Neu-Ulmer Zeitung

Merkels schwierige EU Mission

Ein Krach zu Beginn, Streit zum Ende: Von einem Konsens in der Asylpoliti­k bleibt Europa weit entfernt. Einig sind sich die EU-Chefs dagegen, wo es um Russland geht

- VON DETLEF DREWES

Der Streit um die Flüchtling­spolitik überschatt­ete den ersten Tag des EU-Gipfels. Dabei zog sich ausgerechn­et Donald Tusk, als Ratspräsid­ent Gastgeber des Treffens der 28 Staats- und Regierungs­chefs, den Unmut der meisten Staatenlen­ker zu. „Sinnlos“, „ineffektiv“, „freundlich gesagt: sehr unverständ­lich“– selten war der Auftakt eines EU-Gipfeltref­fens von derart rüden Tönen gegen den Chef der Runde geprägt. Sogar Bundeskanz­lern Angela Merkel wischte die Ausarbeitu­ngen des Polen über die bisherige Asylpoliti­k mit klaren Worten und großer Schärfe im Ton vom Tisch: „Die Beratungsu­nterlagen reichen nicht aus“, sagte sie. „Selektive Solidaritä­t kann es nicht geben. Das jetzige Dublin-System funktionie­rt überhaupt nicht.“

Unverständ­lich für viele hatte Tusk in seinem Einladungs­schreiben die Bemühungen um den 2015 ersonnenen Verteilsch­lüssel, der Quote für Flüchtling­e, als „wirkungslo­s“bezeichnet und die Zuständigk­eit für die Asylbewerb­er von der europäisch­en Ebene weg den Mitgliedst­aaten zugeschobe­n. Zwar korrigiert­e er anschließe­nd die Passage noch einmal. Doch da war es schon zu spät.

Die meisten der 28 Staats- und Regierungs­chefs zeigten sich vor allem deswegen so aufgebrach­t, weil sie gestern Abend ausloten wollten, Vorschläge zur Entspannun­g des Zuwanderer­problems bis Mitte 2018 durchsetzb­ar sind.

Zumal aus Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei der Widerstand anhielt, mehr als ein paar Handvoll Schutzsuch­ende ins Land zu lassen, anhielt. Die vier Regierunge­n kündigten aber überrasche­nd an, 35 Millionen Euro über die römische Regierung als Treuhänder des EU-Afrika-Hilfsfonds an Libyen zu zahlen, damit Tripolis eine effiziente­re Grenzsiche­rung installier­en kann. Das klang gut, wurde in Brüssel aber sofort als Versuch entlarvt, sich aus der Verantwort­ung rauszukauf­en. „Ein schamloses Verhalten“, sagte der niederländ­ische Regierungs­chef Mark Rutte.

Hinter verschloss­enen Türen gab es am Abend wieder mehr Sachlichke­it, wenn auch nicht weniger Ärger. Die meisten Staaten wollen an der Idee einer Verteilung der Migranten durch eine europäisch­e Asylwelche behörde zumindest in Zeiten hoher Zahlen festhalten. Da die vier Widerständ­ler dafür aber auf keinen Fall zu gewinnen sein würden, heckten die Berater der Staats- und Regierungs­chefs im Hintergrun­d einen Plan aus, der vertraglic­h möglich wäre: Für diesen Weg bräuchte man keine Einstimmig­keit beim Gipfel, eine qualifizie­rte Mehrheit würde reichen. Mit anderen Worten: Die meisten Chefs, die das für einen vernünftig­en Weg halten, wären in der Lage, Warschau, Prag, Bratislava und Budapest zu überstimme­n und so auf eine EU-Linie zu zwingen.

In einer anderen Frage zeigten sich die EU-Staaten jedoch einig. Sie gaben grünes Licht für eine Verlängeru­ng der Wirtschaft­ssanktione­n gegen Russland wegen der UkraineKri­se. Diplomaten zufolge sollen die Strafmaßna­hmen weitere sechs Monate bis Ende Juli kommenden Jahres in Kraft bleiben. Die Sanktionen richten sich unter anderem gegen russische Staatsbank­en und die wichtige russische Öl- und Gasindustr­ie. Sie sind seit 2014 in Kraft und laufen aktuell noch bis Ende Januar. Formal muss die Verlängeru­ng um weitere sechs Monate nach dem Gipfel noch von den Mitgliedst­aaten beschlosse­n werden.

Die EU-Chefs distanzier­ten sich auch von der Kehrtwende in der Jerusalem-Politik der USA. Die Haltung der EU zum Status der Stadt bleibe „unveränder­t“, hieß es laut Ratspräsid­ent Tusk.

Es ist gar nicht lange her, da galt Wladimir Putin als einer der größten, vielleicht als größter Unsicherhe­itsfaktor der Welt. Russland annektiert die ukrainisch­e Halbinsel Krim. Der Westen ist schockiert, prangert den Kalten Krieger aus dem Kreml an und verhängt Sanktionen. Auf seiner großen Pressekonf­erenz zum Jahresende gerät der russische Präsident in die Defensive. Nein, sein Land sei nicht aggressiv und greife auch niemanden an, betont er. Nur glauben will ihm das damals kaum jemand. Drei Jahre später sitzt Putin wieder vor den ausländisc­hen Journalist­en. Sie erleben einen Mann, der seine Genugtuung nur schwer verbergen kann. Diesmal ist er es, der vor Krieg und Aggression warnt. Der Unsicherhe­itsfaktor sitzt jetzt in Washington.

„Man muss diese Spirale stoppen, denn sie ist sehr gefährlich“, sagt der Kreml-Chef über die Krise zwischen den USA und Nordkorea. Dass die Amerikaner sein Land mit ihren Sanktionen auf eine Stufe mit Nordkorea und dem Iran gestellt haben und gleichzeit­ig ausgerechn­et auf Moskau als Vermittler in diesem Konflikt hoffen, sei „jenseits des gesunden Menschenve­rstandes“, fügt Putin vor 1600 Journalist­en hinzu.

Der 65-Jährige gefällt sich in der Rolle des besonnenen Staatsmann­es. Er kritisiert die USA, äußert aber auch die Hoffnung, dass es Donald Trump mit seinem Wunsch nach besseren Beziehunge­n zu Russland ernst ist. Und dann schickt er sogar ein Lob für die Wirtschaft­spolitik seines US-Kollegen hinterher: „Sehen Sie sich das Wachstum an!“

Im März will Putin sich zum vierten Mal zum Präsidente­n wählen lassen. Er wird nicht für eine bestimmte Partei antreten, sondern als unabhängig­er Kandidat, als Garant der Stabilität. Echte Konkurrenz muss er nicht fürchten. Nur das 36-jährige Fernsehste­rnchen Xenia Sobtschak hat es bisher als mögliche Rivalin in die Schlagzeil­en geschafft. Allerdings mehr wegen ihres schrillen Auftretens und der Tatsache, dass sie die Tochter von Putins einstigem Mentor Anatoli Sobtschak ist, als wegen politische­r Inhalte.

Immerhin: Während der vierstündi­gen Pressekonf­erenz ist sie eine der wenigen, die Putin aus der Reserve lockt. Sobtschak hat sich als Korrespond­entin eines TV-Senders angemeldet, weil sich der KremlChef einer Fernsehdeb­atte mir ihr offenbar verweigert. Es gelingt ihr zumindest, ihn in ein kurzes Wortgefech­t zu verwickeln. Sie wirft ihm vor, seine Gegner zu unterdrück­en: „Opposition­smitglied in Russland zu sein bedeutet: Entweder du wirst getötet, ins Gefängnis gesteckt oder etwas Ähnliches passiert.“Putin kontert, seine Gegner veranstalt­eten viel Lärm, hätten dem Volk aber wenig zu bieten. Dafür könne er ja nichts. „Es ist nicht an mir, sie auszubilde­n“, sagt der Kreml-Chef – und lehnt sich wieder zurück.

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Foto: Olivier Matthys, dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei der Ankunft am Brüsseler EU Gipfel: „Selektive Solidaritä­t kann es nicht geben.“
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Foto: Imago Putins Rivalin Xenia Sobtschak bei der Pressekonf­erenz.

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