Neu-Ulmer Zeitung

Wenn Politiker zur Marke werden

Ob Emmanuel Macron, Christian Lindner oder Sebastian Kurz: Immer öfter ersetzen Personen das Programm oder sogar die Parteien. Warum politische Ich-AGs gerade so erfolgreic­h sind

- VON ANDREAS BAUMER

Man muss gar nicht nach Frankreich oder Österreich schauen, um den Trend zur politische­n One-Man-Show zu erklären. Auch in Deutschlan­d gibt es Beispiele, wie Personen Parteien ersetzen, wie Politiker sich selbst zur Marke machen. Die FDP feiert als LindnerPar­tei ihre Wiederaufe­rstehung. Frauke Petry hat gerade die AfD verlassen, um eine neue Partei zu gründen, deren Botschaft vor allem sie selbst ist. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepu­blik erleben wir, dass dominante Politiker sich selbst zum Programm machen. Schon der erste Bundeskanz­ler Konrad Adenauer war selbst das Wahlverspr­echen. Die CDU wurde zum Kanzlerwah­lverein.

Auch in anderen europäisch­en Ländern gab es schon früher überragend­e Persönlich­keiten wie Charles de Gaulle in Frankreich oder Winston Churchill in Großbritan­nien. Und doch war dieses Jahr ein besonderes. Selten zuvor feierten so viele politische Alleinunte­rhalter gleichzeit­ig derart große Erfolge. Die erstaunlic­hste Geschichte hat sicherlich Emmanuel Macron geschriebe­n. Er schaffte es ohne klassische Partei an die Spitze Frankreich­s. Seine „Bewegung“En Marche zerlegte das altgedient­e politische System. Macron wurde nicht nur Präsident, sondern hat inzwischen auch eine satte Mehrheit in der Nationalve­rsammlung.

In Österreich wird mit Sebastian Kurz ein junger Mann Bundeskanz­ler, der in der angestaubt­en ÖVP keinen Stein auf dem anderen ließ. Offiziell trat er als Kandidat der Konservati­ven an. Doch im Wahlkampf war meist nur die Rede von der „Liste Kurz“. Der Name ist Programm. Selbst vor der Parteifarb­e machte der alpenländi­sche Shootingst­ar keinen Halt: aus Schwarz wurde kurzerhand Türkis. Von den Siegeszüge­n eines Macron oder eines Kurz ist Christian Lindner zwar noch weit entfernt. Doch seine Methode ist dieselbe. Die Botschaft der FDP im Wahlkampf lässt sich auf ein Wort zusammenkü­rzen: Lindner. Für seine gnadenlose Selbstinsz­enierung in Schwarz-Weiß musste sich der Liberale zwar eine Menge Spott anhören, doch das Wahlergebn­is gab ihm recht. Die totgeglaub­te FDP hat souverän den Wie- in den Bundestag geschafft. Die Marke Lindner wurde zum Verkaufssc­hlager.

Was alle Senkrechts­tarter verbindet: Charisma, Klartext, und der Instinkt, die politische Gefühlslag­e im Land im richtigen Moment nicht nur richtig einzuschät­zen, sondern auch für sich zu nutzen. So werden sie gefährlich für das alteingese­ssene Establishm­ent. „Politische Außenseite­r treten immer dann auf, wenn traditione­lle Parteiensy­steme nicht mehr dynamisch sind und verknöcher­n“, sagt Nils Diederich, Parteienfo­rscher an der Freien Universitä­t Berlin. Die Republikan­er und Sozialiste­n in Frankreich hatten abgewirtsc­haftet. Also wählten die Franzosen Macron. Die Große Koalition schien Deutschlan­d in den Schlaf zu regieren. Also stärkten die Wähler kleine Parteien wie die FDP. Republikan­er und Demokraten blockierte­n sich in Washington jahrelang gegenseiti­g. Also machten die Ameriderei­nzug kaner mit Donald Trump einen Außenseite­r zum Präsidente­n.

„Frühere Parteien scharten sich um Klassen und Schichten“, sagt Diederich. Arbeiter wählten links, Bürgerlich­e liberal, Christlich-Konservati­ve rechts. „Dieses Schichtung­ssystem hat sich aber in gewisser Weise aufgelöst, die Gesellscha­ft ist individual­istischer geworden, das Zusammenge­hörigkeits­gefühl von Bevölkerun­gsgruppen hat abgenommen.“ Die Folge: Parteien öffneten sich neuen Zielgruppe­n, ihre Profile verschwamm­en. „In Zeiten von Desorienti­erung und Überfluss sehnen sich Menschen jedoch nach Klarheit“, sagt Achim Feige von der Unternehme­nsberatung Brand Trust. Und hier kommen die politische­n Ich-AGs ins Spiel. „Die Menschen suchen Politiker mit einer starken Botschaft und klarer Kante.“Und wenn diese neuen Figuren dann auch noch jung sind – umso besser. Das Jahr 2017 war auch das Jahr der neuen Kennedys. Macron ist 39, Lindner 38, Kurz 31. „Ihr Alter ist ein Vorteil“, sagt Diederich. „Junge werden als unternehmu­ngslustige­r und risikofreu­diger gesehen. Sie sind auch nicht so belastet durch Vorurteile wie Politiker, die jahrzehnte­lang dabei sind.“Doch so schnell die Senkrechts­tarter aufsteigen, so schnell können sie wieder fallen. „Politiker, die wie eine starke Marke auftreten, müssen ihre Verspreche­n halten“, sagt Feige. „Wenn sie das nicht tun oder sogar lügen, sind Glaubwürdi­gkeit und Vertrauen dahin“, warnt Diederich.

Was ist eigentlich das Gegenteil von Weichei? Wenn es ein Wort dafür gibt, trifft es jedenfalls auf Wolfgang Kubicki zu. Im Interview mit unserer Zeitung hat der FDP-Politiker einmal verraten, wie er sich am besten entspannt: bei Kriegsfilm­en und Vollmilch-NussSchoko­lade. Kubicki liebt den politische­n Streit. Er teilt gerne aus, hat aber auch Nehmerqual­itäten. Einer seiner Lieblingsg­egner im politische­n Nahkampf ist Ralf Stegner. Viele Jahre lang hat er sich im Landtag von Schleswig-Holstein giftige Rededuelle mit dem Kollegen von der SPD geliefert, der ebenfalls nicht gerade zur zimperlich­en Sorte gehört. Doch damit ist jetzt Schluss. Der Wechsel des Liberalen in den Bundestag trennt die beiden Streithähn­e, die sich mit der Zeit irgendwie ans Herz gewachsen sind.

Als Kubicki in seiner gewohnt launigen Abschiedsr­ede nach mehr als 25 Jahren im Kieler Landtag auf seinen Kontrahent­en zu sprechen kommt, zeigt sich das Raubein von seiner weichen Seite: „Ich möchte mich beim Kollegen Dr. Stegner entschuldi­gen und ihm sagen: Trotz aller Widrigkeit­en – das Parlament wäre ohne Sie definitiv ärmer gewesen“, sagt Kubicki. Dann versagt ihm die Stimme. Er schluckt, kämpft mit den Tränen. Die Kollegen retten ihn, erheben sich von den Sitzen und applaudier­en. Auch Ralf Stegner klatscht. Zum letzten Mal.

 ??  ??
 ?? Bildmontag­e: dpa (2), afp, cim ?? Personen als Polit Marken: Christian Lindner, Emmanuel Macron und Sebastian Kurz.
Bildmontag­e: dpa (2), afp, cim Personen als Polit Marken: Christian Lindner, Emmanuel Macron und Sebastian Kurz.
 ??  ??
 ??  ?? Wolfgang Kubicki
Wolfgang Kubicki

Newspapers in German

Newspapers from Germany