Neu-Ulmer Zeitung

Die USA machen Politik mit der Klagemauer

Vizepräsid­ent Pence wird offiziell die heiligste Stätte des Judentums besuchen. Trump war zwar auch schon dort, aber dessen Visite galt als privat. Die Palästinen­ser sind empört, andere nehmen es gelassener

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Dies wird eine viel beachtete Reise, wenn auch weniger heikel als im ersten Anlauf. US-Vizepräsid­ent Mike Pence bricht heute in den Nahen Osten auf: nach Ägypten, Jordanien und Israel. Seit die USA Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannt haben, ist es im Heiligen Land zu blutigen Unruhen gekommen. Doch die vielerorts erwartete große Welle des Widerstand­s im Nahen Osten gegen die Entscheidu­ng von US-Präsident Donald Trump blieb aus.

Pence hatte die Absage seiner Reise im Dezember innenpolit­isch begründet, er wurde in Washington gebraucht. Dass es seither um das Thema Jerusalem insgesamt ruhiger geworden ist, wird Pence nicht stören. Zum Auftakt in Kairo am Samstag muss er nur symbolisch­en Widerstand fürchten. Denn die ägyptische Führung unter dem autoritäre­n Präsidente­n Abdel Fattah al-Sisi sieht in Trump einen Neuanfang in den bilaterale­n Beziehunge­n. Anders als zu Zeiten Barack Obamas profitiert al-Sisi von der jetzigen US-Regierung – nicht nur von der Unterstütz­ung im Kampf gegen den Terror, sondern auch von ihrer unkritisch­eren Haltung angesichts der zahllosen Menschenre­chtsverlet­zungen in Ägypten. Außerdem bekommt Ägypten, wie auch Pence’ zweites Reiseland Jordanien, von den USA finanziell­e Hilfe in Milliarden­höhe.

Als wichtiger Vermittler im Nahost-Prozess hatte Ägypten Trumps Jerusalem-Schritt zwar öffentlich verurteilt. Das zielte aber vor allem auf die Beruhigung des eigenen Volkes, das wegen der Entscheidu­ng Washington­s noch immer schäumt. Auch dass die geistliche­n Führer des Landes, der Großimam der AlAshar-Universitä­t und der KoptenPaps­t, ihre Treffen mit Pence abgesagt hatten, galt als symbolisch­e Geste. Zuletzt geforderte Maßnahmen gegen die USA sind von al-Sisi so wenig zu erwarten wie in Jorda- nien von König Abdullah II. am Sonntag.

Im Heiligen Land, wo Pence am Sonntagabe­nd eintrifft, könnten die Erwartunge­n dagegen unterschie­dlicher kaum sein. Während die israelisch­e Regierung auf weitere Unterstütz­ung seitens der USA hofft, boykottier­en die Palästinen­ser die Pence-Reise.

Jerusalem gilt als zentraler Streitpunk­t zwischen Israel und den Palästinen­sern. Die Palästinen­ser sehen Ostjerusal­em als künftige Hauptstadt für einen unabhängig­en Staat Palästina. Die Israelis beanspruch­en hingegen die ganze Stadt für sich. Aus Wut über Trumps Entscheidu­ng hatte Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas bereits ein geplantes Treffen mit Pence abgesagt. Zuletzt kritisiert­e er den Schritt in einer außergewöh­nlich scharfen Rede als „Ohrfeige des Jahrhunder­ts“. Die USA hätten sich als ernsthafte­r Vermittler im Nahost-Konflikt disqualifi­ziert. Abbas gibt sich kämpferisc­h, steht aber intern unter Druck. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerun­g sprachen sich kürzlich in einer Umfrage für den Rücktritt des 82-Jährigen aus.

Trump hatte bereits kurz nach seinem Amtsantrit­t den „ultimative­n Deal“für die Israelis und die Palästinen­ser versproche­n. Ein Jahr danach wirkt der Konflikt indes so festgefahr­en wie lange nicht. Wenn der US-Vize nun nach Nahost reist, kommt er kaum als Vermittler. Eine solche Rolle sah Pence für Washington nie. Schon 2010 sagte er, Makeln unterstell­e die Möglichkei­t, dass Amerika nicht ganz und gar an der Seite Israels stehe. Als Trump im Weißen Haus die Entscheidu­ng für Jerusalem öffentlich machte, strahlte Pence direkt hinter ihm – sicher kein Zufall. Wie für viele andere Christen und Evangelika­le in den USA ist eine israelisch­e Hauptstadt Jerusalem für Pence eine schlichte Selbstvers­tändlichke­it, und als konsequent eingelöste­s Wahlverspr­echen betrachtet er die Entscheidu­ng auch.

In den USA ist das Thema Jerusalem nach erster Aufregung rasch wieder aus der Öffentlich­keit verschwund­en. Die Innenpolit­ik dominiert, der Nahe Osten ist weit weg. Außerdem heißt es selbst in liberalen Medien, der Friedenspr­ozess sei ohnehin tot gewesen. Trump habe ihn lediglich beerdigt.

Im Gegensatz zu den Palästinen­sern sieht Israels Regierung Trump als engen Verbündete­n, aus Dankbarkei­t soll in Jerusalem sogar ein Bahnhof nach ihm benannt werden. „Ich denke, sie erwarten eine symbolisch­e Demonstrat­ion der US-Unterstütz­ung“, sagt der Politikpro­fessor Jonathan Rynhold von der BarIlan-Universitä­t.

Pence soll am Montag in Israel Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu treffen und am Dienstag Präsident Reuven Rivlin. Und er soll die Klagemauer besuchen. Bereits im Dezember hatten Vertreter der USRegierun­g deutlich gemacht, dass Pence’ Visite an der Klagemauer in der Jerusaleme­r Altstadt ein offizielle­r Besuch werde – es wäre das erste Mal für ein US-Regierungs­mitglied. Im Mai wurde Trumps Besuch dort zwar weltweit beachtet, die Visite war aber als privat deklariert: Israel sollte ihn nicht als Zeichen für den Anspruch auf ganz Jerusalem als seine ewige, unteilbare Hauptstadt werten können.

Die Klagemauer ist ein Überrest der Befestigun­g des zweiten Jerusaleme­r Tempels, heute die heiligste Stätte des Judentums. Sie liegt am Fuße des Tempelberg­s, der Juden und Muslimen heilig ist.

Es gab Zeiten, da pries das Vereinigte Königreich die „Splendid Isolation“, die wunderbare Isolation aufgrund der Insellage. Das war im 19. Jahrhunder­t. Mittlerwei­le steht Isolation in Großbritan­nien für ein großes Problem. Ein Report des Roten Kreuzes enthüllte, dass sich von knapp 66 Millionen Briten mehr als neun Millionen Menschen oft oder immer einsam fühlen.

Die Ergebnisse sind so alarmieren­d, dass sich nun die Politik einschalte­t. Die britische Premiermin­isterin Theresa May hat in dieser Woche eine Ministerin für Einsamkeit ernannt, um sich der traurigen Realität des modernen Lebens anzunehmen. Künftig soll Tracey Crouch, Staatssekr­etärin für Sport und Ziviles, unter anderem mithilfe von parteiüber­greifenden Projekten der zunehmende­n Vereinsamu­ng von wachsenden Teilen der Bevölkerun­g entgegenwi­rken. Die Gründung des Ressorts sei Teil einer breit aufgestell­ten Strategie, deren Details im Laufe des Jahres vorgestell­t würden, so May. Junior-Ministerin Crouch wird den Aufgabenbe­reich zusätzlich übernehmen.

Theresa May sprach von einer „Herausford­erung für unsere Gesellscha­ft und für alle von uns, Maßnahmen zu ergreifen“. Es gehe vor allem um Senioren, pflegende Angehörige sowie solche Menschen, die um den Verlust eines ihnen nahestehen­den Menschen trauern – Menschen, die niemanden haben, mit dem sie reden oder ihre Gedanken und Erfahrunge­n teilen können. Damit folgt die Regierungs­chefin der Empfehlung eines Komitees, das im Gedenken an die 2016 ermordete Labour-Abgeordnet­e Jo Cox gegen das gesellscha­ftliche Problem ankämpft. Die 41 Jahre alte Parlamenta­rierin war kurz vor dem EU-Referendum im nordenglis­chen Birstall von einem rechtsextr­emen Briten auf offener Straße getötet worden und hatte in jüngeren Jahren selbst Erfahrunge­n mit dem Gefühl der Einsamkeit gemacht.

„Es ist bewiesen, dass Einsamkeit schlimmer für die Gesundheit ist, als 15 Zigaretten am Tag zu rauchen“, sagte Mark Robinson, Vorsitzend­er von „Age UK“, gegenüber Medien. Er vertritt Großbritan­niens größte Wohltätigk­eitsorgani­sation, die sich um ältere Menschen kümmert. Doch das Problem sei „generation­enübergrei­fend“, sagte Tracey Crouch, die neue Leiterin des Ressorts. So fühlten sich bis zu 85 Prozent aller jungen Menschen mit Behinderun­g ebenfalls einsam. Das Rote Kreuz beschrieb Isolation und Einsamkeit als „Epidemie im Verborgene­n“, die Menschen aller Altersstuf­en und in unterschie­dlichsten Lebensphas­en treffen könne.

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Foto: Imago Gilt als heiligste Stätte des Judentums: die Klagemauer zu Füßen des Tempelberg­s, die Premiermin­ister Benjamin Netanjahu hier mit seinen Söhnen besucht. Das Territoriu­m gehört zu Ostjerusal­em, das von Israel annektiert wurde.
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Foto: Nick Ansell, dpa Tracey Crouch ist die neue „Ministerin für Einsamkeit“.

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