Psychotherapeut gesucht
Immer mehr Menschen glauben, dass ihre Seele krank ist und Hilfe braucht. Doch die Wartezeit für einen Therapieplatz ist oft lange. Was bringen Angebote im Internet?
Herr Dr. Melcop, Sie sind Präsident der Psychotherapeutenkammer Bayern, wie lange müssen Menschen, die psychisch krank sind, in Bayern aktuell auf einen Therapieplatz warten?
Das ist von Region zu Region unterschiedlich. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Wartezeit in ländlichen Regionen deutlich länger ist als in Ballungsräumen.
Und wie lange muss man im Schnitt auf dem Land warten?
Im Schnitt drei bis sechs Monate. Diese Wartezeit ist aber wirklich nur ein grobes Maß. Denn viele Psychotherapeuten führen gar keine Wartelisten mehr. Und bei besonders gefragten Psychotherapeuten können die Wartezeiten auch in Ballungsräumen sehr lang sein.
Haben denn die Erkrankungen in Bayern so stark zugenommen?
Zur Frage der Verteilung psychischer Störungen in der Bevölkerung gibt es gute Studien. Die meisten kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Krankheitsrate nicht verändert hat, sondern stabil geblieben ist. Gestiegen ist aber die Zahl der Menschen, die Hilfe suchen.
Und wie kam es dazu? Trauen sich heute einfach mehr Menschen, zum Psychotherapeuten zu gehen – das wäre ja eine positive Entwicklung ...
Das ist eine positive Entwicklung. Denn sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei den Hausund Fachärzten werden psychische Erkrankungen deutlich ernster genommen als früher. Es hat sich zunehmend die Meinung durchgesetzt, dass sich für diese Erkrankung
Insgesamt hat die Vergabe der Diagnose Depression zugenommen. Von Depressionen sind Frauen öfter als Männer betroffen. In der Bevölkerung sind in Studien bei Frauen und Männern Angststörungen als Störungsgruppe am häufigsten zu finden. Bei Männern sind Suchtprobleme weiterhin ein großes Thema, vor allem in Bezug auf Alkoholabhängigkeit. Im April 2017 wurde eine Psychotherapie-Reform eingeleitet, die mit dazu beitragen soll, die langen Wartezeiten zu verkürzen. Unter anderem müssen alle Psychotherapeuten zur ersten Abklärung nun Sprechstunden anbieten. Und auch eine kurze, zwölf Sitzungen umfassende Akutbehandlung ist nun möglich. Hat sich dadurch die Lage verbessert?
Das ist beides so neu, dass wir erst dabei sind, die Wirkung abzuschätzen. Positiv ist natürlich, dass mit einer Sprechstunde die Zugangsschwelle für das Aufsuchen eines Psychotherapeuten sinkt. Ab April 2018 wird der Besuch einer Sprechstunde vor einer Therapie auch für Patienten verpflichtend. Auch Menschen mit unklaren Beschwerden können dadurch schneller eine klare Diagnose und eine Beratung zum weiteren Vorgehen erhalten. Und wir als Psychotherapeuten können den Bedarf dadurch differenzierter dokumentieren. Ein großes Problem bleibt allerdings: Wer wirklich eine Psychotherapie braucht, muss immer noch sehr oft warten. Denn mehr Behandlungskapazitäten, also mehr Therapieplätze, wurden durch die Sprechstunde nicht geschaffen. Aber gerade das wäre doch nötig. Was müsste dafür geschehen?
Als Kammer fordern wir schon lange eine neue Bedarfsplanung. Sie legt fest, wie viele Therapeuten in einer Region zugelassen werden, und die aktuell gültige Bedarfsplanung ist veraltet. Sie geht von falschen Berechnungen aus. Gerade im ländlichen Raum brauchen wir deutlich mehr zugelassene Psychotherapeuten, als dies derzeit vorgesehen ist.
Wie viele Psychotherapeuten haben wir in Bayern?
Unsere Kammer zählt etwa 7300 Mitglieder. Hinzu kommen die ärztlichen Kollegen, die als Psychotherapeuten tätig sind.
Im Internet wachsen die Angebote für Therapien. Wie beurteilen Sie diese?
Das ist ein weites Feld mit einer unüberschaubaren Zahl an Angeboten, die sehr schwer einzuschätzen sind. Und die Zahl wächst – vom Chat über Apps bis hin zu E-Mail-basierten Therapieangeboten. Ich kann Ratsuchende nur zur größten Vorsicht raten. Vor allem muss immer darauf geachtet werden, wer das Programm anbietet, wie professionell und verantwortlich das gemacht wird. Sie dürfen ja nicht vergessen: Hier werden sehr sensible persönliche Daten elektronisch weitergegeben, sie dürfen nicht in falsche Hände geraten.
Auf was sollten Patienten achten?
Auf unserer Homepage der Bundestherapeutenkammer finden Patienten eine Checkliste für Online-Angebote. Ich bin der Mei- nung, dass Online-Angebote in bestimmten Fällen eine gute Ergänzung zur klassischen Psychotherapie sein können. Wer aber unter erheblichen psychischen Beschwerden leidet, sollte unbedingt einen psychologischen Psychotherapeuten oder einen ärztlichen Psychotherapeuten aufsuchen und sich nicht ausschließlich über das Internet Hilfe holen. Wie erkenne ich, ob ich an einer ernsthaften psychischen Erkrankung leide?
Als Erstes muss ich mich ehrlich fragen, wie sehr das psychische Problem, das ich habe, mich in meinem täglichen Leben einschränkt. Wenn ich alltägliche Dinge nicht mehr tun kann, etwa öffentliche Verkehrsmittel oder das Auto nutzen, einkaufen gehen oder ins Kino, dann ist das ein Zeichen, dass eine schwerere Erkrankung vorliegt. Ein weiterer Punkt ist die Intensität des Leidensdrucks: Wie sehr leide ich? Und wie stark sind meine sozialen Kontakte dadurch gestört? Wer jemanden hat, dem er wirklich vertrauen kann, könnte diese Fragen natürlich auch mit dieser Person zusammen besprechen. Eine Rückmeldung durch andere hilft bei der ersten Einschätzung oft.
Interview: Daniela Hungbaur Dr. Nikolaus Mel cop, 57, ist Präsident der Psy chotherapeu tenkammer (PTK) Bayern sowie Vizepräsident der Bundespsycho therapeutenkammer.
Der Tod der sechsjährigen Alina löste 2016 bundesweit Bestürzung aus und zeigte, wie gefährlich Masern sein können. Das Mädchen starb an der Masern-Gehirnentzündung SSPE und damit an einer Spätfolge des Virus. Nach den Plänen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hätte die Krankheit damals in Europa gar nicht mehr existieren dürfen: Die WHO wollte bis 2015 die Masern ausrotten.
Die Zahlen von 2017 unterstreichen aber, dass die WHO mit diesen Plänen gescheitert ist: In Deutschland wurden mehr als 900 MasernFälle nachgewiesen – damit erkrankten dreimal so viele Menschen wie im Vorjahr. Für das RobertKoch-Institut (RKI) zeigt das, dass die Menschen in Deutschland nicht ausreichend vor der Krankheit geschützt sind, bei der Betroffene unter Fieber, Kopfschmerzen und Schleimhautentzündungen leiden.
Außergewöhnlich ist die Verdreifachung der Masern-Fälle laut RKI aber nicht. „Bei Masern-Ausbrüchen gibt es jährlich große Schwankungen“, erklärt Sprecherin Susanne Glasmacher. Ein Blick auf die Entwicklung seit 2001 zeigt, dass unter anderem 2015 deutlich mehr Menschen erkrankt waren. In Bayern stiegen zwar 2017 die Fälle von 33 auf über 50 – damit war die Zunahme aber geringer als der bundesweite Trend.
Nach Angaben des RKI wären Masern längst kein Problem mehr, wenn sich alle Menschen dagegen impfen ließen. „In den vergangenen Jahren hat sich der Schutz von Kindern unter zwei Jahren verbessert – die Lage ist aber immer noch nicht gut“, sagt Glasmacher. Für den zuverlässigen Schutz seien zwei Impfungen nötig. Die erste sollen Kinder idealerweise im Alter von elf bis 14 Monaten bekommen, die zweite im Alter von 15 bis 23 Monaten.
Auch in Bayern sind längst nicht alle Kinder vor Masern geschützt. Eine Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung für die Jahre von 2009 bis 2014 zeigt, dass die Impflücken bei Kindern bis zu zwei Jahren besonders in Schwaben und Oberbayern groß sind. Bundesweit haben 63 Prozent der Kleinkinder beide Masern-Impfungen bekommen. In 27 bayerischen Landkreisen fällt die Quote dagegen deutlich niedriger aus – unter anderem im Unter- und Ostallgäu ist nur rund die Hälfte der Kinder geschützt. Das RKI weist darauf hin, dass auch vielen Erwachsenen der Schutz vor Masern fehle. „Das betrifft vor allem diejenigen, die vor der Einführung der Masern-Impfung im Jahr 1970 geboren wurden“, erklärt Glasmacher.