So argumentieren die GroKo Gegner
In der SPD kämpfen der Nachwuchs und die Parteilinke erbittert gegen ein neues Bündnis mit der Union. Sachpolitik spielt im Protestkonzert nicht die erste Geige
Soll die SPD ein weiteres Mal ein Regierungsbündnis mit der Union eingehen? Weite Teile der Parteispitze meinen Ja, werten die Ergebnisse der fünftägigen Sondierungsgespräche mit CDU und CSU als großen Erfolg. Doch vor dem Sonderparteitag in Bonn machen die Gegner der Großen Koalition weiter mobil. Denn am Sonntag müssen die 600 Delegierten darüber entscheiden, ob den Sondierungen nun konkrete Koalitionsgespräche folgen sollen.
Parteilinke und der Nachwuchs, die Jusos, zogen auch gestern alle Register in ihrem erbittert geführten Kampf gegen das ungeliebte Bündnis. Im Vordergrund stehen bei den GroKo-Gegnern Argumente, die mit Sachpolitik wenig zu tun haben. Juso-Chef Kevin Kühnert etwa sieht in der Beteiligung an der Großen Koalition der vergangenen vier Jahre den Hauptgrund für das historisch schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl. Die Erneuerung der Partei könne nur in der Opposition gelingen. Zudem dürfe die Oppositionsführerschaft im Bundestag nicht der rechtspopulistischen AfD überlassen werden, sagte er gestern in Berlin.
Ihr Misstrauen gegen die Union die GroKo-Gegner aber auch mit dem Argument, dass CDU und CSU schon wichtige Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag von 2013 nicht eingehalten hätten. Und so etwa das Recht auf befristete Teilzeit blockiert. Dass sich dieser Punkt nun im Sondierungspapier findet, wollen sich die GroKo-Gegner nicht als Verhandlungserfolg verkaufen lassen. Gleiches gilt für die Lebensleistungsrente, die SPDChef Martin Schulz als großen Sondierungserfolg gewertet hat.
In der Sondierungs-Einigung zur Rentenpolitik sehen die GroKoGegner eine Mogelpackung. Im Text heißt es, dass die gesetzliche Rente bis zum Jahr 2025 auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent abgesichert werden soll. Dies sei alles andere als ein hervorragendes Ergebnis, denn laut Rentenprognose werde das Rentenniveau ohnehin erst nach 2024 unter 48 Prozent fallen, so Juso-Chef Kevin Kühnert. Er sprach von einer „Schein-Einigung“und fing sich dafür prompt einen Rüffel von Fraktionschefin Andrea Nahles ein. Kühnert nehme es mit den Fakten nicht so genau, wetterte Nahles, die ihre Politkarriere einst selbst als widerspenstige Juso-Chefin begonnen hatte.
Nicht einmal die Passagen zur Europapolitik im Sondierungspa- pier, die sich lesen, als wären sie aus einer Martin-Schulz-Rede kopiert, lassen die GroKo-Gegner als Erfolg gelten – zu unkonkret, finden sie.
Das Flüchtlingskapitel im Sondierungspapier ist für viele Sozialdemokraten nicht akzeptabel, weil sie dadurch eine Flüchtlings-Obergrenze durch die Hintertür sehen. Ebenso lehnen sie die auch für die ge rutschte sie im Vergleich zur Vorwoche um zwei Punkte auf 18 Prozent ab.
Mattheis will wie die anderen GroKo-Gegner auch dann weiterkämpfen, wenn sich die Delegierten beim Sonderparteitag mehrheitlich für Koalitionsverhandlungen aussprechen. Denn dann wäre der Weg für eine Regierungsbildung ja noch lange nicht frei: Der SPD-Fahrplan sieht vor, dass nach erfolgten Koalitionsverhandlungen die Mitglieder entscheiden sollen, ob tatsächlich ein Regierungsbündnis mit der Union eingegangen werden soll. Dass es in möglichen Koalitionsgesprächen zu einem weiteren Entgegenkommen der Union Richtung SPD kommt, ist nicht zu erwarten. Das macht nicht nur Kanzlerin Angela Merkel klar, die die Sondierungsergebnisse als „herbe Zugeständnisse“an die SPD bezeichnete und bei den Eckpunkten keine Spielräume mehr sieht. Auch Andrea Nahles und Kevin Kühnert, erbitterte Gegner im SPD-internen Streit, sind sich einig, dass bei Nachverhandlungen kaum wohl noch was gehen dürfte. Nahles nannte die Gespräche an bestimmten Punkten „ausgereizt“, Kühnert warnte vor der Erwartung, dass „etwa noch die Bürgerversicherung im Gesundheitswesen nachträglich hineinverhandelt werden könne“.
Nach dem Willen des Bundestages soll es in Deutschland bald einen Antisemitismus-Beauftragten geben. Der Bundestag forderte die Regierung in einem am Donnerstag gefassten Beschluss auf, einen solchen Posten einzurichten. In der Debatte wies die AfD vor allem auf Judenhass durch muslimische Zuwanderer hin. Redner anderer Fraktionen warfen den Rechtspopulisten vor, sich nicht von antisemitischen Tendenzen in den eigenen Reihen abzugrenzen.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte, dass der Bundestag den Antrag verabschiedete. „Damit haben die Parlamentarier deutlich signalisiert, dass sie die Sorgen der jüdischen Gemeinschaft ernst nehmen“, hieß es in einer Erklärung. „Der Kampf gegen Antisemitismus ist Aufgabe von uns allen.“Die Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten sei ein „wirkungsvolles Instrument“.
In dem von Union, SPD, FDP und Grünen vorgelegten Antrag heißt es, der Beauftragte soll von einem unabhängigen Kreis beraten werden, der sich aus Experten aus Wissenschaft, Bildungspraxis und Zivilgesellschaft zusammensetzt. Der Beauftragte könnte etwa im Kanzleramt oder dem Innenministerium angesiedelt werden. Für einen Posten im Kanzleramt machte sich in der Debatte die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese stark.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, der Beauftragte solle Ansprechpartner für die Zivilgesellschaft und Vermittler zwischen Bund, Ländern und Kommunen sein. Dieser Beauftragte entbinde aber „niemanden von seiner ganz persönlichen Verantwortung“im Kampf gegen Judenfeindlichkeit.
Die AfD-Rednerin Beatrix von Storch sagte, dass Antisemitismus ein besonders durch muslimische Zuwanderer verursachtes Problem sei. Mit ihren Äußerungen rief von Storch die Kritik anderer Redner hervor. „Sie haben ein krasses Problem mit Antisemitismus“, erklärte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt an die AfD gerichtet. Sie kritisierte, dass der AfD-Politiker Björn Höcke immer noch Mitglied der Partei sei. Höcke hatte das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“gefordert.