177 Seiten für die nächsten vier Jahre
vier Jahren umsetzen wollen. Oder wohl eher dreieinhalb, denn seit der Bundestagswahl sind bereits 137 Tage ins Land gegangen. Und ganz sicher ist es ja auch noch nicht, dass es wirklich klappt mit der nächsten GroKo – die Zustimmung der SPD-Basis steht noch aus.
Es ist genau dieser Umstand, die Bedrohung, dass am Ende doch noch alles scheitert, die diese Koalitionsgespräche so brisant gemacht haben wie vielleicht bei keiner Regierungsbildung zuvor. So sind die Ergebnisse andere, als die Kräfteverhältnisse nach der Wahl eigentlich erwarten lassen würden. Die SPD, die massive Verluste hatte hinnehmen müssen, die auf kaum mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen abgesackt war und mit Martin Schulz als Kanzlerkandidat das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit erzielt hatte, war nach dem Scheitern der Gespräche über eine mögliche Jamaika-Koalition zwischen Union, FDP und Grünen plötzlich unverzichtbar für Kanzlerin Angela Merkel.
Wollte sie sich in eine vierte Amtsperiode retten, musste sie der SPD weit entgegenkommen. Als die Kanzlerin am Mittwochnachmittag vor die Presse tritt, sieht sie nach mehr als 30 Stunden ohne Schlaf erstaunlich frisch aus. Die Erschöpfung äußert sich allenfalls darin, dass sie häufiger blinzelt als sonst.
Das ausgehandelte Papier sieht sie „als gute Grundlage für eine stabile Bundesregierung“. Sie beteuert, die Anstrengungen der vergangenen Wochen hätten sich gelohnt. gelte es, um Zustimmung zum Koalitionsvertrag zu werben – denn für Merkel geht es um alles beim SPD-Mitgliederentscheid. So klingt die CDU-Vorsitzende fast, als richte sie sich speziell an die Mitglieder der SPD, wenn sie sagt, dass den Menschen gerade in sozialen Bereichen mehr Sicherheit gegeben werden soll. Merkel widerspricht auch nicht, als SPD-Chef Martin Schulz herausstellt, wie sehr der Koalitionsvertrag eine „sozialdemokratische Handschrift“trägt.
In der Nacht zuvor hatten die Unterhändler der Union der SPD auch in den beiden verbliebenen Knackpunkten ,Sachgrundlose Befristung‘ und ,Zweiklassenmedizin‘ deutliche Zugeständnisse gemacht. Doch Kompromisse, über die sich vor allem die SPD freuen kann, hat Merkel am Ende unter dem Druck einer drohenden Ablehnung des Koalitionsvertrags durch die SPD-Basis vor allem auch bei der Zuteilung der gemacht. „Dass die Frage, wer bekommt welches Ressort, keine einfache war, kann ich Ihnen verraten“, sagt Merkel. Die gröbsten Sachfragen waren nach Informationen unserer Zeitung bereits Dienstagnacht gegen 22 Uhr gelöst. Die restliche Nacht hindurch soll es rein ums Personal gegangen sein. Die SPD, so heißt es, hat hart verhandelt, vor allem Fraktionschefin Andrea Nahles soll sich dabei hervorgetan haben – wie schon in den Tagen zuvor.
Zwar sollen CDU und SPD künftig wie bisher jeweils sechs und die CSU drei Ministerien bekommen. Doch Merkel tritt der SPD das wichtige Finanzministerium ab. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz soll es erhalten, der sich nach Angaben aus Teilnehmerkreisen bereits bei den Verhandlungen auffällig stark den Fragen der Finanzierbarkeit einzelner Vorhaben angenommen hat. Zudem soll Scholz ViNun zekanzler werden – und nicht Martin Schulz, der sich das wohl erhofft hatte. Schulz bekommt aller Voraussicht nach das Außenministerium, obwohl ihm viele Parteifreunde davon abgeraten hatten, ins Kabinett zu gehen – was Schulz selbst nach der Wahl ausgeschlossen hatte. Zwar konnte sich Schulz parteiintern durchsetzen, trotzdem geht er nicht als Gewinner aus den Verhandlungen hervor. Als Parteichef habe er während der Gespräche enttäuscht, heißt es sogar in den eigenen Reihen.
Georg Nüßlein, Verhandlungsführer der CSU in der Gesundheitspolitik, hat Schulz als „Dank-Beauftragten“der SPD erlebt. Wenn die Arbeitsgruppen den drei Chefs ihre Ergebnisse vorgetragen hätten, habe sich Schulz stets höflich für deren Arbeit bedankt. Dann habe er den Raum verlassen, um sich vor einer Entscheidung Rückendeckung zu holen. „Er hat offenbar keine ProMinisterien kura mehr“, sagt der CSU-Politiker aus Neu-Ulm. In der SPD heißt es, dass die Fäden bei Andrea Nahles zusammengelaufen seien – die Schulz wohl an der Parteispitze ablösen wird.
Dass die SPD so gut abschneidet, nutzt am Ende indirekt auch der CSU. Denn so muss Merkel auch der bayerischen Schwesterpartei ordentlich etwas bieten. Hat die CSU bislang mit Verkehr, Entwicklung und Landwirtschaft drei eher kleine Ressorts inne, gibt es jetzt eine deutliche Aufwertung. Bei Verkehr und Entwicklungshilfe bleibt es, doch das Landwirtschaftsministerium wird gegen ein „Superministerium“eingetauscht. Horst Seehofer soll in der künftigen Regierung das mächtige Innenressort übernehmen, das noch dazu um die Bereiche Heimat und Bauwesen erweitert wird. Wobei am Mittwoch selbst in der CSU noch längst nicht allen klar ist, was ein Bundes-Heimatminister eigentlich