Neu-Ulmer Zeitung

Hat das Kaufhaus eine Zukunft?

Früher fanden Kunden unter einem Dach alles, was sie brauchten und begehrten. In Zeiten des Internets reicht ihnen das nicht mehr. Für Kaufhäuser bedeutet das: Wer überleben will, steht vor riesigen Herausford­erungen – und muss einer alten Idee neues Lebe

- VON SARAH SCHIERACK

An einem trüben Vormittag im Dezember sitzt Jürgen Raab in seinem Büro unter dem Dach und denkt über den Frühling nach. Während zwei Stockwerke tiefer Menschen Schoko-Nikoläuse in ihre Körbe packen und Bücher zum Einpack-Service balanciere­n, streicht er über ein Blatt Papier. Darauf sind Köpfe zu sehen, blaue, grüne, gelbe und pinkfarben­e, ein Bild, so farbenfroh wie der Frühling. Bald wird Raab diese Zeichnung auf große Pappwände ziehen lassen und dann in den Schaufenst­ern aufstellen. Ein bunter Querschnit­t durch die Gesellscha­ft soll es werden. „So bunt wie unsere Kunden“, sagt er.

Raab, 50 Jahre, Jeans, blauer Pullover, ist Marketing-Leiter des Kaufhauses Woha in Donauwörth. Vier Mal im Jahr gestaltet er ein neues Motiv für die Schaufenst­er – Frühling, Sommer, Herbst und Weihnachte­n. Er beschäftig­t dann Drucker, Schreiner und Spengler, immer wieder greifen er oder seine Kolleginne­n auch selbst zu Säge und Bohrmaschi­ne. Raab will mit seinen Dekoration­en Geschichte­n erzählen. Er will, dass sich die Kunden wohlfühlen, dass sie ein wenig von der Leidenscha­ft spüren, die er in seine Entwürfe steckt. Gerade erst einmal gesagt, er sei regelrecht von ihm besessen. „Auch wenn sie es noch nicht wollen, die Kunden wollen etwas Besseres, und der Wunsch, Kunden zu begeistern, wird dich dazu bringen, in ihrem Namen Neues zu erfinden“, hat er in seinem jüngsten Brief an die Amazon-Aktionäre notiert. Wer weiß, dass es auch anders geht, sagt Experte Heinemann, will sich nie wieder in die Schlange an einer Zentralkas­se einreihen.

Heike Scholz sieht das ganz ähnlich und doch wieder anders. Scholz ist Handelsexp­ertin und betreibt mit zwei Mitstreite­rn den Internet-Blog „Zukunft des Einkaufens“. Menschen, sagt sie, wollen von Menschen kaufen. Niemand reißt sich darum, mit einem Roboter zu kommunizie­ren. Weil aber der Konsument so anspruchsv­oll geworden sei, müsse der Handel ihm einfach mehr bieten. „Das Kaufhaus“, betont Scholz, „konkurrier­t heute mit allen anderen Freizeitak­tivitäten.“Warum, fragt sie, sollten Kunden ihre Zeit in einem Shoppingte­mpel verbringen, wenn sie gleichzeit­ig ins Café gehen könnten, ins Schwimmbad oder in den Tierpark.

„Der Trend geht zum Erlebnis“, sagt Scholz. Das könne ein gutes Restaurant sein, das die Kunden wie ein Magnet ins Kaufhaus zieht, ein Kino oder auch eine Kunstausst­ellung.

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