Es gab das Heilige auch ohne Religion: in Volk und Führer
diese alternative Erzählung für uns im Heute und Morgen? Nach Joas sicher, dass es das Beste wäre, sich dessen bewusst zu werden und sich auf jene weltliche Religion der Menschenrechte zu besinnen – eine im Kern freilich auch zutiefst christliche Botschaft.
Ansonsten drohen Extreme: eine Eskalation durch einen Missbrauch brachliegender Glaubensbedürfnisse zu politischen Zwecken – von Dschihad bis Nationalismus; oder der nur scheinbar harmlose Rückzug auf die „Selbstsakralisierung“des Gesundheits-Gläubigen. Denn wie nahe da der Weg von der Selbstüberwachung zur Optimierung und dann zur digitalen Technik-Religion führen kann, das hat des israelische Historiker Yuval Noah Harari in „Homo Deus“gezeigt, sicherlich einem der Bücher des Jahres 2017. In dessen „Geschichte der Zukunft“kommt dann tatsächlich auf die Frage nach dem Heiligen auch das Smartphone in die Antwort.
Und der aktuelle Umfrage-Sieger, die den Deutschen heilige Familie? Sie erscheint angesichts möglicher Extreme als unbedenklichster, jeder Transzendenz fernster Rückzugspunkt. Aber ein reiner Rückzug bleibt sie eben doch – erweiterte Selbstsakralisierung eben. Camille Saint-Saeëns scheint geahnt zu haben, dass der „Karneval der Tiere“seinem Renommée als seriöser Komponist nicht förderlich sein würde und untersagte zu Lebzeiten die Aufführung. Und tatsächlich, nichts aus Saint-Saëns’ Feder ist berühmter geworden – zugleich aber hat es ihm das Etikett eines Tonsetzers eingebracht, mit dem man vor allem Kindern die Klassik nahebringt. Dass das zu kurz gesprungen ist, beweist das PianistenDoppel Martha Argerich und Antonio Pappano, das sich mit weiteren Instrumentalisten zur Aufnahme dieser Zoo-Fantasie versammelt hat. Gewiss bestechen Miniaturen wie der „Schwan“durch melodischen Liebreiz, doch bietet die Suite auch Parodistisch-Hintergründiges, wie die hier brillant tollpatschig hingelegten „Pianistes“. Und dass SaintSaëns sich auch auf die große Form versteht, zeigt die mitgegebene 3. Sinfonie, impulsiv dargeboten vom römischen Santa-Cecilia-Orchester unter Pappano. (sd) ★★★★✩
(Warner)