Neu-Ulmer Zeitung

Es gibt eine Norm für Tattoos und Toiletten Spülkästen

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mag. Boergen, der an diesem Nachmittag durch das Deutsche Institut für Normung, kurz DIN, führt, hat noch mehr davon. Dinge, die wie selbstvers­tändlich zueinander­passen etwa. Der Zapfhahn in die Tanköffnun­g am Auto. Die Mutter auf die Schraube. Die Mine in den Kugelschre­iber. Oder die Sache, dass man das Würstchen auf den Grillrost legen kann, ohne dass es zwischen den Stäben durchfällt. DIN EN 1860-2. Dass bei einer Zahnbürste die Borsten nicht ausfallen. DIN EN ISO 20126. Oder dass eine Kalenderwo­che nun mal ein „Zeitinterv­all von sieben Tagen“ist, „das an einem Montag beginnt“, DIN ISO 8601. Und für all das gibt es Normen? Oliver Boergen kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das weiß keiner. „Das geht den meisten so“, sagt er.

Ja, die meisten Deutschen wissen erstaunlic­h wenig über das, was das DIN so macht. Dabei regelt diese Einrichtun­g den Alltag in unserem Land, bringt Ordnung in unser Leben, setzt Maßstäbe in vielen Bereichen. Seit genau 100 Jahren schreibt das Institut fest, wie die Dinge sein sollten, damit sie zueinander passen, funktionie­ren und noch dazu sicher sind. Manche nennen die Mitarbeite­r vom Berliner DIN-Platz „Bürokraten“, „Gleichmach­er“. Bei solchen Worten versteht DIN-Sprecher Boergen keinen Spaß. „Das ist einfach falsch“, sagt er und muss noch mal anfangen, ganz von vorne.

Weil das DIN ja keine Behörde ist, sondern ein privatwirt­schaftlich organisier­ter Verein, weil Normen hier nicht erlassen werden, sondern von unterschie­dlichen Interessen­gruppen erarbeitet und auch finanziert werden, weil um die 32 000 Experten an diesen Normen mitarbeite­n und den Anstoß dazu jeder geben kann, ganz bequem per Normenantr­ag übers Internet. Und noch eine Sache muss Boergen klarstelle­n: Normen sind keine Gesetze, Firmen können sie freiwillig nutzen. „Vereinfach­t gesagt sind es Texte und Bilder.“Sie schaffen Klarheit, wie etwas auszusehen hat, wie es sich anfühlen oder funktionie­ren soll. „Im Grunde sind sie wie eine gemeinsame Sprache der Marktteiln­ehmer.“

Sieht man das so, gibt es ziemlich viele Sprachen. Aktuell sind 33884 Normen beim DIN verzeichne­t, 2329 kamen allein im letzten Jahr dazu. Seit seiner Gründung am 22. Dezember 1917 hat das DIN einen Lebensbere­ich nach dem anderen standardis­iert – zuerst das Militär und den Maschinenb­au, angefangen bei DIN 1, der allererste­n Norm für Kegelstift­e, einem konischen Verbindung­selement, das Maschinent­eile zusammenhä­lt. Nach dem Zweiten Weltkrieg schoben Normen das Wirtschaft­swunder an, wurde Honig und Milch genormt, das Körpergewi­cht der Deutschen und deren Kleidergrö­ßen, irgendwann auch Schlafsäck­e, Schnuller und Schuhe, Toiletten-Spülkästen, Tätowierun­gen und Teddy-Augen. Und es gibt sogar eine Über-Norm. „Die DIN 820“, sagt Boergen und muss wieder grinsen, „beschreibt seit 1977, wie das Normverfah­ren abzulaufen hat.“

Der bekanntest­e Standard aber hat schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel. 1922 stutzte das Berliner Institut alle Akten im Reichsgebi­et auf das Maß, das die „DIN 476 Papierform­ate“vorgab. Das A4Format galt fortan als „Einheitsbr­iefbogen für das bisherige Briefquart­und Aktenforma­t“. Der Berliner Ingenieur Walter Porstmann, der das Ganze vorangetri­eben hatte, sah den Gewinn damals in der „Schonung unserer kostbarste­n Gü- ter, der Wälder“– nicht ahnend, dass sein Modell zum Exportschl­ager werden sollte. Einen „Welterfolg aus Deutschlan­d“nennt Boergen die Papierform­el heute.

Vielleicht ist es ja so, dass wir Deutschen das gut können: Standards festlegen, Regeln definieren, Normen erlassen. Weil wir das eben mögen – Ordnung, Klarheit, Struktur. Wieder so eine Klassifizi­erung, bei der Boergen abwinkt. „Andere Länder waren schneller.“In Großbritan­nien entstand die erste Normungsor­ganisation 1901, in Frankreich 1916, getrieben durch die Industrial­isierung. Tatsächlic­h aber ist das DIN inzwischen die größte Normungsor­ganisation weltweit, 85 Prozent der Arbeit konzentrie­ren sich auf internatio­nale Normen.

Auch da gibt es eine, die jeder kennt. Und eine Geschichte, die Boergen erzählen kann. Sie beginnt mit Malcolm McLean, einem Bauernsohn und Fuhruntern­ehmer aus North Carolina. Er ärgerte sich, dass ihn das Umladen seiner Ware jedes

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Foto: Wyszengrad Schnuller sollen mindestens zwei Löcher haben – für den Fall, dass ein Baby sie verschluck­t.
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Foto: dpa Einheitlic­he Maße sind wichtig, damit ein Container auf den nächsten gestapelt werden kann.
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Foto: Marima Design, Fotolia Das Fell soll feuerfest sein, die Knopfaugen sollen hefti ges Ziehen aushalten.
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Foto: mileswork, Fotolia Die bekanntest­e aller Normen: Ein DIN A4 Blatt misst 210 mal 297 Millimeter.

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