Neu-Ulmer Zeitung

Die Ruhe trügt im Tiergarten

Drogen, Prostituti­on, Raub, am Ende sogar Mord: Kriminelle Obdachlose haben den Park im Herzen Berlins in Verruf gebracht. Der Bürgermeis­ter schimpfte gegen aggressive Osteuropäe­r und ließ hart durchgreif­en. Doch die Probleme sind damit nicht wirklich gel

- VON ANDREAS BAUMER

Vor Giovanni Maramotti muss niemand Angst haben. Brav wartet er an diesem kühlen Abend auf dem Alexanderp­latz in Berlin, bis der blaue Bus kommt. Als er die grellen Scheinwerf­erlichter sieht, winkt er ausladend mit beiden Armen. Der Van hält an. Der Mann steigt ein. Und fängt an zu erzählen.

Maramotti, 51, grauer Vollbart, ausgeprägt­er Bauch, ist seit drei Jahren obdachlos. Es sei nach und nach bergab gegangen, sagt er. Arbeit weg, Geld weg, Wohnung weg. Plötzlich lebte er auf der Straße.

Maramotti ist Italiener. Das hilft. Als EU-Bürger können Italiener in Deutschlan­d frei leben, auch wenn sie kein Dach über dem Kopf haben. Deshalb ist Maramotti geblieben. In seine Heimat, ins norditalie­nische Sassuolo, wollte der 51-Jährige eh nicht mehr zurück. Die Kleinstadt sei ihm, einem schwulen Single, zu engstirnig, zu konservati­v. In Berlin fühle er sich akzeptiert­er und freier. Doch auch hier, sagt er, sei das Leben rauer geworden. „Die Obdachlose­n aus Osteuropa werden mehr“, sagt er. „Und einige von ihnen sind richtig aggressiv. Sie beleidigen andere, drohen ihnen.“Maramotti schüttelt wütend den Kopf. Dann fährt er fort: „Einmal hat ein Pole einen Bulgaren vor meinen Augen geschlagen. Mit voller Wucht. Mitten ins Gesicht. Einfach so.“

Die Obdachlose­n in Berlin sind in die Schlagzeil­en geraten. Drogen, Prostituti­on, Raub – und Mord, im Herzen der Stadt, im Tiergarten. Es war ein milder Spätsommer­abend. Susanne F. genoss mit Freundinne­n draußen vor dem Restaurant Schleusenk­rug, am Rande des zurzeit in Berlin. Sie kommen aus mehr als 80 Ländern. Etwa 1000 Schlafplät­ze in Notunterkü­nften stehen bereit. Einen davon wollte Maramotti ergattern. Der Italiener hat kein Handy. Deshalb bat er einen Polizisten, den Kältebus der Stadtmissi­on anzurufen. Der bringt Obdachlose in Notunterkü­nfte.

Jetzt, eine halbe Stunde später, sammelt ihn der blaue Van ein. Entzückt ist Lars, der Fahrer, allerdings nicht. „Wir sind kein Taxi“, rüffelt er Maramotti. „Es gibt Obdachlose, denen wir dringender helfen müssen, denen es schlechter geht.“

Lars kennt das Elend da draußen. Er sieht es fast jeden Tag. Seit November lenkt der 23-Jährige mit Kapuzenpul­li und Käppi den Kältebus. Er trifft wütende und verzweifel­te, beschämte und alkoholisi­erte Menschen. Nur wenige kommen mit ihm mit. Die meisten wollen bleiben. An ihrem selbst eingericht­eten Schlafplat­z, der oft Matten und Decken hat, aber nie Rollladen und Heizung. Lars bietet ihnen dann Schlafsack und Isomatte, warmen Tee und süße Schokolade an. Einige schlagen auch das aus. Und manche werden richtig aggressiv.

Einmal, sagt Lars, wollte er ein paar Junkies an einer S-Bahn-Station im Süden Berlins besuchen. Doch schon von Weitem sei er wüst beschimpft und bedroht worden. Lars rannte zurück zum Bus, schloss die Tür und trat aufs Gas. Seitdem meidet er diesen Ort. „Wenn sich die Obdachlose­n nicht helfen lassen wollen, müssen wir das akzeptiere­n“, sagt er lapidar.

An diesem Abend freuen sich die meisten Obdachlose­n, als Lars vorbeikomm­t. Ein Mann Mitte 40 etwa, der vor einem Bankautoma­ten im

 ?? Fotos: Sophia Kembowski, Paul Zinken/beide dpa ?? So schön ist der Tiergarten von oben. Im Sommer war das etwa 200 Hektar große Gebiet derart von Kriminalit­ät geprägt, dass ihn viele Berliner mieden. Inzwischen ist in dem Park wieder etwas Ruhe eingekehrt.
Fotos: Sophia Kembowski, Paul Zinken/beide dpa So schön ist der Tiergarten von oben. Im Sommer war das etwa 200 Hektar große Gebiet derart von Kriminalit­ät geprägt, dass ihn viele Berliner mieden. Inzwischen ist in dem Park wieder etwas Ruhe eingekehrt.

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