Achtes Leben, neunter Brecht Preis
Die in Tiflis geborene Schriftstellerin und Dramatikerin erhält die hoch dotierte Augsburger Auszeichnung 2018. Ihr Werk: der Konflikt zwischen Ost und West
„Man könnte diese Geschichte in einer Berliner Altbauwohnung beginnen – recht unspektakulär und mit zwei nackten Körpern im Bett. Mit einem siebenundzwanzigjährigen Mann, einem gnadenlos talentierten Musiker, der gerade dabei ist, sein Talent an seine Launen, an die unstillbare Sehnsucht nach Nähe und an den Alkohol zu verschenken. Man kann die Geschichte aber auch mit einem zwölfjährigen Mädchen beginnen, das beschließt, der Welt, in der sie lebt, ein Nein ins Gesicht zu schleudern ...“
So heißt es eingangs von Nino Haratischwilis dicker Familiensaga „Das achte Leben (für Brilka)“, diesem Sensationserfolg aus dem Jahr 2014, hochgelobt als „bester und wagemutigster deutschsprachiger Roman des Herbstes“(Frankfurter Allgemeine Zeitung): „Haratischwili hat ein Buch geschrieben, das im Umfang maßlos ist, doch jeden Satz braucht.“
Zu den Folgen dieses 1270-seitigen Epos „Das achte Leben“(Ullstein, 18 Euro), das die Geschichte einer georgischen Familie über ein ganzes Jahrhundert, über Politsystemwechsel und sechs Generationen hinweg außergewöhnlich hart und klar erzählt, gehören Auszeichnungen und eine anhaltend publikumsüberrannte Dramatisierung des Stoffes am Hamburger ThaliaTheater. Und zu der Wirkung dieses Romans gehört nun ebenfalls: Nino Haratischwili wird am 19. April den mit 15 000 Euro dotierten BertBrecht-Preis der Stadt Augsburg erhalten (Laudator: Andreas Platthaus, FAZ).
Zur Zuerkennung erklärt die Jury: „Nino Haratischwilis Werke, also ihre Romane und Theaterstücke, lassen sich mit den großen Exildramen Bertolt Brechts in Verbindung bringen. Ihre Begabung, komplizierte historische Prozesse, Revolutionen und Kriege ebenso wie menschliches Versagen, Opportunismus und Machtmissbrauch sowie individuelle Katastrophen in sinnliche Geschichte und großartige Frauenfiguren zu fassen, erinnert an Brechts ,Mutter Courage‘ und seinen ,Kaukasischen Kreidekreis‘. Dabei erzählen die Geschichten und Figuren Nino Haratischwilis von den historischen und aktuellen Menschenströmen, die als Folge von Krieg und Revolution damals wie heute durch Europa ziehen.“
Und speziell über Nino Haratischwilis „Das achte Leben“urteilen die Juroren, dass dort ein „beeindruckendes Pathos“herrsche, „das niemals den analytischen Blick und ein Jahrhundert aus osteuropäischer Sicht für uns Westeuropäer völlig neu erfahrbar“macht. Zu den Juroren des BrechtPreises gehören unter Vorsitz des Augsburger Kulturreferenten Thomas Weitzel die Augsburger Germanisten Mathias Mayer und Jürgen Hillesheim, die Theaterintendantin Tiflis und Hamburg – auch lebt. Bekannt wurde sie sowohl durch ihre Romane als auch ihre Dramen: „Radio Universe“(über den Kaukasuskonflikt), „Land der ersten Dinge“(über eine bettlägerige westliche Pensionärin mit Pflegerin aus dem Osten) und „Die Barbaren“(Burgtheater Wien, 2017) – ein Monolog, in dem die selbst eingewanderte Putzfrau Marusja über neuankommende Flüchtlinge herzieht und diese beschimpft.
Zur Entstehungsgeschichte von „Das achte Leben“erläuterte Haratischwili einmal: „Nicht nur im Westen, auch im Osten ist die Geschichte der Sowjetunion in der Bevölkerung überhaupt nicht aufgearbeitet. Viele Vorgänge, die jetzt in Georgien und Russland stattfinden, habe ich nicht verstanden. Darum habe ich angefangen, mich mit der Geschichte zu befassen. Ich wollte den Ursprung finden. Und so bin ich immer etwas weiter in die Zeit zuverstellt rückgegangen – bis ich bei der Oktoberrevolution landete. Da fragte ich mich: Tu ich’s mir an? Ich hab’s mir angetan. Das Fatale an der westlichen Interpretation der Geschichte ist, anzunehmen, dass es eine Zäsur gab 1989. Das stimmt nicht, die Gegenwart Europas ist die Fortsetzung der Geschichte seit der Oktoberrevolution.“Heute lebt die Schriftstellerin mit Mann und kleiner Tochter in Hamburg. Zu den meistunterschätzten Komponisten zählt der tschechische Komponist Bohuslav Martinu, 1890 an der böhmisch-mährischen Grenze geboren, 1959 nach Jahren politischer US-Emigration in der Schweiz gestorben. In den USA entstanden auch fünf seiner sechs Sinfonien, die jetzt auf drei CDs versammelt sind, eingespielt vom Radiosinfonieorchester des ORF Wien unter Cornelius Meister, dem designierten Stuttgarter Staatsopern-GMD. Rund um Augsburg kann man wissen, wie originell, besser noch, wie originär Bohuslav Martinu arbeitete: Aus seiner Hand stammt die Zeitoper „Die drei Wünsche“, die bereits in den 20er Jahren die seinerzeit noch relativ junge Kunstgattung Film auf die Musiktheater-Bühne brachte. Als Rarität war das inhaltlich wie musikalisch spektakuläre Werk am Theater Augsburg 2002 zu hören und zu sehen.
Was nun die sechs Sinfonien Martinus angeht, so stehen diese auf der Grenzlinie von einerseits abstrakter Musik in Nachfolge der Neoklassizisten, andererseits fließt zumindest in Teile davon programmatisch das böse Geschehen des Zweiten Weltkriegs ein. Grauen und Hoffnung stehen sich da mitunter unmittelbar gegenüber.
Welches Ansehen Martinu in Amerika genoss, wo er an ersten Universitäten lehrte, das zeigt schon, welche Orchester unter welchen Dirigenten fünf der sechs Sinfonien zwischen 1942 und 1955 uraufführten: Es sind die Orchester von Boston, Cleveland und Philadelphia unter Koussevitzky, Leinsdorf, Ormandy, Munch. Dazwischen hob in Prag auch Kubelik eine Sinfonie aus der Taufe. Wer die Musik von Janacek, Schreker, Korngold und Krenek schätzt, wird auch Gefallen an den Sinfonien Martinus finden, die nun – brillant vom ORFOrchester gespielt – komplett vorliegen. Der Einsatz ist verdienstvoll und weitet den musikalischen Horizont. (rh) ★★★★✩
(Capriccio/Naxos)