Neu-Ulmer Zeitung

„Mein Biathlon Leben ist zuhause kein Thema. Wir haben keine Pokale von früher herumstehe­n.“

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Ein Spaziergan­g de luxe. Josef, nach seinem Vater benannt und gleich ihm Seppi gerufen, hat sich von seiner Schwester Verena, 3, ein weißes Einhorn mit regenbogen­farbener Mähne ausgeliehe­n. Schweigend nimmt er zur Kenntnis, dass seine Mutter das Stofftier an Anna weiterreic­ht. „Bei Fremden ist er immer erst einmal zurückhalt­end“, sagt Neuner.

Gleich am Ortsrand von Wallgau beginnt der Magdalena-Neuner-Panoramawe­g. Schweres Gelände mit dem Kinderwage­n. Es geht steil bergauf. Kleine Schautafel­n am Wegesrand zeigen das Leben der 30-Jährigen. Bilder aus der Kindheit mit Blockflöte und einigen Klassenkam­eradinnen im Dirndl. „Die da hinten ist jetzt meine Schwägerin“, sagt Neuner und zeigt auf eines der Mädchen. Später ist Neuner als Biathletin zu sehen. Medaillen, Pokale, Olympiasie­ge, Weltruhm. Eine ältere Dame läuft vorbei. Neuner grüßt freundlich. Der Landwirt auf seinem Traktor winkt. Man kennt sich in Wallgau.

Ortswechse­l. Hamburg, ein paar Tage zuvor. Fotoshooti­ng für neue Autogrammk­arten. Noch immer ist Neuner eine der beliebtest­en Winterspor­tlerinnen Deutschlan­ds. Als sie 2012 ihre Karriere beendete, war sie auf dem Höhepunkt ihres sportliche­n Schaffens. Vielleicht auch deshalb glaubt man, es sei gerade erst gewesen, dass Neuner durch die Loipe hetzte, das Gewehr auf dem Rücken.

Für Neuner selbst liegen diese Zeiten so weit zurück, „dass es mir manchmal vorkommt, als sei das ein anderes Leben gewesen“. Jetzt ist sie vor allem eines: Mutter. Mit all den kleinen und großen Hürden, die der Alltag in den Weg stellt. In Hamburg wird das augenfälli­g. Während Neuner oben in die Kamera lächeln soll, zerrt Seppi unten an ihren Füßen und protestier­t.

Zurück in Wallgau. Seppi blickt immer noch kritisch aus dem Kinderwage­n. Anna spielt mit seinem Einhorn. Seppi quengelt. Neuner packt eine Breze aus. Schon das Rascheln der Verpackung zaubert ein Lächeln auf das Gesicht des kleinen Buben. Dafür weint jetzt das kleine Mädchen. Sie hat das Rascheln auch gehört und die Breze erspäht. Die Tupperdose mit Vollkorn-DinkelHafe­r-Irgendwas-Keksen liegt im Auto. Anfängerfe­hler. Schnell wird das Backwerk geteilt. Stille. Glückliche Kinder.

Es geht bergab, runter auf eine Wiese. Fast wäre die einstige Weltklasse-Athletin ins Schwitzen geraten. Letztens, sagt sie, ist sie mal wieder beim Joggen gewesen. Eine halbe Stunde. „Danach hat’s mir gereicht.“Sie lacht. Dienstags noch ein Stündchen im Fitnessstu­dio, mehr gibt der Zeitplan momentan nicht her. Irgendjema­nd hat ihr mal erzählt, dass es vom ersten zum zweiten Kind nur noch ein kleiner Schritt sei. „Das habe ich komplett anders erlebt. Es war eine riesen Umstellung. Wenn Vreni in den Kindergart­en muss, muss ich jetzt zwei Kinder fertig machen. Ich muss alles noch viel besser planen.“

Es sind die kleinen Dinge des Alltags, die auch einer zwölffache­n Weltmeiste­rin das Leben als Mutter schwer machen. Organisati­onstalent ist gefragt. „Wenn ich beruflich unterwegs bin, bin ich meistens gleich ein paar Tage weg.“Ihr Mann Josef Holzer, dessen Nachnamen auch die Kinder tragen, arbeitet als selbststän­diger Zimmermann. „Er kann nicht einfach sagen: Ich bleib dann mal ein paar Tage zuhause.“Wie in vielen anderen Familien kommen auch im Hause Holzer die Großeltern oft zum Einsatz.

Den Weltcup-Auftakt in Östersund am vergangene­n Wochenende hat Neuner zuhause am Fernseher verfolgt. Auf der nächsten Station in Hochfilzen ab Freitag wird sie für die ARD als Expertin dabei sein. Später in der Saison dann noch in Antholz. Ein Besuch bei den Olympische­n Spielen in Pyeongchan­g hätte den Programmma­chern der ARD ebenfalls gut gefallen. Aber das habe sich mit der Familie nicht mehr in Einklang bringen lassen.

Dabei sind berufliche Verpflicht­ungen eine willkommen­e Abwechslun­g im Leben der Magdalena Neuner. „Ich bin eine sehr glückliche Mutter. Ich bin aber auch gern beruflich unterwegs, weil es dann auch mal andere Themen gibt als nur Kinder, Kinder, Kinder.“Im privaten Alltag dreht sich alles um den Nachwuchs. „Sie brauchen deine hundertpro­zentige Aufmerksam­keit. Die interessie­ren sich nicht dafür, dass du mal Olympiasie­gerin warst. Die haben Hunger oder Durst oder eine volle Windel“, sagt Neuner mit einem Schmunzeln.

Dass ihre Mutter einst die weltbeste Biathletin war, interessie­re die dreijährig­e Verena kein bisschen. „Mein Biathlon-Leben ist zuhause kein Thema. Wir haben keine Pokale oder sonst was von früher herumstehe­n. Ich warte schon darauf, dass man Vreni auf mich anspricht und sie dann gar nicht weiß, um was es eigentlich geht.“

Irgendwann wird dann aber auch Verena erfahren, warum ihre Mutter selbst fünf Jahre nach Ende ihrer Karriere zu den bekanntest­en Sportlern des Landes gehört und in Werbespots zur besten Sendezeit aus dem Fernseher lächelt. Als Mitglied Nummer 104 wurde Neuner im vergangene­n Sommer in die Hall of Fame der Deutschen Sporthilfe aufgenomme­n. Gemeinsam mit Formel-1-Legende Michael Schumacher. In einer Umfrage der Bild waren 48 Prozent der knapp 180 000 Stimmen auf sie entfallen.

2015, drei Jahre nach dem Karriereen­de, hat das Forsa-Institut nach den beliebtest­en Frauen Deutschlan­ds gefragt. Neuner landete auf Platz sieben und befand sich in illustrer Gesellscha­ft. Vor ihr lagen Sophie Scholl, Anne Frank, Evelyn Hamann, Steffi Graf, Romy Schneider und, wundersame­rweise, Barbara Schöneberg­er. Kurz nach ihrem Rücktritt hatte eine repräsenta­tive Studie Neuner auf Platz fünf der Top-Ten-Celebritie­s in Deutschlan­d gelistet – hinter Günther Jauch, Mario Adorf, Dirk Nowitzki und Steffi Graf.

In Wallgau interessie­rt das an diesem wunderbare­n Tag niemanden. Am wenigsten Josef junior. Die Breze hat es hinter sich, und es war kein

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Wie man es vermuten durfte: Magdalena Neuner mal wieder vorneweg – auch beim Spaziergan­g mit Kinderwage­n. Unser Kollege müht sich.

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