Sie haben auf ihn geschossen und sein Haus bombardiert
und Reifen, im harten Neonlicht scheinen zwei polierte Autos, die der Hobbybastler repariert hat. Rennen hat er damit auch gewonnen. Fotos an den Wänden zeigen den jungen Mervyn Johnston mit einem Pokal in der Hand.
Wenn man so will, ist Johnstons Werkstatt das letzte Gebäude in Großbritannien. Daneben führt die mehr als 200 Jahre alte Steinbrücke über den Fluss, dorthin, wo Irland beginnt. Noch vor drei Jahrzehnten standen hier Zöllnerhäuschen und Schlagbäume. Autos stauten sich auf beiden Seiten an den schwer gesicherten Kontrollposten. Heute ist davon nichts zu sehen, die Brücke wirkt verlassen im Nieselregengrau dieses Nachmittags. Am Ende gibt ein Schild die Geschwindigkeit statt in britischen Meilen in Stundenkilometern an. Die Provinz Nordirland hier, die Republik Irland dort – das spielt in Pettigo, jenem kleinen Dorf, das als einziges auf der Insel unsichtbar geteilt ist, schon lang keine Rolle mehr. Bisher zumindest.
Im County Fermanagh im Norden lebt Johnstons protestantische Familie, es ist der Geburtsort seiner Mutter, im County Donegal im Süden wohnen die katholischen Nachbarn, es ist der Geburtsort seines Vaters. Wenn er sich an jene blutigen Jahre erinnert, die die Briten erstaunlich verharmlosend „Troubles“(„Ärger“) nennen, dann geht es dabei um viel Gewalt. Johnston war sich sicher, dass die Unruhen zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen königstreuen Unionisten und denen, die die Wiedervereinigung der beiden Inselteile wünschen, der Vergangenheit angehörten, seit mit dem Karfreitagsabkommen 1998 offiziell Frieden geschaffen wurde.
Doch mit dem Brexit-Votum kehrten die Sorgen vor neuen alten Grenzen zurück, vor Checkpoints und Zöllnern, die Wagen stoppen und durchsuchen, vor einer Rückkehr zu jenen dunklen Tagen, in denen der Schmuggel florierte. „Wir wollen keine neue harte Grenze. Sollten wir doch eine bekommen, wird das Schwierigkeiten verursachen und vermutlich auch Auseinandersetzungen“, sagt Johnston.
Die meisten der rund eine Million Menschen, die in den Grenzgemeinden leben, fürchten negative Folgen, wenn das Königreich am 29. März den Brexit vollzieht und die heute unsichtbare Grenze zwischen Nordirland und Irland damit zur Außengrenze der EU wird. Der Streit darüber war in den vergangenen Wochen zur Kernfrage in den Brexit-Verhandlungen geworden. Ausgerechnet die Nordiren stehen im Fokus – sie, die beim Referendum mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt haben.
Am Freitag dann ein erster Durchbruch. Premierministerin Theresa May und die Verhandlungsführer der EU einigten sich über die wichtigsten Fragen der Trennung. Von beiden Seiten wurde versprochen, dass es keine befestigte Grenze geben soll. Wie kann das gehen, wenn Großbritannien aus dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Zollunion austritt, um „die Kontrolle über die Grenzen zurückzugewinnen“, wie Brexit-Befürworter versprechen? Dafür gibt es auch jetzt noch keine Lösung. Muss Nordirland nicht einen Sonderstatus erhalten, weil die Situation besonders ist? Oder genießt die Provinz nicht vielmehr schon lange eine besondere Stellung? So sieht es zumindest Ruth Taillon, Direktorin des Thinktanks „Centre for Cross Border Studies“im nordirischen Armagh. Und sie ist dankbar dafür. Ohnehin sei das Karfreitagsabkommen „auf jede mögliche Weise vom Brexit betroffen“. Sie ist besorgt, dass abermals Spannungen aufflammen, wenn die Wirtschaft der Provinz unter dem EU-Austritt leidet. „Der Frieden ist zerbrechlich“, sagt Taillon.
Vergangenen Montag wollte May in Brüssel ein Angebot vorlegen, das Nordirland weiterhin in der Zollunion gesehen und damit dem Landzipfel einen Sonderstatus gewährt hätte. Doch inmitten der Verhandlungen wurde sie zurückgepfiffen wie ein unartiges Kind – von den nordirischen Unionisten der DUP, die die konservative Minderheitsregierung in London dulden. Die probritische Partei trieb die Angst um, dass ein Zugeständnis vonseiten Londons ein erster Schritt zur Abkopplung der Provinz vom Rest des Königreichs wäre. Tief gedemütigt reiste May aus Brüssel ab, die ganze Woche musste die ohnehin angezählte Regierungschefin auf der Insel schwere Schelte einstecken. Brexit-Hardlinern in den konservativen Reihen kritisierten, der Kompromiss gegenüber der EU gehe zu weit, die Medien monierten, dass eine Regionalpartei mit zehn Abgeordneten die Premierministerin im Griff habe.
Nun sieht es danach aus, als könnten sich die Unionisten der DUP durchsetzen. Deren Chefin Arlene Foster sagt, May habe ihr eine klare Bestätigung gegeben, dass ganz Großbritannien die EU, den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verlassen werde – also auch Nordirland. Laut Brüssels Verhandlungsführer Michel Barnier sieht die gefundene Einigung vor, dass Nordirland die Regeln des Binnenmarkts weiter einhält, es also eine Zollgrenze zwischen der Provinz und Großbritannien für den EU-Binnenmarkt geben wird. Eine Trennung von der irischen Wirtschaft soll es nicht geben.
Priester Joe McVeigh hat die Gespräche im nordirischen Städtchen Enniskillen verfolgt. Keine Geschichte über Nordirland kommt ohne Religion aus und die ist in diesem Landesteil auch immer Politik. „Diese Briten in London wissen nichts über uns und verstehen unsere Situation nicht“, sagt McVeigh. Die Tories hätten keine Ahnung und die DUP mache die Sache dabei noch schlimmer. In der St. Michael’s Kirche hat der Geistliche gerade die Messe gehalten. Kerzen brennen und das Licht fällt durch die farbenfrohen Fenster in die imposante katholische Kirche. „Wir bräuchten eine starke Regierung, die das Karfreitagsabkommen schützt – es ist das Allerwichtigste für uns, weil es die Basis ist, auf der wir zusammen vorankommen können“, sagt der 71-Jährige. Immer wieder bebt die Stimme des ernsthaften Mannes mit den wachen Augen. Auch wenn May nun versprochen hat, das Friedensabkommen zu schützen, wirklich vertrauen will McVeigh darauf