Zwei, die zueinander gehören
Ein großartiges Porträt seiner (Theater-)Partnerin Helene Weigel wird versteigert. Es stammt von Rudolf Schlichter, der auch Brecht selbst ikonenhaft malte. Erstklassige Herkunft
Auktionshäuser neigen ganz gerne dazu, die Bedeutung von zu versteigernden Objekten ein wenig hochzuschreiben. Wenn aber jetzt das Berliner Auktionshaus Grisebach ein Gemälde von Rudolf Schlichter als „Chef d’OEuvre“, als ein „Museumsbild“, als eine „exemplarische Ikone des 20. Jahrhunderts“einordnet, dann liegt es ziemlich nahe an der Wirklichkeit.
Das Gemälde zeigt die Schauspielerin und Bert-Brecht-Geliebte Helene Weigel im Jahr 1928. Zuvor, um 1926, entstand Rudolf Schlichters weltberühmtes, offensives Porträt von Bert Brecht mit Zigarre und in Lederjacke – auf jeden Fall eine Ikone zum Themenkreis Brecht, Berlin und Neue Sachlichkeit. Wann immer der Dramatiker in seinen Berliner Jahren, bei seiner Entwicklung des epischen Theaters, abzubilden ist, wird auf Rudolf Schlichters Halbfigur-Gemälde zurückgegriffen. Es gehört zur Sammlung des Münchner Lenbachhauses.
Und nun ist also gewissermaßen das im Prinzip bekannte, aber seit 1928 nicht gezeigte Pendant dazu aufgetaucht: Helene Weigel, die Schauspielerin, in der Rolle der Kantinenbesitzerin Leokadja Begbick aus Brecht/Hauptmanns Lustspiel „Mann ist Mann“. Das ist daran zu erkennen, dass im Hintergrund des Gemäldes im Format 84 mal 60 Zentimeter ein Wegweiser in Richtung Kilkoa zeigt. Der Untertitel von „Mann ist Mann“lautet: „Die Verwandlung des Packers Galy Gay in den Militärbaracken von Kilkoa im Jahre neunzehnhundertfünfundzwanzig“. Wie Schlichters Brecht-Porträt zeigt auch das Weigel-Porträt einen markanten, entschiedenen Zug. Dass Physiognomie und Hände Tatkraft und Willen ausstrahlen, kann nicht übersehen werden. Man sollte beide Bilder künftig nebeneinander betrachten können.
Die Weigel und Brecht lernten sich 1923 kennen; 1924 kam ihr gemeinsamer Sohn Stefan auf die Welt. Doch erst 1929 ließ sich Bert Brecht von seiner ersten Frau Marianne Zoff scheiden – um im selben Jahr Helene Weigel zu heiraten. Das zweite gemeinsame Kind, Barbara, kam 1930 zur Welt. Fast überflüssig, daran zu erinnern, welch große Rolle Helene Weigel in der Kunst ihres Mannes über die Exilzeit hinweg einnahm („Die Mutter“, „Die Gewehre der Frau Carrar“, „Mutter Courage“) – und später dann als Intendantin des Berliner Ensembles.
Aber auch die Provenienz von Rudolf Schlichters Helene-WeigelBildnis ist außerordentlich. Es gehörte einst dem österreichisch-amerikanischen Schauspieler Alexander Granach, der Brecht sowie Weigel im Berlin der 1920er Jahre kennenlernte und bei der Uraufführung von Ernst Tollers „Hoppla, wir leben!“(1927) an der Piscator-Bühne mitwirkte. Nicht zuletzt durch den Film gehörte Granach zu den populären Schauspielern seiner Zeit: Schon 1921 spielte er in Murnaus „Nosferatu“mit, und nach seiner Emigration in die USA trat er unter anderem mit Greta Garbo in Ernst Lubitschs „Ninotschka“auf. Davor lag eine lebensgefährliche Episode in Russland, wo Granach im Zuge der stalinistischen „Säuberungen“verhaftet wurde. Kein Geringerer als Lion Feuchtwanger setzte sich erfolgreich für Alexander Granachs Ausreise in die Schweiz ein. Zur Geschichte des Helene-Weigel-Porträts gehört also auch, dass alle daran (un)mittelbar Beteiligten im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt wurden und emigrieren mussten: Brecht, Weigel, Rudolf Schlichter und eben der erste Eigentümer Granach.
Dieser starb 1945 in New York, als sich das Bild in treuhänderischem Privatbesitz befand. Auf der Liste von „Lost Art“ist das Werk mit der Bemerkung „gütliche Einigung“verzeichnet; es kommt also geprüft und abgesichert unter den Hammer. Das Auktionshaus Grisebach taxiert es auf einen Wert von nur 200000 bis 300000 Euro. Aufruf am morgigen Donnerstag ab 17 Uhr. Ob sich jemand für das Lenbachhaus engagieren wird? Anspruchsvolle Lesearbeit war ja auch schon sein (inklusive der Hörspielfassung) mehrfach ausgezeichneter Roman: „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“. Jetzt aber, im nächsten Werk, „Direkt danach und kurz davor“, führt Frank Witzel gleich in ein so vollständig undurchsichtiges Labyrinth an Stimmen, dass einen beim Lesen schon mal Orientierung und Lust verlassen können – auch wenn es immer wieder brillante Stellen gibt.
So viel ist klar: Es geht um die unmittelbare Nachkriegszeit in Deutschland. Was da geschieht: Das ist nun eben gar nicht zu sagen. Die Frage danach ist viel mehr Thema des Buches selbst. In wechselnden Erzählungen – etwa von einer tragischen Liebesgeschichte zwischen Siebert und Magda, vom Brand eines Waisenhauses oder von einer fulminant bizarren Theaterszene – werden in kurzen Absätzen immer nur Versuche einer Erzählung unternommen – um sie im Absatz danach wieder infrage zu stellen. Schließlich springt Witzel komplett ins Bizarre, ins Getriebe einer bruchstückhaften „Weltmechanik“. Er skizziert eine „Philosophie der Unbeteiligtheit“, eine „Theorie des Postmortalen“, stellt Wittgenstein den Ansatz eines neuen „Tractatus“entgegen, er gebiert Krötenkinder und Affenkönig… Es ist ein Fest der literarischen Freiheit, die Verweigerung einer Erzählung – und eine Zumutung. (ws)
Matthes & Seitz, 552 S., 25 ¤
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Übs. Bernhard Robben, Knaus, 413 Seiten, 24 Euro