Sein Sohn verlor die Mutter, er eine gute Freundin
Weiterleben ein Jahr nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Petr Cizmar ist nun ein alleinerziehender Vater. Er trauert, er ist wütend. Und er würde Angela Merkel jetzt gerne einiges fragen
Die Sticknadel steckt noch in der filigranen Handarbeit, die Petr Cizmar im Auto seiner Frau gefunden hat. Ein Tulpenmuster ist zu sehen, senfgelber Seidenfaden, an einem Blatt bricht es ab. Für Petr Cizmar ist der hölzerne Stickrahmen Symbol für das, was seine Frau Nada nicht vollenden durfte. Sie gehört zu den zwölf Menschen, die am 19. Dezember 2016 beim Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gestorben sind. 34 Jahre alt war Nada Cizmarova. Das Letzte, was sie gesehen haben mag, war ein Lastwagen, der auf sie zurast.
Wenn Petr Cizmar daran denkt, was seine Frau, die nach der Trennung vor gut zwei Jahren eine gute Freundin blieb, alles nicht mehr vollenden kann? Er denkt zuerst an David, seinen Sohn, an dessen Erziehung. „Vielleicht war das ihre wichtigste Aufgabe“, sagt er. David ist jetzt sechs Jahre alt. Er wird sein zweites Weihnachten ohne Mama feiern.
Im August ist Petr Cizmar, 39, promovierter Physiker, von Braunschweig nach Dresden gezogen. Neue Stadt, neues Leben. Ein Grund war die Arbeit. Er hat nun einen festen Job in der Halbleiterindustrie. David ist in Dresden in die Schule gekommen. Er hat seinem Vater von einem Traum erzählt. Im Kindergarten hätten Kugeln gesessen. Dann sei die Welt kaputtgegangen. „Es kommt in Wellen“, sagt Petr Cizmar. „Mein Gefühl ist, dass David es teilweise verstanden hat. Aber später wird er es besser verstehen und verarbeiten müssen.“Für eine Traumatherapie fehlte die Zeit. amt, die Senatsverwaltung, Versicherungen, Banken. Natürlich ärgere das, was jetzt an Pannen herausgekommen sei. Aber Menschen machten Fehler, auch die Polizei.
Nada Cizmarova war Logistikerin. Für eine tschechische Firma in Berlin berechnete sie Lkw-Ladungen. Im Oktober 2016 hatte sie eine Wohnung gefunden. Nun sollte es einfacher werden, auch mit David. Bis sich die Mutter in Berlin eingerichtet hat, sollte sich der Vater in Braunschweig um ihn kümmern, Das war der Plan. Am Abend des 19. Dezember wollten Nada Cizmarovas Kollegen auf den Weihnachtsmarkt. Sie hatte wenig Lust, wollte lieber Plätzchen backen, aber auch keine Spaßbremse sein. Sie telefonierte mit Petr und fragte, ob es David gut gehe.
Petr Cizmar war am Tag nach dem Anschlag auf der Suche nach seiner Frau. Niemand konnte ihm etwas sagen, ihr Handy war nicht erreichbar. Er ist ein Mann, der in Wahrscheinlichkeiten denkt, Sätze abwägt und sachlich bleibt. Als zwei Polizisten am 23. Dezember in Braunschweig an der Tür klingeln, nach vier Tagen Ungewissheit, weiß er, was kommt. Er sagt seinem Sohn, dass Mama Weihnachten nicht nach Hause kommen kann. Und dass Totsein bedeutet, dass sie nie mehr kommen kann.
Petr Cizmar erinnert sich an den tschechischen Botschafter, der noch am selben Abend von Berlin nach Braunschweig fuhr. Er denkt an den Anruf des tschechischen Außenministers. „Das hat mir gezeigt, dass der Staat das ernst nimmt“, sagt er. Es hat ihm geholfen. Von den deutschen Behörden habe er damals