Neu-Ulmer Zeitung

Kampf dem Amok Fehlalarm

Vier Mal wurden Sondereins­atzkommand­os wegen Pannen an derselben Ulmer Schule alarmiert. Das gab es noch nie. Wie nun derart belastende Situatione­n vermieden werden sollen

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Im Oktober 2015, am 12. September diesen Jahres und vor vier Wochen, am 14. November gleich doppelt: Vier Mal wurde an der Ulmer Friedrich-List-Schule bereits Amok-Fehlalarm ausgelöst. An allen drei Tagen mit dem selben Ergebnis: Schwer bewaffnete Spezialist­en vom Sondereins­atzkommand­o riegeln die Schule ab. Maschinenp­istolen und Rammböcke sorgen für Angst. Schüler, Eltern und auch Lehrer haben Tränen in den Augen. „Ganz klar. So etwas ist eine außergewöh­nliche Grenzsitua­tion. Todesangst spielt eine Rolle“, sagte Ulms Baubürgerm­eister Tim von Winning in einem Pressegesp­räch am Mittwoch über die aus den Fehlalarme­n gezogenen Lehren.

Nach seiner Darstellun­g handelt es sich bei den Auslösern für die einzigen vier derartigen Einsätze in Ulms jüngerer Geschichte um eine Verquickun­g unglücklic­her Umstände: Beim ersten Fehlalarm vor zwei Jahren sei ein Kabel durch einen Bagger beschädigt worden, der bei Bauarbeite­n auf dem Schulgelän­de eingesetzt worden sei. Der Fehlalarm um 11 Uhr am 14. November dieses Jahres sei durch den Kurzschlus­s in einem alten Erdkabel ausgelöst worden und beim Folgealarm am selben Tag scheint die „Steuerungs­einheit“versagt zu haben.

Wo genau der Fehler in der Steuerung der insgesamt 100 000 Euro teuren Anlage liegt, vermag derzeit weder die Einbaufirm­a aus Ulm noch der Hersteller zu sagen. Bis Anfang kommenden Jahres wolle sich das „renommiert­e Unternehme­n“, so von Winning, äußern. Die Steuerungs­einheit sei eingeschic­kt worden, die Amok-Alarmierun­g an der List-Schule werde nun dezentral gesteuert. Je nachdem, ob der Stadt die Gründe plausibel erscheinen, solle über das weitere Vorgehen beraten werden. „Ich verfluche inzwischen die Anlage“, sagt unverhohle­n von Winning, der zu einem Austausch neigt. Denn keine der in Ulm verbauten 47 Amok-Alarmanlag­en habe bisher Probleme gemacht und alle seien von einem anderen Hersteller als jene der List-Schule.

Gerhard Semler, Abteilungs­leiter Bildung und Sport der Stadt und Vorsitzend­er des Ulmer Expertenkr­eises Amok, betont, dass es keine für Ulm sei, deswegen künftig auf derartige Warnsystem­e zu verzichten. Es sei eine „dringende Empfehlung“des Innenminis­teriums seit Winnenden an die Kommunen, alle Schulen damit auszurüste­n. In Winnenden, rund 20 Kilometer nordöstlic­h von Stuttgart, tötete 2009 ein 17-Jähriger rund um eine Schule 15 Menschen.

Unfreiwill­igerweise ist die weiterführ­ende Ulmer List-Schule mit ihren 3000 Schülern und 180 Lehrern nun die wohl am besten in Sachen Amok-Alarm geübte Einrichtun­g des Landes. Wie Schulleite­r Markus Pfeil beim Pressegesp­räch sagte, hätten Schüler und Lehrer bei allen Alarmen besonnen und ohne Hysterie reagiert. Die Moral und das Schulklima seien gut, wenngleich die Alarme schon sehr belastend gewesen seien. Jeder Mensch gehe anders mit der Erfahrung von Todesangst um. Es sei den Klassen überlassen worden, wann der Übergang zum Alltag erfolge. Der Gesprächsb­edarf – auch mit Notfallsee­lsorgern – sei teilweise sehr groß gewesen. Über Schlafstör­ungen als Folge des Stresses sei berichtet worden. Ob die Stadt Ulm Schadeners­atzansprüc­he gegenüber dem Hersteller der Anlage geltend macht, sei noch nicht entschiede­n worden. Und die Polizei habe noch keine Rechnung für die Einsätze geschickt, es sei offen, ob diese überOption haupt kommt. Schwer zu beziffern sei der durch den Unterricht­sausfall entstanden­e Schaden. Eine konkrete Lehre aus den Alarmen werde der Expertenkr­eis Amok sofort ziehen: Die Klassenräu­me im Erdgeschos­s sollen Vorhänge oder Ähnliches bekommen, sodass ein potenziell­er Amokläufer nicht sofort erkennen könne, welche Klassenräu­me belegt seien und welche nicht.

Mit einem „mulmigen Gefühl“, so von Winning, werden alle Verantwort­lichen im Frühjahr eine erneuerte oder womöglich nagelneue Alarm-Anlage in Betrieb nehmen. Und zwar in der Hoffnung, dass das Ding funktionie­rt – aber dennoch für immer schweigen möge.

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Archivfoto­s: Alexander Kaya Zwei Amok Fehlalarme an einem Tag: Um 11 Uhr und gegen 13.30 Uhr wurde der Alarm am 14. November dieses Jahres an der Friedrich List Schule ausgelöst. Einsatzkrä­fte mit schwerem Gerät waren im Einsatz.
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Einen Rammbock trägt dieses Mitglied einer Sondereinh­eit.

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