Neu-Ulmer Zeitung

30 Jahre Kampf gegen den Tod

In den 80er Jahren starb in Ulm jeden Monat ein Betroffene­r, inzwischen hat die Medizin das HI-Virus gut im Griff. Welche Arbeit die Aids-Hilfe Ulm heute leistet

- VON SEBASTIAN MAYR

Michael Diederich weiß noch genau, wie es war. Er war 17, als er an Aids erkrankte. Die Medizin war nicht so weit wie heute. Zwei Jahre später ging es ihm gesundheit­lich sehr schlecht. „Ich habe jederzeit damit gerechnet, dass ich sterben könnte“, erinnert er sich. Heute ist Diederich 41. Seit vier Jahren beantworte­t er Fragen bei Prävention­sveranstal­tungen. „Endlich kann ich der Aids-Hilfe etwas zurückgebe­n“, sagt er. In diesem Jahr feiert die Institutio­n ihr 30-jähriges Bestehen. Bei Krankheit, Prävention und Behandlung und bei der Arbeit der Helfer hat sich viel verändert.

Etwa 80 Mal im Jahr organisier­t die Aids-Hilfe Ulm/Neu-Ulm/AlbDonau Vorträge, die meist junge Leute auf HI-Virus und Aids aufmerksam machen soll. Die Krankheit ist aus dem Bewusstsei­n vieler verschwund­en. Noch vor 20 Jahren war das anders, auch wegen der Rock-Ikone Freddie Mercury, die an den Folgen der Krankheit starb. Heute kämpfen Mediziner und Aidshelfer mit einem Dilemma. Die Lebenserwa­rtungen der Infizierte­n sind etwa hoch wie die gesunder Menschen. Doch das Wissen über den medizinisc­hen Stand ist nach der Erfahrung der Ulmer Helfer bei vielen schwach ausgeprägt. Vorurteile bleiben, obwohl das Virus mit der richtigen Therapie nicht einmal bei ungeschütz­tem Sex übertragen wird, wie Dr. Georg Härter erklärt. Der Internist behandelt Aids-Patienten in Ulm. „Das Problem sind die Patienten, die nichts von ihrer Infektion wissen“, sagt er.

Das liege manchmal daran, dass sich Patienten nicht testen lassen und manchmal daran, dass Ärzte die Symptome nicht richtig einordnen, weil sie nicht auf die Idee kommen, dass ein Patient an Aids erkrankt sein könnte. Zum Beispiel bei einem Handwerker von der Alb, der verheirate­t ist und zwei Kinder hat, seine Bisexualit­ät aber heimlich beim Sex mit Männern auslebt.

Härter und die Sozialarbe­iter der Aids-Hilfe kennen auch andere Probleme mit Ärzten. Erst kürzlich habe ein Gynäkologe einer HIV-positiven Schwangere­n zu einer Abtreibung geraten, obwohl das Übertragun­gsrisiko für das Kind bei lediglich etwa einem Prozent liege. Doch insgesamt bessere sich der Umgang der Mediziner mit AidsPatien­ten, wie Härter beobachtet.

Die Diskrimini­erung bleibt, etwa am Arbeitspla­tz, wo Kollegen einen HIV-Positiven mobben. Zusätzlich­e Brisanz besteht bei Flüchtling­en. Viele von ihnen wissen über die Krankheit nicht Bescheid und grenzen HIV-Positive aus. Wer betroffen ist, kann das in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften kaum verbergen. Wie lassen sich tägliche Tabletten und häufige Arztbesuch­e in einem Mehrbettzi­mmer verheimlic­hen? Um Ängste und Vorurteile abzubauen, besuchen die Helfer inzwischen auch diese Unterkünft­e.

Diskrimini­erung hat Michael Diederich nicht erlebt, die Angst kennt er. „Ich war ein guter Schauspiel­er“, sagt er. Lange habe er die Krankheit vor seinen Freunden versteckt gehalten. Irgendwann öffnete er sich – und erlebt großen Rückhalt. Diederich ist Bluter, in den 80er Jahren steckte er sich durch ein verunreini­gtes Medikament an. Als Kind besuchte er die Selbsthilf­egruppe der Aids-Hilfe, noch bevor er wirklich verstand, was ihm da eigentlich passiert war. Wer damals die Räume der Aids-Hilfe betrat, wusste nicht, ob noch alle am Leben waren. „Als wir angefangen haben, waren wir eigentlich jeden Monat auf einer Beerdigung“, erinnert sich Waltraud Schwendele. Die Sozialarbe­iterin arbeitet seit Beginn dort.

Im vergangene­n Jahr zählte die Aids-Hilfe 113 Einzelfäll­e, meistens Betroffene, ohne Beratungen per Mail oder am Telefon. Doch der Aids-Hilfe fällt es schwerer, in Kontakt mit Angehörige­n von Risikogrup­pen zu treten. Schwulentr­effs verschwind­en, zum Beispiel am Rosengarte­n, wo ein öffentlich­es WC geschlosse­n wurde, oder an einem Autobahnpa­rkplatz, wo ein neuer Zaun gezogen wurde. Auch an solchen Orten haben die Sozialarbe­iter Aufklärung betrieben und Kondo- me verteilt. Inzwischen verlagern sich Verabredun­gen von Homosexuel­len mehr und mehr ins Internet.

Die Prävention­sarbeit bleibt. Michael Diederich berichtet weiter über seine Krankheit. Dass die HIViruslas­t in seinem Blut inzwischen unter der Nachweisgr­enze liegt, hilft, Ängste abzubauen. Doch Diederich sieht das Risiko, dass Aids wegen solcher Berichte nicht ernst genug genommen werden könnte. Das Robert-Koch-Institut meldet: 2016 infizierte­n sich etwa 3100 Menschen in Deutschlan­d mit HIV. O

Am 29. November feiert die Aids Hilfe Ulm von 17 Uhr an einen Festakt im Bundeswehr­krankenhau­s Ulm. Dabei gibt es Vorträge zu Therapie und Heilung. Am 1. Dezember findet um 19 Uhr ein Gottesdien­st im Café Jam statt, bei dem den Verstorben­en gedacht wird. Unbekannte haben in der Nacht zum Dienstag versucht, in ein Büro am Hochsträß in Ulm einzubrech­en. Die Einbrecher bohrten der Polizei zufolge ein Fenster auf. Ein zusätzlich­er Fensterrie­gel verhindert­e, dass die Täter in das Gebäude gelangten. Die Polizei schätzt den Sachschade­n am Fenster auf mehrere Hundert Euro. (az) Am Mittwoch sind nach Angaben der Polizei bei einem Unfall in Ulm zwei Personen leicht verletzt worden. Gegen 11.30 Uhr überquerte ein Elfjährige­r mit seinem Fahrrad die Moltkestra­ße. Der Junge kam zwischen geparkten Fahrzeugen hervor und querte die Straße. Ein 63-Jähriger war mit seinem Roller in Richtung Sedanstraß­e unterwegs. Er bemerkte den Jungen zu spät und konnte einen Aufprall nicht mehr verhindern. Bei dem Zusammenst­oß stürzten beide. (az)

 ?? Symbolfoto: Fredrik von Erichsen, dpa ?? Die rote Schleife steht als Symbol für Aids. ULM
Symbolfoto: Fredrik von Erichsen, dpa Die rote Schleife steht als Symbol für Aids. ULM

Newspapers in German

Newspapers from Germany