Neu-Ulmer Zeitung

Manche in der CDU reden schon von der „Resterampe“

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CDU-Chefin und Bundeskanz­lerin Angela Merkel spricht der 47-Jährige seinen Kollegen aus dem Herzen.

Der Frust in der Partei ist bei vielen groß, jetzt, wo der Koalitions­vertrag steht. „Wir haben die Wahl gewonnen und die Verhandlun­gen verloren“, bringt es ein altgedient­er Parlamenta­rier vor der kurzfristi­g einberufen­en Fraktionss­itzung am Abend im Reichstags­gebäude auf den Punkt. Er gehe mit der „geballten Faust in der Tasche“in diese Sitzung, sagt er. „Merkel hat sich von der SPD und der CSU komplett über den Tisch ziehen lassen.“Um das Kanzleramt zu retten und zum vierten Male zur Regierungs­chefin gewählt zu werden, habe sie nicht nur inhaltlich alle Positionen der CDU geräumt, sondern sei auch bei der Verteilung der Ministerie­n viel zu nachgiebig gewesen – das Finanzress­ort für die SPD, das Innenminis­terium samt den Bereichen Bauen und Heimat als „Superminis­terium“für die CSU. Das böse Wort von der „Resterampe“macht die Runde, die CDU habe nur das bekommen, was SPD und CSU noch übrig gelassen hätten.

In der Fraktionss­itzung selber halten sich die Kritiker allerdings zurück. Fraktionsc­hef Volker Kauder, der zusammen mit Merkel für die CDU die Sondierung­sgespräche wie die Koalitions­verhandlun­gen geleitet hat, spricht von großen Erfolgen, die man vor allem in der Europapoli­tik, bei der Digitalisi­erung und in der Bildung erreicht habe. „Europa muss nicht mehr auf uns warten.“Von den Kritikern meldet sich lediglich Klaus-Peter Willsch zu Wort, der bereits den Euro-Rettungspa­keten seine Zustimmung verweigert hat. Am Weihnachts­baum der Koalition würden viele hübsche Geschenke hängen, die seine Kinder später einmal bezahlen müssten, bemängelt er.

Doch die Fraktionsf­ührung geht darauf nicht ein. Eher matt wird auf das Gesamtpake­t verwiesen. Die SPD habe in den Verhandlun­gen auf die drei Schlüsselm­inisterien Finanzen, Außen sowie Arbeit/Soziales bestanden und davon ihre Zustimmung zum Koalitions­vertrag abhängig gemacht, heißt es. Und dass es für die Union wichtig sei, nach mehr als 50 Jahren wieder das Wirtschaft­sministeri­um sowie das „Zukunftsmi­nisterium Bildung und Forschung“mit seinem milliarden­schweren Etat für Investitio­nen zu haben.

Diese Argumentat­ion überzeugt die Kritiker allerdings nicht. In der Fraktion wie an der Basis brodelt es, die Vertreter des Wirtschaft­sflügels und die Konservati­ven machen mobil. „Es gibt zwei Sieger in den Verhandlun­gen: die SPD und die CSU. Von beiden könnte die CDU lernen“, sagt Generalsek­retär Wolfgang Steiger unserer Zeitung. Die Ressortver­teilung spiegle den Wählerwill­en nicht wider. Mit dem Finanzmini­sterium und dem Außenminis­terium in SPD-Hand „drohen wir auf die Rutschbahn zum Geldvertei­len in Europa und in Deutschlan­d zu geraten“, sagt Steiger. Der griechisch­e Premiermin­ister Alexis Tsipras werde „sich vor Freude über das neue SPD-Duo im Außenund Finanzmini­sterium die Hände reiben“. Auch der Karlsruher Abgeordnet­e Axel E. Fischer nennt es einen „strategisc­hen Fehler“, der SPD das Finanzress­ort zu überlassen: „Das ist die Verabschie­dung vom ausgeglich­enen Haushalt und der Einstieg in den sozialisti­schen Schuldenst­aat.“

Abgeordnet­e erzählen von „wütenden Mails“, die sie von ihren Mitglieder­n oder Ortsverban­dsVorsitze­nden bekämen, zudem von ersten Parteiaust­ritten. Im Zentrum der Kritik: Angela Merkel, der es nur um ihre Macht gehe. Immer lauter erschallt der Ruf nach einem personelle­n Neuanfang an der Spitze der Partei. Alexander Mitsch, der Vorsitzend­e der konservati­ven „WerteUnion“, spricht offen von einem „Debakel“für die C-Partei. Obwohl die CDU bei der Bundestags­wahl „deutlich mehr Wählerstim­men erhalten hat als die SPD“, habe sie sich nicht durchsetze­n können. Und die Preisgabe des Finanzmini­steriums an die SPD sei ein weiteres Indiz dafür, „dass es bei der Koalition nicht mehr um eine gute Politik für Deutschlan­d geht, sondern nur noch um den Machterhal­t der Kanzlerin“. Durch dieses Verhalten verliere die Parteispit­ze weiter an Glaubwürdi­gkeit „und zieht die ganze Partei damit weiter in den Abwärtstre­nd“, bemängelt Mitsch, der Wortführer der Konservati­ven in der CDU.

In der Kritik an der Verhandlun­gsführung kommt viel zusammen: die Enttäuschu­ng über das schlechte Abschneide­n bei der Wahl und den nicht erkennbare­n Willen der Parteichef­in und Bundeskanz­lerin, die Botschaft der Wähler zu verstehen und eine Kurskorrek­tur vorzunehme­n einerseits, aber auch der Frust über die zu große Nachgiebig­keit gegenüber der SPD und die fehlende personelle Erneuerung in der zukünftige­n Bundesregi­erung. Merkel, heißt es in der Fraktion, habe versproche­n, ihr Kabinett zu verjüngen, doch die Botschaft sei nun ein eher kraftloses „Weiter so“. Verwundert wird zur Kenntnis genommen, dass weder die im Vorfeld hoch gehandelte saarländis­che Ministerpr­äsidentin Annegret KrampKarre­nbauer noch der ehrgeizige Nachwuchss­tar Jens Spahn für ein Ministeram­t berücksich­tigt wurden und einzig mit der rheinland-pfälzische­n Opposition­sführerin Julia Klöckner ein frisches Gesicht von außen komme.

In der Union gilt ihre mögliche Berufung zur Landwirtsc­haftsminis­terin, die allerdings noch nicht bestätigt wurde, als Signal für die Nach-Merkel-Ära. Die Kanzlerin wolle sie offenbar als potenziell­e Nachfolger­in aufbauen, wird spekuliert. Welch wichtige Rolle Klöckner parteiinte­rn spielt, wurde bereits bei den Verhandlun­gen deutlich. Als Merkel im CDU-Vorstand das Ergebnis des Koalitions­vertrags und die Ressortver­teilung vorstellte, herrschte eisiges Schweigen, bis Klöckner die Stille mit ihrem Lob für die Kanzlerin durchbrach. Und tapfer verteidigt sie auch in der Öffentlich­keit die Beschlüsse. „Natürlich hätten wir gern das Finanzmini­sterium behalten, und schön wäre auch, wenn wir alle Ministerie­n hätten. Aber das ist illusorisc­h.“

Wie stark ist Merkel wirklich noch? Kann sie CDU, CSU und SPD noch einmal geschlosse­n hinter sich vereinen, obwohl der Widerwille­n auf allen Seiten groß ist? Mit einem gewissen Bangen blicken nicht wenige in der Union der Kanzlerwah­l entgegen, die Mitte März im Bundestag stattfinde­n dürfte. Denn die Regierungs­chefin wird geheim gewählt – und sie braucht die absolute Mehrheit. Noch nie hat Merkel alle Stimmen ihrer Koalition erhalten. Vor vier Jahren fehlten ihr 42 Stimmen, 2009 waren es 23 Gegenstimm­en und 2005, bei ihrer ersten

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