Neu-Ulmer Zeitung

Weihnachte­n weckt Erinnerung­en

Adventlich­e Lieder bringen Licht in das Dunkel von Demenzpati­enten. In Vöhringen erleben Betroffene und Betreuer in diesen Tagen berührende Momente

- VON URSULA KATHARINA BALKEN

Die Stimme ist leicht brüchig – aber wenn Hermann „Oh Tannenbaum“singt, verändert er sich. Klar artikulier­t er die Worte, lässt keine Strophe aus. Dann lehnt er sich zurück und taucht wieder in die Nacht des Vergessens ein. Hermann ist dement. Der 82-Jährige weiß nicht, wer er ist und wo er ist, weiß nicht mehr, dass er 20 Jahre in Afrika gelebt hat und dort immer Weihnachte­n wie in Deutschlan­d gefeiert hat. Aber Sabine Schillinge­r und Ursula Rogg wissen es. Sie sind im Caritas-Centrum im „beschützte­n Bereich“für 22 Menschen da, die an Demenz leiden. Für die zwei Frauen eine besondere Aufgabe. Aber diesen schweren Dienst haben sie freiwillig gewählt, stützen sich dabei auf eine profunde Ausbildung und haben ein großes Herz und vor allem die Gabe der Geduld.

An diesem Tag hat sich eine kleine Runde zusammenge­funden, die an einem Tisch zusammensi­tzt. Anna ist eine von ihnen. Sie ist 95 Jahre alt und stets guter Dinge. „Eigentlich ist sie glücklich dran“, meint Bereichsle­iterin Sabine Schillinge­r. „Sie erkennt ihre Situation nicht mehr.“Fragt man Anna nach Weihnachte­n, dann sprudelt es nur so aus ihr heraus. Es sind Erinnerung­en an die alte Heimat im Sudetenlan­d. Alles ist in ihr lebendig geblieben. „Wir durften den Tannenbaum erst sehen, wenn die Kerzen brannten. Es gab auch ein schönes Essen, ja auch einen Ausflug haben wir dann unternomme­n. Ein Mann hat uns fotografie­rt.“Dann bricht sie plötzlich ab und wendet sich abrupt Ursula Rogg zu. „Wann kann man die Bilder sehen?“Aber das bringt die Betreuerin nicht aus der Fassung: „Bald“, sagt sie nur. Etwas anderes zu erklären, wäre zwecklos, Anna würde es nicht verstehen. Aber die 95-Jährige hat ein gewisses Gespür dafür, wenn etwas anders in ihrer Umgebung ist als sonst.

An diesem Nachmittag betritt eine kleine Gruppe junger Frauen den Raum. Sie wollen Weihnachts­lieder singen. Die jugendlich­en Stimmen erklingen und füllen den Raum. Dann geschieht etwas Merkwürdig­es: Die Menschen, die bisher teilnahmsl­os am Tisch saßen, beginnen zögernd mitzusinge­n, zuerst sind es nur einzelne, dann sind es alle, einschließ­lich Nahil, deren Heimat die Türkei war. Mit fester Stimme besingt sie den immer grünen Tannenbaum. Die Gesichter der Menschen, von Alter und Krankheit gezeichnet, sehen in diesem Augenblick fast glücklich aus. Es sind nur kurze Augenblick­e, in denen sich der Nebel des Vergessens lichtet. Aber für Sabine Schillinge­r und Ursula Rogg sind es Momente, die ihnen auch nach vielen Berufsjahr­en ans Herz gehen, wie sie sagen.

Überhaupt geben sie die Probleme ihres Berufs nicht an der Türe ab, wenn sie das Caritas-Centrum verlassen. „Das geht nicht, man kann den Schalter nicht einfach umlegen“, sagt Schillinge­r. „Dieser Beruf ist Teil meines Lebens. Wer ihn ausübt, muss Geduld haben und die Menschen so akzeptiere­n, wie sie sind.“Denn jeder der Senioren habe seine Geschichte, seine Vergangenh­eit. „Für uns ist aber das Hier und Jetzt wichtig. Die Menschen sollen Geborgenhe­it spüren.“Ursula Rogg ergänzt: „Wir gehen mit erwachsene­n Menschen um, es sind keine Kinder. Also sich nicht verstellen, selbst authentisc­h sein.“Dass sich ihre Schützling­e nur noch bruchstück­weise meist an Kleinigkei­ten erinnern, die gefühlsbet­ont waren, erklärt Sabine Schillinge­r so: „Erinnerung geht verloren, nicht aber Gefühle und Emotionen.“

Weihnachte­n im beschützte­n Bereich soll besonders schön gefeiert werden. Deshalb werden die Bewohner gefragt, was sie sich denn wünschen. Gertrud wünscht sich einen Schal, Rosa hat keinen Wunsch. Oder doch? Die Betreuerin­nen wissen Bescheid, sie schenken etwas Süßes. Die Geschenke – ob ein Haarspray oder ein Kissen mit Kirschkern­en gefüllt – liegen am Heiligen Abend unter dem Weihnachts­baum. Es gibt eine richtige Bescherung mit einem Krippenspi­el und vielen Liedern. Die Päckchen, die liebevoll verpackt wurden, werden dann geöffnet. Mancher vermag das nicht

mehr selbst zu tun. Die Feinmotori­k der Hände erlahmt, „eine Folge der Demenz“, wie Schillinge­r erklärt.

Weihnachte­n ist ein Fest, an dem sich Vergangene­s Bahn bricht. Helle Momente werden durch Musik ausgelöst. Mediziner haben dafür eine Erklärung: Lieder aus der Kindheit sind im Großhirn einprogram­miert, man kann auch sagen festgeschr­ieben.

Hubert gehört auch in die Runde, aber er summt die Lieder nur mit, er spricht nicht. Dann blickt er auf die Hände, die sich nun um seine legen. Dass er diese Berührung mag, ist an seinem Gesicht abzulesen. Für die Besucher wie für die Pflegerinn­en ist es eine Stunde des Glücks. Und wohl auch für die betroffene­n Menschen – auch wenn sie sich nach einer halben Stunde nicht mehr daran zu erinnern vermögen. Wegen Silvester und des Feiertages Neujahr verschiebt sich die Abholung der Gelben Säcke in der Kernstadt Senden und den Stadtteile­n. In Ay, Senden und Hittistett­en werden sie statt Dienstag, 2., am Mittwoch, 3. Januar, geholt. In Senden, Aufheim, Wullenstet­ten und Witzighaus­en wird die Abfuhr von Mittwoch, 3., auf Donnerstag, 4. Januar, verlegt. (az) Zwei Ausfahrten veranstalt­et der Skiklub Illerberg/Thal in den kommenden Wochen. Am Samstag, 20. Januar, gibt es eine Tagesfahrt nach Damüls-Melau im Bregenzerw­ald. Abfahrt ist um 6.45 Uhr am alten Sportheim in Illerberg. Anmeldesch­luss ist Sonntag, 14. Januar. Die Kids-Ausfahrt findet am Samstag, 3. Februar, statt. Sie bietet freies Fahren in der Gruppe mit Führer für Kinder und Jugendlich­e im Alter von zehn bis 16 Jahren, die schon mehrere Ski- und Snowboardk­urse gemacht haben. Abfahrt ist um 7.15 Uhr am alten Sportheim. Anmeldesch­luss ist am Sonntag, 28. Januar. (az)

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Symbolfoto: Fredrik Von Erichsen, dpa Weihnachts­traditione­n können bei Demenzpati­enten Erinnerung­en auslösen. Im Vöhringer Caritas Centrum sind die Tage um Weihnachte­n deshalb für Betreuer und Besucher besonders berührend.
 ?? Foto: Ursula K. Balken ?? Weihnachte­n im Caritas Centrum. Das Bild zeigt (von links) Rosa, Betreuerin Sabine Schillinge­r, Hermann, Betreuerin Ursula Rogg und Anna.
Foto: Ursula K. Balken Weihnachte­n im Caritas Centrum. Das Bild zeigt (von links) Rosa, Betreuerin Sabine Schillinge­r, Hermann, Betreuerin Ursula Rogg und Anna.

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