Neu-Ulmer Zeitung

Das war das Kinojahr 2017

- VON WOLFGANG SCHÜTZ kino@augsburger allgemeine.de

Kann man noch auf ein Kinojahr zurückblic­ken ohne große Worte über Star Wars? Zu Beginn lief noch das erste Spin-off

zum Ende wird die achte Episode wohl noch länger laufen. Aber belassen wir’s hier dabei: Läuft eben.

Mit Abstand und über sechs Millionen Zuschauern aber am besten lief hierzuland­e der „Final Fack“, Teil drei von also. Auf den Plätzen:

mit gut viereinhal­b und

mit rund dreieinhal­b Millionen Zuschauern. Allesamt Fortsetzun­gen. Und das ist ja längst typisch. Im Superhelde­nKosmos von Marvel und DC reihen sie sich aneinander, bei

den

…– die Leinwände verstopft mit Bewährtem. Angereiche­rt durch Remakes:

… Seufz? Nun ja. Immerhin war der neue lustig und mit Gal Gadot als auch was zu entdecken (mit Charlize Theron in und der Übernahme von durch Heldinnen auch Indizien für ein neues Frauenbild in SexismusHo­llywood?). Mit hat dazu gleich ein Genre ein Remake erlebt: das Musical, wie zuletzt der Stummfilm in Hübsch. Trotzdem richtig, dass das große La-La bei den Oscars nicht komplett abräumte – wenn der Sieger dann doch auch nicht der ganz große Wurf war (besser: Ebenso wurde in Europa mit zu vielen Preisen bedacht und

mit zu wenigen. Und Deutschlan­d? Hatte mit der

natürlich noch einen sicheren Abräumer, mit

aber auch einen starken Low-Budget-Grenzgang. Und mal wieder einen echten Fatih Akin

Der Versuch, mit im internatio­nalen Fantasy-Dystopie-Fieber mitzuspiel­en, war immerhin ganz okay, wenn auch nicht Blockbuste­rtauglich. Dass Zukunftski­no auch ästhetisch mutig sein kann, zeigten dieses Jahr immerhin gleich

und Nicht zu vergessen: 2017 wurde im Kino die evolutionä­re Gleichung von Menschen und Tier augenfälli­g. In ja, einer Fortsetzun­g. Aber irre. Und viel klüger als Star Wars. „Loving Vincent“ist entgegen der Werbebehau­ptung nicht der erste Film, der vollständi­g aus Ölgemälden erschaffen wurde, aber wohl der aufwendigs­te. 125 Künstler arbeiteten über Jahre an einem Gesamtkuns­twerk, das die berühmten Bilderwelt­en Vincent van Goghs in 65 000 Einzel-Ölbildern auf der Kinoleinwa­nd lebendig werden lässt. Denn der niederländ­ische Maler (1853 – 1890) fasziniert nicht nur durch seine Kunstwerke, auch das Leben eines getriebene­n, ausgeschlo­ssenen Menschen beschäftig­t immer wieder die (Film-)Kunst.

„Loving Vincent“nutzt die vielen Porträts, die van Gogh von Zeitgenoss­en zeichnete, um diese animiert das letzte Jahr des Künstlers nacherzähl­en zu lassen. Ein Jahr nach dem Tod van Goghs taucht ein Brief des Künstlers an Bruder Theo auf, den der junge Postbeamte­nSohn Armand Roulin aushändige­n soll. Doch Theo ist mittlerwei­le auch verstorben und aus Armand wird ein Detektiv, der im Dorf Auvers-sur-Oise aufklären will, woher der Maler eine Pistole hatte und wie er sich damit umbringen konnte.

Es ist tatsächlic­h ungemein reizvoll, wie sich die Porträts einer Wirtin, des Postboten Roulin, der schönen Tochter des Arztes Dr. Gachet und von diesem selbst mit Leben füllen. Die Spielszene­n mit realen Schauspiel­ern wurden dafür nachträgli­ch von internatio­nalen Künstlern in Polen übermalt. Ebenso beeindruck­en auch die „Hintergrün­de“, die immer nur leicht bearbeitet­en und animierten Landschaft­sgemälde van Goghs. Seine dramatisch­e Geschichte blitzt dabei in schwarzwei­ßen Rückblende­n auf. Das ist biografisc­h ausreichen­d unterfütte­rt, deutlich wird etwa das Erstaunen darüber, wie er in nur acht Jahren vom Amateur-Maler zum großen, verkannten Künstler wurde.

Allerdings wird im Hin und Her auf der Spur der Gerüchte, im Wechsel der verschiede­nen Perspektiv­en und vor lauter Zeichnung die Figuren-Zeichnung vernachläs­sigt. Ein menschlich­es Drama ist ja durchaus vorhanden, in „Loving Vincent“(so die Signatur seiner vielen Briefe an den Bruder) wird es jedoch arg einfach erzählt. Immerhin: So viele zu Recht berühmte Gemälde auf einmal bekommt man ansonsten nur mit Anstehen in Amsterdam zu sehen.

Die Regisseure Dorota Kobielau und Hugh Welchman, die für ihre Recherche die Briefe des Künstlers benutzen konnten, erhielten den Europäisch­en Filmpreis 2017 in der Kategorie Bester Animations­film.

(1 Std. 35 Min.), Animations­film, GB/P 2017

★★★★✩ Als Leilas (Camelia Jordana) Bruder Mahmoud (William Lebghil) von einer Reise in den Jemen zurückkehr­t, ist er ein anderer Mensch. Nicht nur sein Bart und seine Kopfbedeck­ung deuten auf eine Radikalisi­erung hin, auch sein Verhalten spricht Bände. Mahmoud reißt die Fotos von den Wänden, die eine glückliche Familie zeigen, und ersetzt sie durch ein Bildnis seines neuen, geistigen Führers. Und natürlich verbietet er seiner Schwester den Umgang mit Männern im Allgemeine­n und mit ihrem Freund Armand (Félix Moati) im Besonderen.

Dabei ist es dem Studentenp­aar durchaus ernst, demnächst steht ein gemeinsame­s Praktikum bei den Vereinten Nationen in New York auf dem Programm. Aber nicht mit Mahmoud, der Armand Hausverbot erteilt und den Pass seiner Schwester verbrennt. Da ist guter Rat teuer. Um den Kontakt zur Liebsten aufrechtzu­erhalten, fasst Armand den kühnen Plan, sich mit einem Niqab zu verkleiden, der nur Augen und Hände unverhüllt lässt.

Mahmoud ist entzückt, als die angebliche Freundin seiner Schwester auftaucht, die offensicht­lich auf dem Pfad der Tugend wandelt. Bevor „Scheheraza­de“zum gemeinsame­n Lernen in Leilas Zimmer verschwind­en darf, lädt der Bruder sie zum Tee ein. In Gesprächen zeigt sie ein tiefes Verständni­s für den Islam. Kein Wunder, dass Mahmoud bald um die Hand der verhüllten Traumfrau anhalten möchte.

Es war eine gefährlich­e Gratwander­ung, auf die sich die im Iran aufgewachs­ene Autorin und Regisseuri­n Sou Abadi mit ihrem DebütSpiel­film begeben hat. Was in einem großen Desaster hätte enden können, ist eine der klügsten und schönsten Komödien des Kinojahres geworden. Gekonnt spielt der Film mit den Ängsten und Vorurteile­n, die im Westen angesichts einer voll verschleie­rten Person aufkommen.

(1 Std. 27 Min.), Komödie, Frankreich 2017

★★★★★

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Foto: Sp.z.o.o. & Loving Vincent/Weltkino Die originalen Gemälde des Künstlers Vincent van Gogh werden in einem außerge wöhnlichen Animations­film lebendig.
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Foto: The Film In Liebe: Armand (Félix Moati) und Leila (Camelia Jordana).
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