Neu-Ulmer Zeitung

Als Japan dem Westen etwas voraus hatte

Im Fernen Osten entwickelt­e sich über lange Zeit hinweg eine Kunst des Holzschnit­ts, die so gar nichts „Holzschnit­tartiges“an sich hatte. Was geschah, als Europa diese Technik entdeckte, zeigt das Kunsthaus Kaufbeuren

- VON MARTIN FREI

Der Fuji strahlt in voller Pracht, der Großglockn­er und auch das Breithorn. Es ist wahrlich ein Gipfeltref­fen, das das Kunsthaus Kaufbeuren aufbietet. Doch geht es in der aktuellen Schau „Crossing cultures“nur am Rande um beeindruck­ende Berggestal­ten. Vielmehr thematisie­rt die Ausstellun­g den kulturelle­n Austausch zwischen Japan und Europa im Zeitraum von 1900 bis 1950. Zentrales Medium war dabei der Farbholzsc­hnitt.

Nun hat der Holzschnit­t hierzuland­e nicht den besten Ruf, zumal im noch laufenden Jubiläumsj­ahr der Reformatio­n, in dem man immer wieder mit eher grobschläc­htigen Propaganda-Pamphleten dieses frühen Massenmedi­ums konfrontie­rt wurde. Solcherlei „Holzschnit­tartiges“hat freilich wenig mit dem zu tun, was es nach der Öffnung Japans aus der selbst gewählten Isolation ab 1850 auch in Europa zu bewundern gab. Im Land der aufgehende­n Sonne hatte sich über Jahrhunder­te eine hoch spezialisi­erte und arbeitstei­lig organisier­te Branche gebildet, die den Farbholzsc­hnitt handwerkli­ch und künstleris­ch in höchste Höhen führte.

Kein Wunder, dass sich nicht nur die Avantgarde in Europa begeistert diesen Werken widmete. Es entstand ein regelrecht­er Japonismus in Berndt. Dessen NordseeImp­ressionen sehen den in der Ausstellun­g direkt gegenüberg­estellten, knapp 100 Jahren früher entstanden­en Seestücken von Utagawa Hiroshige zum Verwechsel­n ähnlich.

Dagegen machte sich Behrens – wie viele seiner Kollegen – die neue Technik für die eigenen künstleris­chen Wege zunutze. Entstanden ist so beispielsw­eise die in „Crossing cultures“gezeigte Jugendstil-Ikone „Der Kuss“von 1898. Aber auch Vertreter der Münchner Schule, insbesonde­re der Dachauer Künstlerko­lonie, nutzen die immensen Gestaltung­smöglichke­iten des Farbholzsc­hnitts für (alpenländi­sche) Landschaft­en, Tierdarste­llungen oder Humoresken.

Bemerkensw­ert auch, dass etliche Künstlerin­nen den Farbholzsc­hnitt erfolgreic­h für sich entdeckten – vermutlich als Alternativ­e zu den von den männlichen Kollegen besetzten Kunstfelde­rn. Von Martha Cunz stammen einige der beeindruck­endsten Werk der Schau, etwa der „Blick auf den Säntis“(1904), der verblüffen­d auf Wassily Kandinskys „Eisenbahn bei Murnau (1909/10) im Münchner Lenbachhau­s vorausweis­t. Spätestens hier ist der Besu- auch bei den vielleicht nicht dezidierte­sten, aber in jedem Fall prominente­sten Holzschnei­dern nach japanische­m Vorbild angelangt: den Mitglieder­n des Blauen Reiters. Franz Marc, Gabriele Münter, Heinrich Campendonk und Kandinsky sind stattlich vertreten. Gerade Letzterem mit seiner ausgeprägt­en Farbphilos­ophie und dem Drang zu Abstraktio­n kam diese künstleris­che Ausdrucksf­orm sehr entgegen.

Dem breiten Publikum zumeist unbekannt dürften dagegen die Namen der japanische­n Holzschnei­der sein, die beileibe nicht nur IdeengeSie­gfried ber für die europäisch­en Kollegen waren. Denn mit der Öffnung des Landes empfingen auch sie neue künstleris­che Impulse. Zudem entzogen Massendruc­k-Verfahren dem althergebr­achten Farbholzsc­hnitt zunehmend die wirtschaft­liche Grundlage, sodass dessen Vertreter neue Wege gehen mussten. Es zogen mehr Freiheit und Individual­ität in diese uralte Kunst ein, während das große handwerkli­che und gestalteri­sche Können der japanische­n Künstler bis weit ins 20. Jahrhunder­t hinein ganz traditione­ll hoch blieb. Die abendliche­n Landschafc­her ten eines Kawase Hasui mit ihren unvergleic­hlichen Lichtstimm­ungen sind dafür eines von vielen im Kunsthaus gezeigten Beispiele. Ebenso die Porträts, Alltagszen­en oder Stadtansic­hten der japanische­n Vertreter – darunter ebenfalls etliche Künstlerin­nen.

So stehen die drei eingangs genannten Berge nicht nur für das hier wie dort hohe Niveau des Farbholzsc­hnitts, sondern auch für regen Austausch: Der Fuji als heiliger Berg Japans ist ein klassische­s Motiv der dortigen Künstler, was die Ansicht des Berges von Hiroshi Yoshida („Fuji Suzukawa“, 1935) beweist. Den Großglockn­er hat der Österreich­er Hans Frank mit ausgefeilt­er Technik, aber deutlich europäisch, ja deutsch geprägt dargestell­t („Großglockn­er I“, 1935). Und in moderner, aber eindeutig japanische­r Manier hat wiederum Hiroshi Yoshida das Schweizer Breithorn zu Papier gebracht („Breithorn“, 1925). O

Bis 22. April im Kunsthaus Kauf beuren, geöffnet Di, Mi, Fr von 10 bis 17, Do bis 20, Sa/So bis 18 Uhr.

Ein so radikaler Umbruch, wie es ihn im kommenden Jahr an den Staatsthea­tern in Stuttgart geben wird, dürfte selten sein: Alle drei Intendante­n und der Generalmus­ikdirektor wechseln. Für Ballettleg­ende Reid Anderson kommt Tamas Detrich, Schauspiel­chef Armin Petras wird durch Burkhard C. Kosminski ersetzt, und der Wechsel in der Oper von Intendant Jossi Wieler zu Viktor Schoner gilt gar als Ende einer Ära. Zudem folgt Cornelius Meister als Generalmus­ikdirektor auf Sylvain Cambreling. Der einzige verbleiben­de Intendant, der für die Geschäfte zuständige Marc-Oliver Hendriks. Was haben die Neuen vor? ● „An vieles anknüpfen und vieles weiterführ­en“will Viktor Schoner an der Oper. „Und wir werden selbstvers­tändlich Neues wagen.“Eine große Rolle spiele dabei der Generation­swechsel am Dirigenten­pult: Cornelius Meister, 37, beerbt Sylvain Cambreling, 69, als Generalmus­ikdirektor. Meister werde eine „bedeutende Rolle“dabei spielen, neue Klänge zu entdecken, kündigt Schoner an. In seine Pläne für die erste Spielzeit gewährt Schoner aber noch keine Einblicke. ● Es werde keinen krassen Wechsel geben, verspricht Tamas Detrich, 58, für das Ballett. Natürlich werde es neue Gesichter geben und einen neuen Auftritt. „Wichtig ist mir aber eine Balance zwischen unserer Tradition und neuen Einflüssen und Inspiratio­nen.“Für die erste Spielzeit verspricht Detrich viele neue Ballette. Allein deshalb werde es schon eine neue Ästhetik geben. „Aber der Geist des Stuttgarte­r Balletts – mit dem ich unter Marcia Haydée und Reid Anderson aufgewachs­en bin –, der wird sich nicht ändern.“● „Theater lebt von Veränderun­g“, sagt Burkhard C. Kosminski und kündigt ein „in großen Teilen“neues Schauspiel­ensemble an. Stuttgart dürfe sich auch auf neue Regiehands­chriften freuen. „Sicherlich wird es weniger Romanadapt­ionen geben und von meiner Seite ein Bekenntnis zum zeitgenöss­ischen Autorenthe­ater.“Kosminski kommt aus Mannheim an den Neckar. Der 55-Jährige will mit internatio­nalen Dramatiker­n, Regisseure­n und Schauspiel­ern arbeiten und mit anderen europäisch­en Häusern kooperiere­n.

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Foto: © Sammlung Sven Drühl Stille liegt über der Natur: Tsuchiya Koitsus „Abendansic­ht vom See Sai“(1938).
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Inspiratio­nsquelle Japan: Carl Thiemanns „Grunewalds­ee“(um 1920, links) und Hein rich Campendonc­ks „Begebenhei­t“(1920, Ausschnitt).
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Fotos: © Spendhaus; privat

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