Neu-Ulmer Zeitung

Was furchtlose­n Rettern Angst macht

Zum Jahreswech­sel werden in mehreren deutschen Städten Polizisten und Feuerwehrl­eute brutal attackiert. Gewerkscha­fter fordern härtere Strafen für die Täter

- VON BERNHARD JUNGINGER

Sie wollten Feiernde beschützen, Verletzte retten oder Brände löschen – und wurden selbst Opfer von Übergriffe­n. In mehreren deutschen Städten sind Einsatzkrä­fte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdi­ensten bei Einsätzen am Jahreswech­sel attackiert und zum Teil verletzt worden. Im Leipziger Szeneviert­el Connewitz warfen rund 50 mutmaßlich linksextre­me Randaliere­r mit Steinen, Böllern und Flaschen auf Polizisten. In Stuttgart gab es Verletzte, weil Polizisten und Feuerwehrl­eute durch Feuerwerks­körper bei der Arbeit behindert wurden. Auch in Berlin wurden Polizei und Feuerwehr über Stunden immer wieder mit Böllern und Flaschen beworfen. Und die Besatzung eines Rettungsfa­hrzeugs der Feuerwehr wurde gar mit Schusswaff­en bedroht. So schrieb die Berliner Feuerwehr am Neujahrsta­g: „Acht Angriffe auf Einsatzkrä­fte und 57 Angriffe auf Einsatzfah­rzeuge mit erhebliche­m Sachschade­n machen uns sehr nachdenkli­ch und betroffen.“

Tobias Thiele, Sprecher der Deutschen Feuerwehrg­ewerkschaf­t, sieht in den Vorfällen nur unrühmlich­e Höhepunkte einer Entwicklun­g, die vor wenigen Jahren begonnen hat. „Leider Gottes nimmt das immer mehr zu“, sagte er gegenüber unserer Zeitung. Dass Feuerwehrl­eute behindert, bedroht und beleidigt würden, sei in vielen deutschen Städten inzwischen an der Tagesordnu­ng.

Die Täter seien etwa enthemmte Partygäste oder Betrunkene, die aus einer Gruppe heraus übergriffi­g würden. „Dann fliegen Böller oder Flaschen, werden Kollegen beschimpft.“Wie jetzt in Leipzig oder während der Krawalle rund um den G20-Gipfel in Hamburg komme es auch immer wieder zu politische­r, oft linksextre­mistisch motivierte­r Gewalt gegen Feuerwehrl­eute, die als Teil der verhassten Staatsmach­t gesehen würden. Und in manchen Vierteln bestimmter deutscher Städte seien es Familiencl­ans mit Migrations­hintergrun­d, die immer wieder Rettungskr­äfte angingen.

„Viele Kollegen haben inzwischen Angst vor Einsätzen in manchen Gegenden“, sagt Thiele. Und seine Kollegen seien nun nicht gerade furchtsame Zeitgenoss­en. Ihr Beruf bringe von Haus aus viele Gefahren mit – Feuer, giftiger Qualm, Naturgewal­ten, einstürzen­de Ge- bäude –, doch das seien Risiken, die einzuschät­zen sie gelernt hätten. „Dass wir allerdings mit Waffen angegriffe­n werden, ist eine ganz neue Dimension.“Erste Feuerwehre­n halten laut Thiele für bestimmte Einsätze schon Schutzwest­en bereit.

Nicht nur gewalttäti­ge Angriffe machen der Feuerwehr Sorgen. Viele Autofahrer seien nicht bereit, Gassen für Retter freizumach­en oder den Anweisunge­n der Einsatzkrä­fte dem darüber nachdenken, Einsatzfah­rzeuge mit Kameras auszurüste­n, um etwa die Kennzeiche­n von Autos aufzuzeich­nen, deren Fahrer Rettungsar­beiten behindern.

Auch Vertreter der Polizeigew­erkschafte­n verurteilt­en die Angriffe auf Einsatzkrä­fte in der Silvestern­acht und forderten harte Strafen für die Täter. Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) nennt die Attacken „absolut inakzeptab­el“, sie müssten konsequent geahndet werden. Die Angriffe zum Jahreswech­sel seien keine Ausnahmen: „Polizisten und Rettungskr­äfte werden alltäglich brutal attackiert.“Die Einsatzkrä­fte riskierten Gesundheit und Leben, um den Rechtsstaa­t zu verteidige­n und anderen zu helfen. Auch Maas will Angriffe auf Einsatzkrä­fte härter bestraft sehen. Dazu seien im vergangene­n Jahr die Gesetze verschärft worden. Attacken gegen Polizisten und andere Amtsträger können nun schon mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden, wenn sie bei „allgemeine­n Diensthand­lungen“wie einer Streifenfa­hrt verübt worden sind. Zuvor galt dies nur bei Straftaten, die in Zusammenha­ng mit einer „Vollstreck­ungshandlu­ng“, etwa einer Festnahme, erfolgt sind.

Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz hat die Politik aufgeforde­rt, endlich einen bundesweit einheitlic­hen Mindestper­sonalschlü­ssel für Pflegeheim­e festzusetz­en. „Gute Pflege ist nur möglich, wenn auf den Stationen genügend Pflegefach­kräfte pro Bewohner vorhanden sind“, sagte Stiftungsv­orstand Eugen Brysch. „Liegt eine Einrichtun­g unter dieser Mindestvor­gabe, muss es einen Aufnahmest­opp oder sogar eine Schließung geben.“

An die Adresse einer künftigen Bundesregi­erung fügte Brysch hinzu, es sei viel zu spät, wenn ein Modell für einen bundesweit einheitlic­hen Mindestper­sonalschlü­ssel – wie geplant – erst 2020 auf dem Tisch liege. Ständigen Personalei­nsparungen werde durch eine solche Mindestvor­gabe rechtzeiti­g ein Riegel vorgeschob­en. Die Politik zwinge so die Pflege-Arbeitgebe­r zu einem Wettbewerb um die besten Kräfte.

Allerdings mangelt es an Fachperson­al. Und der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenver­sicherung warnt vor der Annahme, allein eine bessere Bezahlung könnte den Mangel beheben. „Man muss auch über die Vergütung reden, aber es ist nicht damit getan, zusätzlich­e

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Archivfoto: Theo Bick, dpa Es sind Szenen wie diese, die Feuerwehre­n und die Polizei immer häufiger erleben. Aggressive Gaffer denken gar nicht daran, die Unfallstel­le zu räumen. Die Aufnahme stammt aus dem Juli 2015. Nach einem tödlichen Unfall in Bremervörd­e (Niedersach­sen)...

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