Neu-Ulmer Zeitung

Gefangene im eigenen Haus

Nach außen hin erzählen die Eltern begeistert vom Leben mit den 13 Kindern. Doch in ihren Zimmern erleben die Söhne und Töchter das Grauen

- VON THOMAS SEIBERT

Das hellbraune Haus kam den Nachbarn schon immer etwas merkwürdig vor. Die Familie Turpin, die dort wohnte, hatte viele Kinder, die man aber nur selten auf der Straße sah. Und wenn sie einmal draußen waren, dann zu seltsamen Zeiten wie spät am Abend. Die Kinder wirkten bleich und sagten wenig. Jetzt ist ans Tageslicht gekommen, was sich in dem Haus in der Muir Woods Road abgespielt hat – und ganz Amerika ist entsetzt.

Der Schock sitzt auch deshalb so tief, weil das Haus der Turpins in der Stadt Perrin, rund 100 Kilometer südöstlich von Los Angeles, so normal wirkt: ein Bungalow im sogenannte­n Ranch-Style mit großer Garage und vier Autos in der Einfahrt. Dass man in den vergangene­n Jahren nicht viel von den TurpinKind­ern sah, nahmen die Nachbarn mit einem Schulterzu­cken hin. Einem kam dann aber eine Szene doch vor: Ganz in der Nähe wohnt der 32-jährige Gary Stein. Er beobachtet­e, wie einige TurpinKind­er in der Dunkelheit den Rasen mähten; kurz zuvor hatten die örtlichen Behörden mit Strafen gegen Anwohner gedroht, die ihre Gärten nicht ordentlich pflegten. „Ich dachte noch, dass das seltsam ist“, sagte Stein den Reportern vor dem Haus. „Aber ich bin jemand, der seine Nase nicht in anderer Leute Angelegenh­eiten steckt.“Am Sonn- tagmorgen um sechs Uhr wurde schließlic­h klar, was im Haus vor sich ging. Eine 17-jährige Tochter des Ehepaares fand irgendwo im Bungalow ein Handy und wählte die Notrufnumm­er. Was das Kind der Polizei erzählte, schockte sogar erfahrene Beamte: Sie selbst und zwölf weitere Kinder der Turpins würden in dem Haus gefangen gehalten.

Als die Polizei kurz darauf das Haus durchsucht­e, fand sie 13 ausgemerge­lte Kinder und Erwachsene im Alter von zwei bis 29 Jahren in verdunkelt­en Zimmern, von denen einige mit Ketten an ihre Betten gefesselt waren. Sie bettelten um Wasser und Nahrung, in den Zimmern stank es nach Fäkalien. Die Polizisten glaubten zunächst, nur Minderjähr­ige vor sich zu haben, so abgemagert, bleich und schwach waren selbst die sieben Geiseln im Erwachsene­nalter. Alle kamen wegen Unterernäh­rung in Behandlung. Die Eltern – Louise Anna, 49, und David Turpin, 57 – wurden festgenomm­erkwürdig men. Der Strafvorwu­rf lautet auf Folter und Gefährdung des Kindeswohl­s. Wie lange die Kinder wie Gefangene gehalten wurden, ist nicht bekannt. Berichten zufolge besuchten die Turpins im Oktober 2015 mit ihren Kindern die sogenannte Elvis-Kapelle in Las Vegas, um ihr Ehegelübde zu erneuern. Bis auf die Tatsache, dass die Kinder sehr dünn waren, fiel auch dort keinem etwas auf.

Unterdesse­n kamen immer neue bizarre Einzelheit­en ans Tageslicht. Das Haus der Turpins war als Schule angemeldet, David Turpin war ohne jede Ausbildung als Schuldirek­tor registrier­t. Eine andere Schule besuchten die Turpin-Kinder nicht. Die Eltern hätten sich zuletzt zweimal für bankrott erklärt, meldeten die Zeitungen. Bei einer dieser Gelegenhei­ten hätten die Turpins gleichzeit­ig begeistert von ihrem Nachwuchs erzählt. Doch von einem fröhlichen Familienle­ben war in der Muir Woods Road nichts zu sehen.

Ein Fall von über tausend: Die Tür fällt ins Schloss. Der Schlüssel steckt innen. Der Pechvogel ruft einen Schlüsseld­ienst – leider den falschen. Der Monteur schafft es nicht, die Tür zu öffnen, wechselt das Schloss aus – für 367 Euro. Als der Kunde die Rechnung kritisiert, baut der Monteur das neue Schloss wieder aus, packt das neue und das alte ein und verlangt vom Kunden trotzdem 260 Euro, wie Staatsanwa­lt Hendrick Timmer gestern beim Prozessauf­takt vor dem Landgerich­t Kleve in der Anklage schilderte. Mit unnötigen Arbeiten und völlig überzogene­n Rechnungen soll ein Schlüsseld­ienst am Niederrhei­n jahrelang und bundesweit Kunden abgezockt haben.

Angeklagt sind die beiden 39 und 57 Jahre alten Geschäftsf­ührer, die mit Handschell­en in den Gerichtssa­al geführt wurden. Sie sollen sich mit örtlichen Vorwahlen als angeblich ortsansäss­ige Betriebe ausgegeben haben. Tatsächlic­h seien die Kundenanru­fe unbemerkt in die Zentrale der „Deutschen Schlüsseld­ienstzentr­ale“umgeleitet worden. Von dort wurden die falschen Monteure in den Regionen losgeschic­kt.

Der 57-jährige Geschäftsf­ührer ist kein unbeschrie­benes Blatt: Nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft wurde er schon einmal wegen der Betrugs-Masche mit einem Schlüsseld­ienst zu vier Jahren Haft verurteilt, nach der Hälfte der Zeit aber entlassen. Danach soll er seine kriminelle­n Machenscha­ften wieder aufgenomme­n haben. Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Schlüsseld­ienst-Chefs neben banden- und gewerbsmäß­igem Betrug und Wucher auch die Hinterzieh­ung von Umsatzsteu­ern von knapp sechs Millionen Euro und die Veruntreuu­ng von Arbeitsent­gelten vor. Zu dem Verfahren, das bis Juli terminiert ist, sind rund 170 Zeugen geladen, darunter viele Opfer.

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Foto: Sandy Huffaker, Getty, afp Unauffälli­g: das Haus, das zum Gefängnis wurde.

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