Neu-Ulmer Zeitung

Ja, ja, der Betriebsab­lauf. Immer das Gleiche

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und dem ich vor kurzem zum ersten Kind gratuliert habe. Da sind die unbekannte­n Dauerpendl­er, die ich „der Russe“und „die Österreich­erin“nenne. Der Russe, weil er im Winter eine pelzige Uschanka auf dem Kopf trägt. Die Österreich­erin, weil sie mich an die Schauspiel­erin Maria Hofstätter erinnert. Schweigend, ertragend. Die meisten der Passagiere teilen eine Gemeinsamk­eit: ihr gespaltene­s Verhältnis zur Deutschen Bahn.

Ich bin kein Freund des BahnBashin­gs. Ein Volkssport, der kleinste gemeinsame Nenner vieler Deutscher. Will man sich in einer fremden Stadt mit einem Unbekannte­n auf eine Meinung einigen: Die Bahn ist das passende Opfer. Nichts funktionie­rt. Immer zu spät. Und das Schlimmste daran: Niemand weiß, warum der Zug zu spät abfährt, warum die Klimaanlag­e ausfällt, warum die Wagen in umgekehrte­r Reihenfolg­e im Bahnhof ankommen. Keine Robotersti­mme, kein Zugbegleit­er kann helfen. Wenn aus den Lautsprech­ern am Bahnhof die Ansage kommt „Wegen Störungen des Betriebsab­laufs verspätet sich die Abfahrt um etwa 30 Minuten“, hört man lautes Stöhnen. Ja, ja, der Betriebsab­lauf wieder. Immer das Gleiche.

Woher kommt der miserable Ruf? Wer trägt die Schuld daran? Neigt der deutsche Fahrgast zu Unverhältn­ismäßigkei­ten gegenüber der Bahn? Oder hat sie ihr Image als unzuverläs­sigstes Verkehrsmi­ttel des Landes verdient? Diese Fragen haben mich in meinen drei Pendlerjah­ren begleitet. Ich habe mit Passagiere­n und Mitarbeite­rn gesprochen, Buch geführt und, ja, auch geflucht auf der Reise durch das Seelenlebe­n des Zugverkehr­s.

Augsburg-Hauptbahnh­of, 8.26 Uhr. Noch zwei Minuten bis zur Abfahrt. Rechts abbiegen, Treppen hochjagen, das Gleis. Geschafft? Auf Gleis 5 wartete am 18. Oktober 2017 nicht der rote Fugger-Express – sondern ein Güterzug im Morgennebe­l. Die Ladefläche­n waren leer und in Sprungreic­hweite.

Der falsche Zug – das ist tatsächlic­h nur einmal passiert. Weniger exotisch sind Verspätung­en. Das wenn man über die Deutsche Bahn spricht. Vor gut drei Wochen haben Zeitungen deutschlan­dweit die Rückfahrt des TurboICE von Berlin nach München mit Überschrif­ten versehen, die auffallend oft das Wort „Chaos“beinhaltet­en. Problem: bislang ungelöst.

Im ersten Halbjahr 2017 kamen nach Angaben der Deutschen Bahn 95,2 Prozent aller Nahverkehr­szüge pünktlich an. Der Fugger-Express lag bei 91,1 Prozent. Wenn die Bahn einmal im Monat die Pünktlichk­eitsstatis­tik herausgibt, sind darin nur Verspätung­en ab sechs Minuten erfasst. Meine Umstiegsze­it beträgt fünf Minuten. Das Nervenspie­l beginnt jeden Morgen um 8.28 Uhr: Erreiche ich den Anschlussz­ug oder verpasse ich ihn?

Bahnhof Donauwörth. Ein Jahr lang begleitete mich mein Redaktions­kollege Marcel Rother auf der Strecke von Augsburg nach Neuburg. Er hat sich mittlerwei­le ein Auto gekauft und pendelt seit Neujahr mit Gaspedal und Bremse. Als er am 12. Februar 2017 seinen ersten Beschwerde­brief an die Deutsche Bahn adressiert­e, hatten wir an 29 Werktagen den Anschlussz­ug achtmal verpasst. Wartezeit in Donauwörth: etwa eine Stunde. Kosten für das Jahresabo: 219 Euro im Monat.

Die Bahn antwortete zehn Tage später mit einem Schreiben aus Textbauste­inen: „Zuerst einmal vielen Dank, dass Sie das umweltbewu­sste Verkehrsmi­ttel Bahn zur täglichen Fahrt zu Ihrer Arbeitsste­lle gewählt haben.“Marcel schrieb von Unzuverläs­sigkeit, die Bahn antwortete mit Entschädig­ungen von 1,50 Euro ab 60 Minuten VerDauerth­ema, spätung. Man bat um Verständni­s, verwies auf die Fahrgastre­cht-Formulare an den DB-Verkaufsst­ellen und akzeptiert­e stillschwe­igend, dass das Netz heillos überlastet ist.

Das bestätigt auch die Pressestel­le der Bahn in München: „Die Ursachen für Verspätung­en beim Fugger-Express liegen unter anderem im sehr stark befahrenen Netz, denn die Trassen werden nicht nur mit dem Fernverkeh­r, sondern auch mit dem Güterverke­hr geteilt.“Es ist die Rede von einem „anspruchsv­ollen Betriebsko­nzept“.

Als Marcel den Beschwerde­brief verfasste, befragte ich Bahn-Mitarbeite­r. Sie sollten mir sagen, wie ich bei knappen Verspätung­en noch den Anschluss erreiche. Ich müsse auf jeden Fall den Schaffner im FuggerExpr­ess informiere­n, hieß es immer wieder. Er funkt dann die Leitstelle an, und wenn alle mitspielen, wartet Agilis auf mich. Nur: Im FuggerExpr­ess um 8.28 Uhr ist kein Schaffner. Seit drei Jahren nicht.

Vor geraumer Zeit ist ein Geschäftsm­ann aufgestand­en und hat den roten Notfallkno­pf neben der Tür gedrückt, der mir bis zu diesem Zeitpunkt nie aufgefalle­n war. Das ist der direkte Draht zur Lokführeri­n. Er drückte mit einer Haltung der Selbstvers­tändlichke­it und erklärte, dass er seinen Anschlussz­ug erwischen muss. Die Lokführeri­n fragte nach der Zugnummer. Ich kam ihm zur Hilfe, aktivierte die Bahn-App und suchte die fünfstelli­ge Nummer heraus. Er drückte. Sie erklärte missmutig, dass sie die Leitstelle informiere­n wird. Eine Menschentr­aube hatte sich inzwischen um uns versammelt. Nun war ich dran. Roter Knopf, Zugnummer,

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