Schulz leidet unter Gabriel. Und er vergisst das nicht
sitzt am längeren Hebel und er klammert sich fast verzweifelt an die Macht. Obwohl er Stein und Bein geschworen hat, nicht in ein Kabinett Merkel einzutreten, will er jetzt genau das – und nimmt damit späte Rache an seinem Konkurrenten. Wenn ihn nicht die eigene Partei noch aufhält, wird Martin Schulz der nächste Bundesaußenminister – für Sigmar Gabriel ist dann kein Platz mehr.
Der künftigen Parteivorsitzenden kommt das ganz gelegen. Abgesehen davon, dass Andrea Nahles und Gabriel sich nicht leiden können, ist der schwer angeschlagene Schulz wesentlich bequemer für sie als der selbstbewusste Gabriel, der den Parteifreunden schon früher mit seiner polternden Art auf die Nerven gegangen ist. Dass dessen plötzliches politisches Ende gut für die SPD sein soll, bezweifeln allerdings selbst Genossen, die ihm nicht so wohlgesonnen sind.
Und Gabriel klingt jetzt schon sehr verbittert über den Stil, der mit dem Generationswechsel an der Parteispitze einkehrt: „Ich komme wohl noch zu sehr aus einer analogen Welt, in der man sich nicht immer nur umschleicht, sondern sich einfach mal in die Augen schaut und die Wahrheit sagt. Das ist scheinbar aus der Mode gekommen.“Nun liebäugelt der Minister mit seinem neuen Privatleben. „Für mich beginnt jetzt eine neue Zeit. Zu Hause freuen sich schon mal alle darauf.“Aber selbst da gibt er seinem Genossen Martin Schulz noch eine mit. Seine kleine Tochter Marie habe ihm Donnerstag früh gesagt: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“
Es ist schwer zu glauben, dass diese Geschichte schon zu Ende erzählt ist.
Die WG-Mitglieder von Kevin Kühnert haben sicherlich gejubelt. Endlich steht in ihrer Bude ein Toaster. Höchstpersönlich überreichte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das Geschenk an den JusoChef. Ein Dankeschön dafür, dass der junge engagierte Mann – so nannte Klingbeil den 28-jährigen Politiker – viele der 24339 Neumitglieder angeworben hat. Damit heizte der Generalsekretär die Debatte um das Nicht-ernst-Nehmen von jungen Politikern an, die schon seit Wochen brodelt.
Kevin Kühnert hat es eben nicht leicht. Er ist kein Anzugträger und als U30-Politiker deutlich jünger als die meisten Abgeordneten im Bundestag. Im Durchschnitt sind sie 49,4 Jahre alt. Jüngste Partei ist die FDP (45,5 Jahre), älteste die AfD (50,8 Jahre). Derzeit tingelt der Juso-Vorsitzende durch sämtliche TV-Sendungen und ist – wen wundert es – meist der jüngste Gast. Wie also umgehen mit einem, der auf Schlips und Manschettenknöpfe verzichtet? Einem, der junge Sozialdemokraten in der No-GroKo-Bewegung mobilisieren kann und Tag für Tag daran arbeitet, nicht weitere vier Jahre mit Angela Merkel regieren zu müssen? Politiker, aber auch manche Journalisten haben Strategien entwickelt: immer wieder sein Alter thematisieren oder unangebrachte Fragen stellen zum Beispiel.
Bei Maybrit Illner sprachen die Gäste über Kühnert in der dritten Person – und zwar in seiner Anwesenheit. Zudem betonten sie ständig, dass sie es hier mit einem „jungen Mann“zu tun haben. Zwischendurch hieß er Kleinert und Julia Klöckner legte ihm „mehr Realitätssinn“nahe. In der RTL-Sendung „Guten Morgen Deutschland“fragte die Moderatorin, ob Kühnert noch in einer WG wohne. Das sei bei Studenten doch so üblich. Markus Lanz legte nach und wollte wissen, ob er sich mit seinen Eltern berate. Und Jan Böhmermann tat wie von ihm erwartet und ließ den Juso-Chef die Stimme von Justus Jonas aus „Die drei ???“imitieren.
Und wie reagiert Kevin Kühnert? Er umgeht persönliche Fragen und startet auf Twitter unter #diesejungenleute eine Debatte – wie es junge Leute heutzutage eben so tun. Darin präsentiert er unter anderem seinen neuen Toaster und twittert Dinge wie: „Werde anfangen, solche überaus relevanten Fragen zu beantworten, sobald Merkel und Co. gefragt werden, ob sie beim Joghurt immer den Deckel ablecken.“
In der Debatte zeigte sich auch, dass Kühnert viele Leidensgenossen hat. Nach einer Rede auf einem SPD-Sonderparteitag nannte ein Journalist die 25-jährige Annika Kloose, Landesvorsitzende der Jusos Berlin, „ein aufgeregtes Mädchen“. Der 25-jährige Roman Müller-Böhm, Abgeordneter der FDP, bekam während des Wahlkampfes unangebrachte Ratschläge von Passanten: „Geh erst mal ordentlich arbeiten“, lautete einer.
Ob sich etwas ändern wird, bleibt offen. Ein Gutes hat die Debatte so oder so: Kühnerts WG-Mitglieder verzichten in Zukunft auf lapprigen Toast.