen „einmal das Einzige waren, womit ich mich wirklich auskannte“. Abends hockt sie gemeinsam mit anderen Bewohnern vor dem Fernseher, Krankenhau­sserie, dann kommt die Pflegerin zum Waschen, wartet die Nacht ... Ein Leben noch, aber ein ziemlich graues eben, und manchmal ist sich die alte Dame auch da gar nicht mehr sicher: „Oft denke ich, ich bin bereits tot. Und das hier ist die Ewigkeit. Früher raste die Zeit. Erinnere ich mich daran, sticht es. Trotzdem will ich jetzt wieder öfter an früher denken. Ich spüre dann, ich lebe noch.“

Mit diesen Sätzen beginnt der Comic „Der Sommer ihres Lebens“, geschriebe­n von Thomas von Steinaecke­r, gezeichnet von Barbara Yelin. Auf 80 Seiten erzählen sie gemeinsam das fiktive Leben der Astrophysi­kerin Gerda Wendt, lassen

Und das Ergebnis? Geglückt! Und nun, überarbeit­et und ergänzt, erschienen auch als Buch. Fein gezeichnet­e, in gedeckten Farben gehaltene Bilder von großer Tiefe, die den Leser hineinzieh­en ins Leben der Gerda Wendt, von Steinaecke­r poetisch erzählt, immer auch mit Sinn fürs Komische. Einmal, da sitzt Gerda bereits im Rollstuhl, trifft sie an einer Bushaltest­elle mitten im Park des Altenheime­s auf ihren Mitbewohne­r Jörg. „Kommen Sie, wir gehen rein“, sagt Jörg, als heftiger Wind abhebt, die Blätter wirbeln. „Aber der Bus“, fragt Gerda, und Jörg, der sie später verwirrt für die eigene Tochter halten wird, antwortet mit Blick aufs Haltesymbo­l: „Ach das. Das ist doch nur für die Demenzkran­ken.“

Steinaecke­r und Yelin nutzen die Möglichkei­ten der Gattung aus: erzeugen Stimmungen mit Farbe, Strich und Ton, setzen die Geschichte einer Art Wellengang aus, der mal nach unten ins SchwarzGra­ue zieht, dann wieder an die hellere Oberfläche, lassen Tristesse der Gegenwart und Trubel der Vergangenh­eit wie die Farben ineinander­fließen, springen in der Zeit, halten sie einmal auch an… großartig! Und erzählen dabei vom Alltag des Alters, vom körperlich­en Verfall und wie sich am Ende des Lebens letztendli­ch die Frage stellt: War es das jetzt? War’s gut, geglückt? Habe ich etwas Wichtiges verpasst? All die Jahre, umsonst gelebt? Oder hatte alles doch einen tieferen Sinn.

Über die Schlüsselm­omente in Gerdas Leben gelangen sie zu einer Antwort. Sie zeigen das junge Mädchen, begabt für Zahlen, kritisch beäugt daher von den anderen. Dann die junge Wissenscha­ftlerin auf dem Weg nach Cambridge, der große Erfolg, da entscheide­t sie sich für die Liebe, einen Musiker. Ein Kind kommt zur Welt, der Gitarrengo­tt geht fremd ... ach, ein Leben eben. Und dennoch entscheide­n sich Thomas von Steinaecke­r und Barbara Yelin für eine tröstliche Antwort. Die entscheide­nden Momente fügen sich zu einem Ganzen. Mit Jörg steht Gerda in der Nacht am Fenster, zeigt auf die Sterne, ihre große Leidenscha­ft, und erklärt ihm, wie aus dem blinkenden Wirrwarr ein Bild entsteht: „Sie müssen nur die Punkte miteinande­r verbinden.“Gelungen. All das! Die Maschine rollt schon seit Ende August. Da nämlich veröffentl­ichte Ex-Country-Königin und inzwischen US-Pop-Diva Taylor Swift mit „Look What You Made Me Do“den ersten Song des jetzt komplett erschienen­en Albums „Reputation“. Und im inzwischen über hunderte Millionen mal geklickten Video dazu badete sie nicht nur nackt in Klunkern und tönte wie eine Mischung aus Beyoncé und Lady Gaga, sie spielte auch kokett mit den politische­n und gesellscha­ftlichen Vereinnahm­ungsversuc­hen. Im ganzen Paket formt sich ein anderes Statement. Während etwa Miley Cyrus und Lady Gaga zuletzt nach mehr handgemach­ter Musik verlangten, geht Taylor Vollgas in Richtung effektmaxi­miertem Pop. Allein Auskopplun­g Nummer zwei namens „ … Ready For It?“mitsamt Video ist ein Fantasy-Spektakel zu einem halb gerappten und dann im Refrain ohrwurmsch­wanger geträllert­en Song. Unternehme­n Superstar eben. Bloß: Beyoncé kann das besser. (ws) ★★★✩✩

(Big Machine)

Über 20 Jahre sind die Emil Bulls mittlerwei­le im Geschäft. Wobei „im Geschäft“etwas übertriebe­n klingt. Die fünfköpfig­e Band aus München schwamm lange Zeit nur im großen Strom mit. Erst mit dem Album „Scarifice to Venus“im Jahr 2014, als die Alternativ-Metaler auf Rang sechs der deutschen Charts kletterten, genossen sie endlich mehr Aufmerksam­keit. Haben sie sich auch verdient. Denn die Bulls können fast alles – nur nicht leise. Das Album „Kill your Demons“ist deshalb auch typisch für die Ex-Klostersch­üler. Und sie gehen mit der Zeit. Jedenfalls videotechn­isch ist ihr Opener „Kill your Demons“stark angelehnt an Stephen Kings Horrormeis­terwerk „Es“. Aber auch nur hören macht Spaß. „The ninth Wave“oder „Euphoria“zaubern Stimmung in die Bude. Die „Bulls“bleiben am Ball und ernten langsam das, was sie gesät haben. (wla) ★★★★✩

(Afm/Soulfood)

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Bild: Reprodukt Verlag Blinkende Punkte, zu einem Ganzen verbunden: der Comic „Der Sommer ihres Le bens“.
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Taylor Swift: Reputation
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Emil Bulls: Kill Your Demons
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