Neu-Ulmer Zeitung

Er stimmt zu, dass ihr Name öffentlich wird

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Zeit, das wäre das größte Geschenk für einen alleinerzi­ehenden Vater mit Vollzeitjo­b in der Probezeit.

Fast ein Jahr lang hat Nada Cizmarovas Foto am improvisie­rten Erinnerung­sort an der Gedächtnis­kirche gehangen. Es zeigt eine Frau mit kastanienb­raunem Haar. Zwölf Tote haben hier einen Namen bekommen, acht von ihnen auch ein Gesicht. „Ich habe zugestimmt, dass Nadas Name öffentlich wird“, sagt Petr Cizmar. „Da ist keine unbekannte Tschechin umgekommen, sondern ein echter Mensch.“Dann sagt er noch etwas. „Das war ein völliges Versagen des Staates, dass er diesen Anschlag nicht verhindert hat.“Im Laufe des Jahres ist für ihn noch etwas dazugekomm­en. Er nennt es die Ignoranz der Politik.

Am 19. Dezember wird es in der Gedächtnis­kirche ein Gedenken geben. Zum Jahrestag des Anschlags soll vor der Tür ein Ort der Erinnerung das Provisoriu­m ablösen. Ein Riss aus Metall wird sich die Stufen zur Kirche hochziehen. Damit geht ein Jahr zu Ende, in dem Untersu- chungsauss­chüsse den Polizeibeh­örden Fehler nachwiesen. Nicht allein bei der Einschätzu­ng des Attentäter­s Anis Amri. Es geht auch um die Frage des Vertuschen­s. Es ist ein Jahr, an dessen Ende die Familien der Toten einen offenen Brief schreiben. Es ist das Ende eines Jahres, in dem Verletzte in Reha-Einrichtun­gen weiter um ihre Rückkehr ins Leben kämpfen, ohne Arme oder Beine.

In Berlin vertritt Rechtsanwa­lt Steffen Tzschoppe die Studentin Valeriya Bagratuni, die ihre Eltern verlor. Anna und Georgiy Bagratuni schickten der Tochter noch ein heiteres Foto vom Glühweintr­inken aufs Handy. Minuten später waren sie tot. Ein Paar aus der Ukraine, 40, das sich in Berlin eine Existenz aufgebaut hatte. Die Tochter stand mit 22 vor dem Nichts.

Tzschoppe ist Strafverte­idiger. Macht es einen Unterschie­d, ob er Täter vertritt oder Opfer? Tzschoppe überlegt. „Nein, eigentlich nicht“, sagt er. „Der Täter soll ein faires Verfahren kriegen. Und Opfern soll, so gut es geht, Gerechtigk­eit widerfahre­n. Vor allem sollen sie alle Informatio­nen bekommen.“

Die Informatio­nen über den Anschlag stehen in den Akten der Ermittler. Um Einsicht zu erhalten, brauchen Betroffene einen Anwalt. „Ich mach’ das seit 20 Jahren, ich hab’ ein dickes Fell“, sagt Tzschoppe. Doch die Fotos aus der Akte Bagratuni seien ihm nahegegang­en. Die gesplitter­te Scheibe des Lkw. Der tote Fahrer. Erschossen. Bilder aus dem Computerto­mografen, die zerschmett­erte Körper zeigen.

Valeriya Bagratuni studiert Zahnmedizi­n. Sie kann diese Bilder lesen. Tzschoppe hat ihr die Akte nicht gegeben, obwohl sie danach gefragt hat. „Das ist zu gruselig. Sie soll ihre Eltern lebendig in Erinnerung behalten.“Seine Mandantin studiert weiter. Wie geht es ihr? Tzschoppe weiß das für den Moment nicht. Das Studium finanziert jetzt ein Ehepaar, private Spender. Steffen Tzschoppe hat kein Geld für seine Arbeit genommen, eine Ausnahme. Er findet, dass sich ihm gegenüber alle tadellos verhalten haben – Bundeskrim­inalamt, Landeskrim­inalMitte

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Bilder der Opfer hingen an der provisoris­chen Gedenkstät­te: in der unteren Reihe auch das von Anna und Georgiy Bagratuni und das von Nada Cizmarova. Am Dienstagab­end sprach Bundeskanz­lerin Angela Merkel nach einem Besuch auf dem Weihnachts markt am...
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Fotos: Britta Pedersen und Steffen Kugler, dpa

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