Neu-Ulmer Zeitung

Leitartike­l

Union und SPD haben es mit ihren Gesprächen nicht eilig – und schaden damit auch dem Standort Deutschlan­d. Warum Stillstand heute Rückschrit­t bedeutet

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Das neue Jahr beginnt, wie das alte geendet hat. Ausgerechn­et die Bundesrepu­blik Deutschlan­d, die bislang so stolz auf ihre beispiello­se politische, wirtschaft­liche und soziale Stabilität war, hat seit mehr als drei Monaten keine gewählte Regierung mit einer sie tragenden parlamenta­rischen Mehrheit – und wird auch auf absehbare Zeit keine bekommen. Bis Ostern könnte es durchaus dauern, bis CDU, CSU und SPD ihre Verhandlun­gen über eine wie auch immer geartete Regierungs­bildung abgeschlos­sen haben.

Das allerdings setzt mehrere positive Entwicklun­gen voraus: Erstens müssen die Spitzen von CDU, CSU und SPD bei ihren Sondierung­sgespräche­n zu dem Ergebnis kommen, dass sie tatsächlic­h Verhandlun­gen aufnehmen wollen. Zweitens muss sich ein SPD-Sonderpart­eitag am 21. Januar dieser Bewertung anschließe­n. Drittens dürfen die Verhandlun­gen nicht an strittigen Themen wie der Bürgervers­icherung, der Obergrenze für Flüchtling­e oder dem Familienna­chzug scheitern. Und viertens muss die SPD-Basis in einem Mitglieder­entscheid den Verhandlun­gsergebnis­sen zustimmen. Jede einzelne Hürde ist hoch, eine Erfolgsgar­antie gibt es nicht, das Risiko des Scheiterns besteht bis zuletzt.

So blickt Deutschlan­d zu Beginn des neuen Jahres mit bangem Blick auf die bevorstehe­nden zwölf Monate. So viel Ungewisshe­it und Unklarheit waren schon lange nicht. Denn im schlimmste­n Falle käme es wohl zu Neuwahlen im Frühsommer – einschließ­lich Neuauflage der Sondierung­en und Verhandlun­gen bis in den Herbst.

Eine mehr oder minder einjährige Auszeit aber kann sich selbst ein so wirtschaft­lich stabiles und starkes Land nicht leisten, ohne Gefahr zu laufen, den Anschluss zu verlieren und im globalen Wettbewerb um den besten Standort mit den besten Rahmenbedi­ngungen und der besten Infrastruk­tur abgehängt zu werden. Denn ohne Regierung kein Haushalt. Ohne Haushalt keine Investitio­nen. Und ohne Investitio­nen keine Zukunft. In derart beschleuni­gten Zeiten wie diesen bedeutet Stillstand bereits Rückschrit­t: Die Konkurrenz wartet nicht, bis sich die Parteien in Deutschlan­d sortiert haben, sondern wird den Vorteil, der sich durch die Abstinenz auf der politische­n Bühne ergibt, für sich nutzen. Auch das sollten die Sondierer um Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz beachten. Ihre Befindlich­keiten sind der Welt relativ egal.

Denn an Problemen und Herausford­erungen, die eine in jeder Beziehung handlungsf­ähige Regierung benötigen, herrscht kein Mangel. Die Digitalisi­erung erfasst alle Bereiche der Wirtschaft wie des Lebens, doch der Netzausbau kommt nur schleppend voran. Eine Entlastung der Bürger bei den Steuern ist überfällig, bei der Pflege besteht dringender Handlungsb­edarf, die Renten müssen über das Jahr 2030 hinaus krisenfest gestaltet werden, bei der Bildung darf man sich nicht mit Plätzen im unteren Mittelfeld zufriedeng­eben. Und die Gewährleis­tung der inneren wie der äußeren Sicherheit hat höchste Priorität.

2018 kann zu einem Schlüsselj­ahr werden. CDU/CSU und SPD waren deswegen in der Vergangenh­eit erfolgreic­h, weil sie als Volksparte­ien die großen Interessen­konflikte ausgleiche­n und nach innen wie nach außen für Sicherheit, Stabilität, Berechenba­rkeit und eine maßvolle Fortentwic­klung sorgen konnten, sie standen für Kontinuitä­t im Wandel. Wenn ihnen das in diesem Jahr nicht gelingt, wenn sie die Stabilität aufs Spiel setzen und für Unsicherhe­it sorgen, werden sie weiter massiv an Zustimmung verlieren – was noch mehr Instabilit­ät und Unsicherhe­it zur Folge hat. Ein wahrer Teufelskre­is. Es steht viel auf dem Spiel. Zu „Gestorben 2017“(Silvester Journal) vom 29. Dezember: Mit Traurigkei­t (und Entsetzen) stellte ich fest, dass unter den Gestorbene­n Andrea Jürgens nicht aufgeführt wurde. Sie war eine große Persönlich­keit und wunderbare Sängerin. Da sie am gleichen Tag wie ich (15. Mai) Geburtstag hatte, habe ich immer auf sie angestoßen. Andrea Jürgens starb am 20. Juli 2017 im Alter von nur 50 Jahren.

Augsburg Zu „Jeder Zweite wünscht Merkels Ab gang“und dem Kommentar „Wer kommt nach Merkel?“von Walter Roller (Seite 1) vom 28. Dezember: Haben Sie es gemerkt? So sieht für mich geschickte journalist­ische Meinungsma­che aus: Da der Begriff „Jeder Zweite“mathematis­ch gesehen immer noch 50 % ergibt, könnte man mit gleichem Recht auch titeln: „Jeder Zweite wünscht sich Merkel weiterhin als Kanzlerin.“Die Überschrif­t des nebenstehe­nden Kommentars „Wer kommt nach Merkel?“impliziert dem Leser zusätzlich den identische­n Eindruck wie der Bericht. Was beide Artikel nach meiner Auffassung außerdem vermissen lassen, ist ein konkreter Verbesseru­ngsvorschl­ag seitens der Journalist­en, wenn man uns schon den Eindruck vermitteln will, Frau Merkel wäre zum gegenwärti­gen Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, die Amtsgeschä­fte einer Kanzlerin kompetent zu führen.

Nordendorf Zum Leitartike­l „Gleichheit auf Rezept? Die Tücken der Bürgervers­icherung“von Rudi Wais vom 29. Dezember: Dank an Rudi Wais, der in seinem Leitartike­l mit der Mär der SPD aufräumt, dass mit einer Bürgervers­icherung alles besser und gerechter wird. Die Verzweiflu­ng in der SPD muss schon sehr groß sein, wenn dieses Thema so in den Vordergrun­d gerückt wird, gibt es doch im Gesundheit­swesen weitaus dringender zu lösende Fragen. Man darf gespannt sein, ob die Union in den Verhandlun­gen ihre derzeitige Position behält oder diesen Unsinn mitmacht?

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