Neu-Ulmer Zeitung

Was ist eine Immobilie heute wert?

Die Grundsteue­r wird mit Daten aus den Jahren 1935 und 1964 berechnet. Der Experte Thomas Eigenthale­r über die Tücken dieses Systems und andere heikle Steuerfrag­en

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Herr Eigenthale­r, warum wird die Grundsteue­r noch immer mithilfe sogenannte­r Einheitswe­rte berechnet, die aus dem Jahr 1964, bzw. in den neuen Ländern gar aus dem Jahr 1935, stammen? Hat die Politik geschlafen – oder die Finanzverw­altung?

Die Finanzverw­altung hat auf keinen Fall geschlafen. Wenn hier jemand etwas unterlasse­n hat, dann der Gesetzgebe­r. Im Bewertungs­gesetz steht, dass der Wert einer Immobilie alle sechs Jahre neu festzulege­n ist – daran aber hat sich nie jemand gehalten. Als man 1965 damit anfing, die Werte für 1964 zu ermitteln, hat das insgesamt zehn Jahre gedauert. Danach hatte niemand mehr Lust, sich diese Arbeit noch einmal zu machen. Selbst als 1995 die Einheitswe­rte bei der Vermögenst­euer verworfen wurden und 2006 die bei der Erbschafts­teuer, hat man bei der Grundsteue­r weiter mit ihnen gearbeitet. Begründung: Die sind alle falsch, da ist es am Ende des Tages egal. Außerdem kann die Gemeinde ja über den sogenannte­n Hebesatz, den sie festlegt, noch steuernd eingreifen.

Nun muss das Verfassung­sgericht über die Grundsteue­r entscheide­n. Sie selbst sind als Experte an dem Verfahren beteiligt. Welches Urteil erwarten Sie?

Ich gehe davon aus, dass nach der Vermögenst­euer 1995 und der Erbschafts­teuer 2006 auch die Grundsteue­r in der gegenwärti­gen Form nicht mehr verfassung­skon- form ist. Die Werte stimmen einfach nicht mehr. In Deutschlan­d gibt es etwa 35 Millionen Grundstück­e. Müssen die dann alle neu bewertet werden? Das dauert doch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

In den vergangene­n Jahren ist das Personal in den Bewertungs­stellen der Finanzämte­r radikal zusammenge­schmolzen worden, sodass ich Ihnen heute nicht sagen kann, wer diese Neubewertu­ngen überhaupt vornehmen soll. Ich rechne damit, dass wir alles in allem fünf bis sieben Jahre brauchen werden. Sie können ja nicht im Blindflug Grundstück­e bewerten, sondern müssen mit den Eigentümer­n sprechen, sie brauchen Personal und die passende Datenverar­beitung. Im Osten kommt erschweren­d hinzu, dass viele Grundstück­e noch gar nicht bewertet sind – und die anderen auf Basis der Werte von 1935, also der Anfangspha­se des Dritten Reiches. In der DDR war ja fast alles Volkseigen­tum …

Union und SPD haben sich darauf verständig­t, den Solidaritä­tszuschlag für 90 Prozent der Betroffene­n abzuschaff­en. Ist damit nicht das nächste Steuerverf­ahren in Karlsruhe vorprogram­miert – wenn zehn Prozent so offensicht­lich benachteil­igt werden?

Das glaube ich nicht. Da es kein gesetzlich festgelegt­es Ende des Solidaritä­tszuschlag­es gibt, wird eine neue Bundesregi­erung bei einer entspreche­nden Klage natürlich immer argumentie­ren, sie sei auf dem Weg, ihn abzuschaff­en, könne dies aus haushalter­ischen Gründen aber nicht auf einen Schlag und nicht für alle Steuerzahl­er gleichzeit­ig. Für die nächsten Jahre, denke ich, könnte eine Regierung damit durchkomme­n. Auf den Sankt-Nimmerlein­sTag allerdings darf sie die komplette Abschaffun­g nicht verschiebe­n. Auch bei einem weiteren Steuerthem­a ist Zoff vorprogram­miert. Zinsen sollen nicht mehr pauschal mit der Abgeltungs­teuer von 25 Prozent besteuert werden, sondern wieder mit dem persönlich­en Steuersatz. Andere Kapitalert­räge dagegen sollen weiter unter die 25-Prozent-Regel fallen. Können Sie uns erklären, was daran gerecht ist?

Bei den Spekulatio­nsgewinnen weiß ich noch nicht, wie Union und SPD konkret vorgehen wollen – da muss ich passen. Bei den Dividenden dagegen hat das Unternehme­n, das sie ausschütte­t, seinen Ertrag ja schon versteuert. Insofern geht diese Differenzi­erung für mich in Ordnung.

Die Finanzämte­r sind schon jetzt überlastet. Die pauschale Abgeltungs­teuer ist vielleicht nicht gerecht, aber ist sie nicht die deutlich einfachere und praktikabl­ere Lösung?

Auf den ersten Blick mag das so aussehen, ja. Aber wir haben trotzdem noch viele Fälle, in denen wir in den Finanzämte­rn nacharbeit­en müssen. Dazu gehören wegen der Kirchenste­uer alle Sparer, die sich geweigert haben, ihrer Bank ihre Konfession zu nennen. Dazu gehören alle, die einen persönlich­en Steuersatz von weniger als 25 Prozent haben und alle Sparer, die ihrer Bank keinen Freistellu­ngsauftrag erteilt haben. So lange wir keinen automatisc­hen Datenausta­usch mit den Banken haben, macht uns das alles noch eine Menge Arbeit. Das heißt, irgendwann soll das Finanzamt alles über jeden wissen?

Seit 1. Oktober haben wir Zugriff auf viele ausländisc­he Konten – und ich frage mich schon, warum wir bei ausländisc­hen Konten, zumal bei solchen in EU-Ländern, härter vorgehen als bei den Konten der deutschen Banken.

Interview: Rudi Wais O

vertritt als Vorsitzend­er der Deutschen Steuerge werkschaft mehr als 70 000 Beschäftig­te in der Steuerverw­altung. Nach einer Ausbildung beim Finanzamt hat der ge bürtige Stuttgarte­r sein Abitur nach geholt, Jura studiert und sich anschlie ßend erneut für den Fiskus entschie den. Der 59 Jährige war unter ande rem Betriebspr­üfer und Chef des Finanzamts Stutt gart II.

Martin Schulz spürt den heißen Atem der Linksparte­i im Nacken. Während der SPD-Chef auf seiner Deutschlan­d-Tour alles versucht, seine unwillige Partei von einer neuerliche­n Großen Koalition mit der Union zu überzeugen, droht ihm Ungemach von ganz links. Denn führende Linken-Politiker buhlen heftig um GroKo-skeptische SPD-Anhänger. Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t und ihr Mann Oskar Lafontaine etwa trommeln derzeit wieder laut für ihre Idee einer linken Sammlungsb­ewegung. Links eingestell­te Kräfte aus SPD, Grünen und Linksparte­i sollten sich demnach zusammensc­hließen – zu einer echten Volksparte­i. Bei der SPD, die ja nach ihrem 20-ProzentErg­ebnis bei der Bundestags­wahl um ihren Status als Volksparte­i ringt, gehen da alle Warnlampen an.

In seiner Heimat NordrheinW­estfalen, wo die SPD ihren mitglieder­stärksten Landesverb­and hat, warb Parteichef Martin Schulz auch gestern darum, nach den Sondierung­en in Koalitions­verhandlun­gen mit der Union zu gehen. Doch Michael Groschek, Chef der NRWSPD, sagt: „Wir haben Mitglieder, die sagen Ja, und welche, die sagen Nein, und dazwischen ist ein großer Teil von nachdenkli­chen Unentschlo­ssenen.“Für Schulz bedeutet das: Nicht einmal der Unterstütz­ung seines Heimatverb­andes, der beim Parteitag am Sonntag allein 144 von 600 Delegierte­n stellt, kann er sich sicher sein.

Ein Hoffnungss­chimmer für Schulz kommt aus dem Allgäu. Denn der Vorstand der SPD-Fraktion im Bayerische­n Landtag hat sich für Koalitions­verhandlun­gen mit der Union ausgesproc­hen. „Die Meinung im Vorstand ist einhellig. Wir begrüßen das Sondierung­spapier, wir sehen viel sozialen Fortschrit­t“, so Fraktionsc­hef Markus Rinderspac­her zum Auftakt der Winterklau­sur im Kloster Irsee.

Dennoch könnte in Bonn ein echter Riss durch die Partei gehen. So kritisiere­n Teile der SPD heftig die Sondierung­sergebniss­e zur Flüchtling­spolitik. Diese Genossen umwirbt Linke-Parteichef­in Katja Kipping, die die SPD beschuldig­t, eine „verklausul­ierte“Flüchtling­sobergrenz­e „durch die Hintertür“einführen zu wollen. Und Jan Korte, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linken, feuert die Angst vieler in der SPD vor den Folgen eines Eintritts in eine neue Große Koalition weiter an. Er fürchte, so Korte, dass die SPD „sich pulverisie­rt“.

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Foto: Ulrich Wagner Wie gerecht ist die Berechnung der Grundsteue­r? Unser Luftbild zeigt neue Häuser auf dem Sheridan Gelände in Augsburg.
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Th. Eigenthale­r

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