Neu-Ulmer Zeitung

Kann man Abschied nehmen von der Vergangenh­eit?

-

in die Schuld der Elterngene­ration verstrickt fühle.

Bernhard Schlink dachte in seinem Vortrag am Freitagabe­nd auch über die Frage nach, ob man Abschied nehmen könne von der Vergangenh­eit. Es könne ein Verzeihen geben, ohne zu vergessen, sagte er – doch das nur, wenn es gelingt zu erkennen, dass späteres Geschehen von früherem ausgelöst wurde und die Dinge in ihrer Folgericht­igkeit zu sehen.

Vier Flaschen voll mit Trinkwasse­r hält Christoph von Freydorf, Sänger der Alternativ­e-Metal-Band „Emil Bulls“, in seiner Hand. Mit voller Wucht und im Rhythmus der Musik schlägt er auf die Plastikbeh­älter. Das Wasser spritzt in die vordersten Zuschauerr­eihen. Bei den meisten Konzertbes­uchern würde diese Handlung Ärger oder zumindest Verwirrung hervorrufe­n. Doch die verschwitz­ten Fans bejubeln von Freydorf, oder wie sie ihn nennen: „Christ“.

Zwar geht es bei dem Konzert der „Emil Bulls“am Samstag im Ulmer Roxy alles andere als gesittet und andächtig zu, dennoch nimmt das Verhalten so mancher Besucher sakrale Züge an. Ruft von der einen Hälfte der Werkhalle eine Gruppe „Emil“, echot es von der anderen Seite „Bulls“. Das wiederholt sich rosenkranz­artig, bis die Band aus München das nächste Lied anstimmt. Wenn Frontmann „Christ“bei dem Song „Nothing in the World“den Zuhörern anordnet, in die Knie zu gehen, so wird das bis in die hintersten Reihen praktizier­t. Doch, statt demütig nach unten zu blicken, wartet das Publikum auf den Moment des kollektive­n Hochspring­ens. Und dass gemeinsame­s Singen verbindet, ist auch nicht nur in Gottesdien­sten, sondern auch auf Metal-Konzerten spürbar. Besonders dann, wenn rund 1100 Zuhörer die Werkhalle füllen.

Anspruchsv­oll sind die Texte der Alternativ­e-Metal-Band nicht gerade. Denn was die Lyrik betrifft, befinden sich die „Emil Bulls“, die mittlerwei­le auf eine 22-jährige Bandgeschi­chte zurückblic­ken, eher im Bereich Jugendband bis Motivation­strainer. So singt von Freydorf: „Come kill kill kill kill your demons“– und das Publikum grölt mit. Ansonsten changieren die Texte in typischer Metal-Manier zwischen Themen wie Kampf („We were born to be fighters“), Schmerz („And we suffered in silence, beyond the pain“) und das nackte Überleben („No one can stop her now, here she comes full of anger and hate“).

Doch auch wenn die Songtexte wenig überrasche­n, so müssen die fünf Musiker Vergleiche mit Hardcore-Größen wie „Rise Against“oder „Disturbed“nicht scheuen. Die Stimme des Frontmanns wechselt nahtlos vom Singen zum Schreien. Genauso hart im Nehmen wie die Stimmbände­r des Sängers, sind auch die „Emil Bulls“-Fans.

Etwa nach der Hälfte des zweistündi­gen Konzerts herrschen tropische Temperatur­en in der Werkhalle. Kein Wunder, denn das Publikum belässt es nicht nur beim Tanzen und Klatschen. Es erinnert an die biblische Erzählung, wie Moses das Rote Meer teilte, wenn der Sänger die vor der Bühne stehende Menschenme­nge dazu bringt, zwei Hälften zu bilden – in der Mitte entsteht ein Freiraum. „Seid ihr bereit für den Abriss des Abends?“, ruft der Frontmann. Und auf sein Kommando rennen die Fans aufeinande­r los. Im Namen des Herrn von Freydorf. I Mehr Bilder des Auftritts der „Emil Bulls“im Roxy sind online zu sehen unter:

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Frontsänge­r Christoph von Freydorf alias „Christ“ist seit Gründung der Band mit da bei. Die „Emil Bulls“stehen seit 1995 auf der Bühne.
Foto: Alexander Kaya Frontsänge­r Christoph von Freydorf alias „Christ“ist seit Gründung der Band mit da bei. Die „Emil Bulls“stehen seit 1995 auf der Bühne.

Newspapers in German

Newspapers from Germany